Der einstige Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Paul Sethe, bemerkte 1965: „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. (…) Da die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben, immer kleiner.“
Damit die Gefahr privater Medien- und Meinungsmacht eingehegt wird, braucht es einen starken und unabhängigen öffentlichen Rundfunk. Die Skandale um den Norddeutschen Rundfunk (NDR) und den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) belegen aber, dass in den Chefetagen von Sendeanstalten eine bedrohliche Nähe zur politischen Macht gepflegt wurde.
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Der CDU-Ministerpräsident wurde als „der Daniel“ liebkost
Man bewilligte sich wie im Fall der früheren Investigativ-Journalistin Patricia Schlesinger üppige Gehälter und Boni beim RBB, während die Mittel für Recherchen und Journalistengehälter gekürzt wurden. Die Spitzen der ARD waren darüber seit Jahren informiert.
Im Landesfunkhaus des NDR in Schleswig-Holstein soll es zur politischen Einflussnahme zugunsten der schwarz-grünen Landesregierung durch Funkhausdirektor Volker Thormählen, Chefredakteur Norbert Lorentzen und Politikchefin Julia Stein gekommen sein. Dabei schielten wohl leitende Redakteure auch auf das Amt des Regierungssprechers, und der CDU-Ministerpräsident wurde als „der Daniel“ liebkost.
Ich bin wohl auch Opfer eines Interessenkonflikts geworden
Stein soll sogar eine Recherche über einen Missbrauchsskandal beim Roten Kreuz (DRK) behindert haben, und wollte das Material gar dem DRK übergeben, was womöglich auch eine Opfer-Quelle gefährdet hätte. DRK-Landeschefin war eine SPD-Politikerin und die damalige Lebensgefährtin der Vorsitzenden des Landesrundfunkrates. Der Stellvertreter von Stein, Stefan Böhnke, unterstütze hingegen öffentlich den Wahlkampf seines Mannes, eines FDP-Politikers, der für FDP, Grüne und SPD für das Bürgermeisteramt der Gemeinde Timmendorfer Strand kandidierte. In einem anderen Fall wurde der Journalist Patrik Baab, der mich während meiner Zeit im EU-Parlament unter anderem zur Rettung der HSH Nordbank interviewte, wegen interner Kritik am Funkhausdirektor abgemahnt. Bereits damals hatte ich das Gefühl, seine Arbeit würde behindert, weil die Regierungen in Hamburg und Schleswig-Holstein den Verkauf der Bank, die während der Rettung auch Steuergelder durch Cum-Ex-Aktiengeschäfte raubte, nicht gefährden wollten.
Nun wurde auch bekannt, dass die NDR-Chefin im Landesfunkhaus Hamburg, Sabine Rossbach, fragwürdige Beiträge über Kunden ihrer Tochter, der Inhaberin einer PR-Agentur, in Sendungen platziert haben soll und Mitarbeiter dagegen bereits seit 2017 protestierten.
Ich bin auch selbst womöglich Opfer eines Interessenkonflikts beim NDR Hamburg geworden. Zwar stand der NDR über den Investigativ-Journalisten Oliver Schröm, an der Spitze der Aufklärung der Warburg-Affäre um Bundeskanzler Olaf Scholz und die kriminellen Cum-Ex-Geschäfte der Bank. Jedoch hat mich in der Vergangenheit eine NDR-Journalistin mit der Bitte um vertrauliche Informationen aus dem Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft kontaktiert. Es ging in diesem Zusammenhang um den Vorwurf, dass Rot-Grün den heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz erst nach der Bundestagswahl 2021 befragen wollte. Dem hatte der SPD-Vorsitzende des Untersuchungsausschusses widersprochen, obwohl die Aktenlage eine andere war.
Warum Journalisten keine Kritik mögen
Wie ich erst später erfuhr, war die Journalistin die Lebensgefährtin eines SPD-Politikers, der aus dem unmittelbaren privaten Umfeld von Olaf Scholz stammt und schon qua seines Amtes in die Vorgänge um die Cum-Ex-Affäre hätte eingebunden sein können. Es ist legitim, dass Journalisten und Politiker ein Privatleben haben. Aber dies war ein Interessenkonflikt, der mir hätte angezeigt werden müssen.
Vor über drei Jahren erlebte ich Kritik von Meinungsmachern („Linkspopulismus“), wenn man, etwa im Zusammenhang mit dem Rundfunkbeitrag und dessen Ausgestaltung, auf hohe Intendanten-Gehälter oder den Einfluss von Parteien in Rundfunkräten hinwies. Dies zeigt, wie empfindlich der Journalismus selbst ist, wenn man auf Missstände hinweist. Einige, die qua Beruf etwa Politiker und ihre Entscheidungen von der Seitenlinie kritisieren, verlernen womöglich, selbst Kritik auszuhalten, wenn sie auf dem Platz stehen.
Wie die Bild mediale Schützenhilfe leistet
Oder wie ist es zu erklären, dass ich kürzlich eine Welle der Empörung (neudeutsch: „Shitstorm“) von Journalisten privater Medien, darunter dem Chef der Debatten-Seite des Spiegel, Alexander Neubacher, erntete, weil ich darauf hinwies, dass uns auch private Medien mit bestimmten Geschäftsmodellen (Werbung und viele „Klicks“ im Internet) oder aufgrund ihrer Besitzverhältnisse verblöden?
Denn bei aller berechtigten Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten: Glaubt denn wirklich jemand, die Bild-Zeitung sei zu einem anderen Zweck gegründet worden, als die Arbeiterschaft zugunsten der Konservativen und der reichsten und mächtigsten Dynastien des Landes zu beeinflussen? Und hat diese Zeitung in Hamburg nicht über weite Strecken dem Cum-Ex-Bankier Christian Olearius von der Warburg Bank mediale Schützenhilfe geleistet? Denken wir wirklich, die Zeitungen des Axel-Springer-Verlags, dessen Chef Milliardär Matthias Döpfner ist, würden jederzeit neutral über die Erbschaftsbesteuerung berichten?
Grüne werden favorisiert
Die Nähe zu und das Spiel mit der Macht gehört zum Geschäft des Journalismus. Aber oft werden dabei Grenzen überschritten. Der frühere Bild-Chef Julian Reichelt feierte gerne ausgelassen mit dem einstigen CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, dem früheren Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dem Berufsversager und ehemaligen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CDU) sowie dem früheren österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Der Wirecard-Skandal wurde zwar durch Medien wie die Financial Times mit aufgedeckt, aber ebenso wurde etwa der ehemalige Bild -Chef Kai Diekmann für die PR-Arbeit mit eingespannt. Verantwortet die Ehefrau des Finanzministers Lindner (FDP) nicht auch Politikberichte bei der Welt, die ihren Ehemann betreffen?
War es nicht der Zeit-Herausgeber Josef Joffe, der nicht nur Mitglied einer USA-nahen Lobbyvereinigung wie der Atlantik-Brücke ist, sondern die Warburg Bank vor Recherchen seiner eigenen Redaktion zu kriminellen Cum-Ex-Aktiendeals warnte?
Der Chef des Bundeskanzleramtes, Wolfgang Schmidt (SPD), soll in seiner Zeit als Staatssekretär von Olaf Scholz im Hintergrund ein Netzwerk von Journalistinnen und Journalisten unterhalten haben, die ihm pflegeleicht erschienen und sie mit gezielten Informationen etwa zur Warburg Affäre, der Verjährung von Straftaten im Zusammenhang mit geraubten Steuergeldern und den Cum-Ex-Deals, versorgt haben, um bereits im Vorfeld kritische Berichterstattung abzubinden. Mit einigem Erfolg. Kaum eine größere Tageszeitung thematisierte den Skandal in den großen Wahlkampfporträts.
Hat der Spiegel nicht immer wieder auch gezielt Politiker hoch- und wieder runtergeschrieben? Gab es dort nicht den Relotius-Fall?
Die prekäre Nähe zwischen Medien und Macht
Ist es ein Zufall, dass sich die Süddeutsche Zeitung, die traditionell über die Münchener Sicherheitskonferenz berichtet, in ihrem Abschiedsporträt des damaligen Präsidenten der Konferenz, Botschafter a.D. Wolfgang Ischinger, über Nebengeschäfte seiner privaten Beratungsfirma Agora Strategy ausschwieg? Der Spiegel hatte zuvor berichtet, wie Ischingers Firma die Konferenz für Deals mit Diktaturen und Rüstungskonzernen nutzte. Ischinger hatte zu diesem Zeitpunkt eine Sondergenehmigung der Bundesregierung, den Botschaftertitel zu führen, und die Konferenz wurde durch Bundeswehrlogistik unterstützt.
Haben hierbei womöglich auch Überlegungen eine Rolle gespielt, dass es in stürmischen Zeiten wie dem Ukrainekrieg das Vertrauen in die außenpolitischen Eliten beschädigen dürfte, solche Interessenkonflikte auszubreiten? Später ließ sich Ischinger dann in der New York Times als Kronzeuge gegen die Russlandnähe von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) zitieren, verschwieg dabei aber, dass er selbst im Beirat des Forums „Dialog Europe-Russia“ saß. Ich habe bei Twitter Ischinger markiert und nachgefragt, ob er beim „Dialog Europe-Russia“ als Board-Mitglied beteiligt war. Eine Antwort bekam ich nicht. Stattdessen wurde ich von Ischinger bei Twitter blockiert.
Es ist auch ein offenes Geheimnis im Regierungsviertel, dass unter der neuen Generation von Redakteuren in den Hauptstadtstudios die Grünen eine hohe Sympathie genießen, und auch in Zeiten, wo sie schwache Wahlergebnisse einfuhren, überproportional häufig Sendezeit erhielten. Es ist normal und kein neues Phänomen, dass sich politische Präferenzen in Redaktionen vom Durchschnitt der Bevölkerung unterscheiden und dies auch indirekten Einfluss auf die Berichterstattung hat.
Aber gepaart mit der neuen Macht der Internetkonzerne, wo Algorithmen zunehmend bestimmen, was wir lesen und vielleicht irgendwann auch denken, ist es natürlich ein Problem für die Demokratie, wenn sich mediale Eliten nur noch aus bestimmten Milieus rekrutieren und die Themen der urbanen Mittelschichten stärkeres Gewicht erhalten als die vermeintlichen Randlagen der Gesellschaft. Kein System ist perfekt, und Menschen sind fehlbar. Es gibt in privaten wie öffentlichen Medien gleichwohl hervorragende Journalisten. Ich schreibe selbst für private Medien wie Gruner & Jahr sowie die Berliner Zeitung, die einem Multimillionär mit vielfältigen unternehmerischen Engagements gehört. Aber sicher ist: Medienkonzentration bedroht die ideologische Vielfalt im Medienmarkt.
Medienkonzentration bedroht Vielfalt
Gerade deshalb brauchen wir einen starken und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich neu erfindet und das Vertrauen in die „vierte Gewalt“ im Staate wieder herstellt. Dazu gibt es viele sinnvolle Ideen. Die Redaktionsausschüsse, an die sich Journalisten wenden können, die sich in kritischer Berichterstattung beeinträchtigt sehen, und die beim NDR der Redaktionsleitung beharrlich auf die Finger klopften, müssen gestärkt werden. Die Rundfunkräte sollten von Parteigängern befreit werden und es sollte die Möglichkeit geben, kritische Bürgerinnen und Bürger auf Zeit in die Gremien zu wählen, die nicht von einflussreichen Lobbygruppen getragen werden. Gehälter und Bezüge sollten offengelegt werden. Das System der „freien Mitarbeiter“ – was für eine Verdrehung des Wortsinns – muss eingeschränkt werden. Wer morgen seinen Job verlieren kann, ist unfrei. Und die Diktatur der Quote muss durch Redaktionen mit Meinungsvielfalt eingeschränkt werden. Damit sich nicht das Motto durchsetzt: „Guckt und hört mehr Müll! Millionen Fliegen können sich nicht irren!“
Richtigstellung: In einer früheren Fassung dieses Beitrags haben wir behauptet, Herr Ischinger hätte die Auskunft zu seiner Tätigkeit beim „Dialog Europe-Russia“ verweigert und nicht gesagt, ob er für seine Tätigkeit Geld bekommen habe. Wie wir nun erfahren haben, hat Herr Ischinger die Frage gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel mit ‚Nein‘ beantwortet.
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