„Aquarius“ am Ziel: Helfer berichten von erschütternden Schicksalen der Geretteten
Vier Tage lang irrte die „Aquarius“ mit 142 Bootsflüchtlingen an Bord durch das Mittelmeer, ehe sie endlich die Erlaubnis erhielt, den Hafen von Valetta auf Malta anlaufen zu dürfen. Am Mittwochnachmittag konnte das Schiff dort anlegen. Zuvor hatten Italien und Malta dem zivilen Rettungsschiff, das die französische Organisation SOS Mediterranee gemeinsam mit Ärzte ohne Grenzen (MSF) betreibt, bereits zum zweiten Mal die Einfahrt in einen Hafen verwehrt.
„Es freut uns, dass es noch Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten gibt“
Die Voraussetzung für die Erlaubnis war, dass mehrere Staaten sich bereit erklärt haben, die Flüchtlinge aufzunehmen, darunter auch Deutschland sowie Frankreich, Spanien, Luxemburg und Portugal. Sie stammen überwiegend aus Eritrea und Somalia, fast die Hälfte von ihnen ist noch minderjährig. Beide Organisationen haben diese Lösung am Mittwoch in Berlin begrüßt. „Es freut uns, dass es noch Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten gibt“, sagte Verena Papke, die Geschäftsführerin der deutschen Sektion von SOS Mediterranee.
Die „Aquarius“ soll bald zu ihrer nächsten Rettungsmission auslaufen. „Es gibt nach wie vor Menschen, die über das Mittelmeer flüchten“, so Papke, und es sei nach wie vor die gefährlichste Fluchtroute. Die humanitäre Verpflichtung, Menschen zu retten, bestehe weiter. Auch Florian Westphal, der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland, sieht diese Verpflichtung. Er forderte die deutsche Bundesregierung dazu auf, sich klar und öffentlich für die zivile Seenotrettung einzusetzen.
Westphal schilderte am Mittwoch erschütternde Details, die die Geretteten den Ärzten von MSF berichtet hätten. Viele hätten Zeichen von Mangelernährung, Folter und Gewalt gezeigt. Einige hätten schon mehrmals versucht, über das Mittelmeer zu flüchten und seien immer wieder in den berüchtigten Internierungslagern in Libyen schwer misshandelt worden. So hätten zwei Jungen aus Somalia Narben von Elektroschocks an den Händen gehabt. Ein anderer 16-Jähriger habe berichtet, dass er in einer regelrechten Auktion auf dem Sklavenmarkt verkauft worden sei und sechs Monate Zwangsarbeit auf einer Farm habe leisten müssen. „Es ist wichtig, sich diese Geschichten vor Augen zu halten, weil wir es mit einer humanitären Krise zu tun haben“, so Westphal.
Koordination auf See chaotisch
Berichte über solche Lager gibt es seit Jahren. Seitdem die libysche Küstenwache zunehmend selbst Flüchtlingsboote aufhält und die Menschen zurück an Land bringt, steigt die Zahl der Internierten nach Berichten von mehreren Menschenrechtsorganisationen stark an. MSF arbeitet selbst vor Ort in Libyen, hat aber nur Zugang zu den Lagern, die unter der Kontrolle der sehr schwachen Regierung der Nationalen Einheit in Tripolis stehen. Selbst Menschen nach Libyen zurückzubringen, lehnen SOS Mediterranee und MSF ab, damit werde eine Rote Linie überschritten.
Im Fall der 141 Geretteten hatte sich nach Angaben der beiden Organisationen zunächst die neue libysche Seenotrettungs-Leitstelle für zuständig erklärt, der „Aquarius“ dann aber keinen sicheren Hafen nennen können und sie dann an die nächste Leitstelle in Rom verwiesen. Vorwürfe, die „Aquarius“ sei nicht als Rettungsschiff registriert, wie Papke zurück. Das Schiff fährt seit zwei Jahren unter der Flagge von Gibraltar, das britische Überseegebiet an der spanischen Südküste droht nun damit, ihm die Flagge zu entziehen.