Anonyme Bewerbung: Das Vorurteil unmöglich machen

Bei Astrid Braungart machte sich die Skepsis der Herren Personalleiter an der siebenjährigen Tochter fest. Man wollte wissen, wie es um deren Betreuung steht. Ob, nach der Schule, eine verlässliche Beaufsichtigung vorhanden sei. Oder ob die 46-Jährige ihre Arbeit nicht doch den Mutterpflichten unterordnen würde. „Ich war stinksauer. Mein Mann ist noch nie auf die Betreuung angesprochen worden, ich aber war wegen unserer Tochter offensichtlich schwer vermittelbar“, erzählt Braungart.

Im Fall von Serpil Klukon weckte schon ihr Name die Skepsis der Personalverantwortlichen. Zwar hatte sie ein abgeschlossenes Ökonomiestudium und beste Referenzen. „Aber ich heiße nun mal nicht Claudia Meier. Ich habe viele Bewerbungen geschrieben und bin meistens nicht mal zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden“, schildert die 38-Jährige. Beide Frauen, motiviert, hoch qualifiziert, drohten auf dem Arbeitsmarkt zu scheitern.

Es ist anders gekommen. Astrid Braungart arbeitet seit Februar als Marketingleiterin des mittelständischen Geschenkeanbieters Mydays, Serpil Klukon ist bei der Stadt Celle angestellt. Die Frauen hatten sich bei Arbeitgebern beworben, die an einem Projekt „Anonymisiertes Bewerbungsverfahren“ teilnahmen – die also im ersten Bewerbungsschritt auf Angaben zu Namen, Nationalität, Alter, Familienstand und Geschlecht verzichteten. Erst kurz vor einem Vorstellungsgespräch erhielten die Arbeitgeber die kompletten Angaben zur Person.

Qualifikation im Vordergrund

Der 2010 von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) gestartete Versuch fußt auf der Annahme, dass Vorurteile vor allem in der frühesten Phase – der Sichtung von Bewerbungsunterlagen – zu diskriminierendem Aussortieren führen. Und dass, zweitens, Vorbehalte in einem persönlichen Gespräch tendenziell schwinden.

Dabei ist längst belegt, wie sehr oberflächliche Merkmale zu sachlich nicht fundierten Auswahlentscheidungen führen. Eine aktuelle Erhebung zeigt, dass bei gleicher Qualifikation allein türkisch klingende Namen die Chancen auf eine Einladung zu Vorstellungsgesprächen um 14 Prozent mindern, in kleinen und mittleren Unternehmen sogar um 24 Prozent. Ähnlich betroffen sind Frauen und ältere Arbeitsuchende. Dabei komme die Qualifikation als zentrales Merkmal des Bewerbers oft viel zu kurz, sagte ADS-Leiterin Christine Lüders während der Präsentation des Projekt-Abschlussberichts am Dienstag.

Eine Personalauswahl nach vorurteilsgeprägten Kriterien führe gesellschaftspolitisch und ökonomisch zu Problemen, sagte Klaus Zimmermann, Leiter des Instituts zur Zukunft der Arbeit: „Wertvolle Potenziale werden verschenkt, die Folge sind große volkswirtschaftliche Schäden.“ Einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger zufolge verursacht personalpolitische Diskriminierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt einen Gesamtverlust von 21 Milliarden Euro pro Jahr. Zimmermann: „Es zahlt sich für Unternehmen aus, auf Vielfalt zu setzen“.

Dass dabei anonymisierte Bewerbungen ein wichtiger Baustein sind, zeigen die Ergebnisse des Modellversuchs: Die erste Hürde, die diskriminierungsfreie Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, wurde durch die Anonymisierung überwunden. Allerdings hatten die beteiligten Arbeitgeber – neben der Stadt Celle und Mydays die Telekom, Procter & Gamble, L’Oréal, Deutsche Post, das Bundesfamilienministerium und die Agentur für Arbeit in NRW – bereits zuvor antidiskriminierende Richtlinien für Besetzungen umgesetzt, so dass die Effekte teils gering waren. Auch können aufgrund der geringen Zahl der tatsächlich erfolgten Neuanstellungen – 8550 anonymisierte Bewerbungen führten zu 1293 Vorstellungsgesprächen und schließlich zu 243 Arbeitsverträgen – keine belastbaren Aussagen getroffen werden, inwieweit tatsächlich mehr Frauen, Migranten und Ältere eingestellt wurden als bisher. Gleichwohl kündigten vier der acht Teilnehmer an, bei der Anonymisierung zu bleiben.

Zudem haben Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ebenfalls Modellversuche zu diskriminierungsfreien Bewerbungsverfahren angekündigt. ADS-Leiterin Lüders ist sicher: „Wir haben den Ball ins Rollen gebracht.“ Die Bundesrepublik finde damit allmählich Anschluss an internationale Standards. So seien anonymisierte Bewerbungen in der Schweiz, Belgien und den USA längst die Regel.