Antje Vollmer und andere: „Klima-Frieden schaffen ohne Waffen“

Antje Vollmer gehörte der Gruppe „Neubeginn“ an. Sie unterzeichnete kurz vor ihrem Tod einen Brief an die Friedens- und Ökologie-Bewegung.

Die große Friedensdemo vor dem Brandenburger Tor. 
Die große Friedensdemo vor dem Brandenburger Tor. www.imago-images.de

Eine Zivilisation verdient diesen Namen nur, wenn sie in der Lage ist, Konflikte zivil zu lösen. Frieden schaffen ohne Waffen – das Motto der Friedensbewegung ist Jahrzehnte alt. Zigtausende Demonstranten haben diese Forderung in jüngster Zeit couragiert verteidigt. Wir müssen noch mehr werden, denn es steht mehr auf dem Spiel. Die Grenzen des Wachstums – sie sind ebenfalls seit Jahrzehnten bewusst, aber bisher nicht bewusst genug, unser Leben grundlegend zu verändern.

Der Krieg in der Ukraine macht diese Fragen dringlicher denn je. Er ist der jüngste Kulminationspunkt in den Jahrzehnte währenden imperialen Machtkämpfen, die zugleich ein fortgesetzter Krieg gegen die Natur sind. Wenn die Regierungen weder in der Lage sind, Kriege zu verhindern, noch diese durch humane Erwägungen und durch größtmögliche Vermittlungsbemühungen zu einem baldigen Ende zu führen, dann müssen Bewegungen aus der Zivilgesellschaft mehr Druck machen. Lassen wir uns nicht in einen noch größeren Krieg führen!

2.000.000.000.000 Dollar für Rüstung

Ein Neubeginn bei der Bündelung von Kraftanstrengungen für eine lebbare Welt wäre es unserer Ansicht nach, wenn die bisher parallel agierenden Friedens- und Umweltbewegungen in ihren Aktionen zusammenfänden. Denn beide Themen gehören existenziell zusammen. Der ökologische Umbau kann nicht ausgesetzt werden, um in einem verheerenden Abnutzungskrieg gegen Mensch und Natur auf Sieg zu hoffen. Schon in Friedenszeiten verursacht das Militär laut Sipri (Stockholm International Peace Research Institute, Anm. d. Red.) ein Viertel der weltweiten Umweltverschmutzung. Es ist damit der größte institutionelle Verbraucher fossiler Brennstoffe. Doch die Staaten, als wären sie unbelehrbar, gaben schon bisher sechs Mal weniger für Klimaschutz aus als fürs Kriegswesen.

Weltweit wurden bereits vor dem Krieg in der Ukraine jährlich mehr als 2.000.000.000.000 Dollar für Rüstung ausgegeben. Um welche Größenordnung sich das künftig vervielfacht, kann derzeit niemand ermessen. Was nutzt erneuerbare Energie, wenn sie für die energieverschlingende und Co2-speiende Militärmaschinerie verschwendet wird, also für den größten Klima- und Menschen-Killer weltweit? Grüne Bomben? Erloschenes Leben ist nicht erneuerbar.

Kriege beschleunigen die Klimakatastrophe

Die bewundernswert Kampfentschlossenen von den Ökologie-Bewegungen kämpfen zu Recht vehement für eine Verkehrswende. Sie müssen sich dennoch fragen lassen, weshalb sie es hinnehmen, dass das Militär für seinen ökologischen Fußabdruck weltweit niemandem rechenschaftspflichtig ist. Die Tatsache etwa, dass allein die jährlichen Flugstunden der Eurofighter der Bundeswehr etwa einen CO2-Ausstoß haben, den zu kompensieren fast 10 Millionen zusätzliche Bäume nötig wären, ist nicht ihr Thema. Auch nicht die Studie der NGO Oil Change International, die ergeben hat, dass der Kerosinverbrauch von vier Jahren Irak-Krieg so hoch war wie der Jahresverbrauch von 25 Millionen Autos. Welche Verheerungen der Ukraine-Krieg und die damit einhergehende, weltweite Aufrüstung für das Klima bedeuten werden, ist noch gar nicht abzusehen.

Der Kampf für westliche Werte habe eben seinen Preis, hören wir Öko-Aktivisten sagen. Vertreter der traditionellen, weitgehend pazifistischen Friedensbewegung müssen sich wiederum fragen lassen, weshalb sie nicht geduldiger mit diesen jungen Leuten das Gespräch über die Prioritäten von Werten suchen. Kriege beschleunigen die Klimakatastrophe, die wiederum zu Kriegen um lebbare Territorien führen wird. Damit die last generation nicht tatsächlich die letzte wird, scheint es uns nötig, die Kräfte dagegen zu bündeln.

Die Straße ist kein Proseminar

Unsere kleine Gruppe hat vor drei Jahren mit einem Brief an den damaligen Jugendrat der Generationen-Stiftung eine öffentliche Dialog-Brücke geschlagen. Die sofortigen Rückmeldungen bekundeten das Interesse und den Willen, diese Brücke zu nutzen. Wir waren danach intern weiter mit Aktiven von Fridays for Future im Gespräch, gelegentlich auch mit Parents for Future, oft mit Friedensbewegten.

Vielstimmigkeit war beiden Seiten willkommen, solange sie der Toleranz und Solidarität unter den Menschen, dem Frieden und dem Erhalt der Gattung dient. Gemessen an der apokalyptischen Gefahr halten wir Differenzen im Detail in einem demokratischen Verständigungsprozess für überwindbar. Die Straße ist kein Proseminar. Von hereingetragenen Spaltungsversuchen und geschürten Berührungsängsten darf man sich nicht verunsichern lassen. Die Kräfte werden wachsen, wenn die Friedensbewegten ökologischer denken, und die Umweltbewegten ziviler. Sie würden mit mehr Gemeinsamkeit übrigens nur nachvollziehen, was für globale Plattformen wie World beyond war schon selbstverständlich ist.

Bereitschaft zur zerstörerischen wie selbstzerstörerischen Eskalation

Konflikte ohne Anwendung von Waffen zu lösen wird mehr und mehr zu einer Überlebensfrage. Zivilcourage kann mehr Wert sein als Kampfgeist auf dem Schlachtfeld. „Why Civil Resistance Works“ – diese umfangreiche Studie von US-Friedensforscherinnen analysiert 323 kriegerische Konflikte und Aufstände zwischen 1900 und 2006. Gewaltsame Überfälle seien selten durch rationale Gründe zu rechtfertigen gewesen. In der Mehrheit der Fälle habe gewaltloser Widerstand durch Proteste, Boykotte, Blockaden, Schiedssprüche, verweigerte Zusammenarbeit, zivilen Ungehorsam, bis zu politischen Streiks zu humaneren Lösungen geführt als militärische Kämpfe. Neuerdings würden Social-Media-Kampagnen, Grassroots-Lobbying, Hosting von Petitionen und Webinare zu Friedenspädagogik und Klimarettung hinzukommen. Allein durch mehr gewaltlose Mitwirkung der Zivilgesellschaft konnten Bürgerkriege vermieden werden und friedlichen Demokratien befördert. Kurzum: Gewaltfreiheit kann besser funktionieren als Krieg – für die Völker, nicht für die winzige Schicht der Kriegsgewinnler. Es ist diese gewaltfreie Aktion, die auch die Friedens- und Klimabewegungen praktizieren.

Deeskalation wird nicht gelingen, wenn sie nicht von den Medien unterstützt wird. Eine vereinte Aktion für Frieden und Umwelt müsste aus unserer Sicht auch ein Ende der Feindbilder einfordern, eine allseitige Besinnung auf das Friedensgebot der UN-Charta und die 1990er-Charta von Paris. Wir vermissen Friedensinitiativen europäischer Regierungen, wie sie auf anderen Kontinenten eingefordert werden.

Stattdessen erleben wir allerorten eine latente oder offene Bereitschaft zur zerstörerischen wie selbstzerstörerischen Eskalation. Ob in der militanten Machtlogik vieler Politiker, in dem Streben von Konzernen und Banken, die auf Wachstumswirtschaft und Gewinnmaximierung nicht verzichten können, bis zum munteren Konsum-Karussell, dessen Treibstoff die erpressten Dukaten der Entwicklungsländer sind, was immer mehr Menschen zur Flucht zwingt. Auf der UN-Vollversammlung warnte António Guterres: „Die Welt schlafwandelt nicht in einen größeren Krieg hinein – ich befürchte, sie tut dies mit weit geöffneten Augen.“ So viel selbstverschuldeter Unmündigkeit muss ziviler Widerstand der vereinten Friedens- und Klima-Bewegung entgegengesetzt werden. Nur vereint sind wir stark.

Für die Gruppe Neubeginn: Antje Vollmer, Daniela Dahn, Dieter Klein, Gabriele Zimmer, Michael Brie, Peter Brandt


Bei diesem Text handelt es sich um einen Gastbeitrag, der nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion widerspiegeln muss.

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