Außenminister: Die späte Wandlung des Guido Westerwelle

New York/Hongkong - Wären die Zeiten anders, als sie sind, dann hätte Guido Westerwelle ein paar schöne Tage vor sich. New York im Frühherbst ist wunderbar. Es würden viele Fotos und Fernsehbilder entstehen, die zeigten, wie der 50-Jährige als Vorsitzender des UN-Sicherheitsrates agiert. Wie er das Holzhämmerchen schwingt im Rund der Weltenlenker am East River. Wie er entschlossen eingreift, um die Debatten im wichtigsten Gremium der Staatengemeinschaft in die richtigen Bahnen zu lenken. Immer im Dienste seines Landes, das in diesem Monat dem Rat vorsteht.

Doch die Zeiten sind nicht so. Sie sind ganz anders, nämlich grausam. In Syrien herrscht Bürgerkrieg. Zwischen dem Iran und Israel steigen die Spannungen. In der muslimischen Welt wüten gewaltsame Proteste.

Das Hämmerchen schwingen

Da mag Westerwelle an diesem Mittwoch das Hämmerchen schwingen, wie er will. Da mag er ohne Unterlass Englisch parlieren – was er mittlerweile sehr ordentlich kann: An den Realitäten wird das nichts ändern. Weder werden die Russen und die Chinesen einer UN-Resolution gegen das Assad-Regime in Syrien zustimmen, noch wird der Iran seine Freundschaft zu Israel entdecken, noch wird die Wut der arabischen Demonstranten über das Mohammed-Video verrauchen.

Bilder wird es zwar geben von dem Ereignis. Aber mit dem Erfolg wird das so eine Sache sein. Westerwelle weiß das. Und das mag erklären, warum der FDP-Mann in diesen Tagen in New York noch eine Spur bescheidener auftritt als in den vergangenen Monaten in Berlin.

Der einstige Lautsprecher ist bescheiden geworden

Ja, es ist tatsächlich so: Der einstige Lautsprecher der deutschen Politik ist nach seiner Entmachtung als FDP-Chef und Vizekanzler bescheiden geworden. Guido Westerwelle, der notorische Besserwisser und hemmungslose Polemiker, begegnet seinem letzten verbliebenen Amt inzwischen mit Respekt. Man könnte auch sagen: Er hat sich endlich zum Außenminister gewandelt. Zu jemandem, der die Bundesrepublik im Ausland mit Würde vertritt. Drei Jahre hat er dafür gebraucht. Ein Jahr hat er noch, dann hat der Wähler das Wort.

Am Montag sagt er in New York nach einem Treffen mit dem UN-Sondergesandten für Syrien, Lakhdar Brahimi: „Deutschland unterstützt die Arbeit von Herrn Brahimi bei seiner äußerst schwierigen Aufgabe. Deutschland wird weiter mit ganzer Kraft darauf drängen, dass der Sicherheitsrat endlich eine einige und klare Position einnimmt. Wir drängen auf eine sofortige Beendigung der Gewalt und den ernsthaften Beginn eines politischen Prozesses, um einen politischen Neuanfang in Syrien zu ermöglichen.“

Westerwelle hätte auch sagen können: Wir wollen ja, aber wir können nicht. Wir stehen dem Gemetzel in Syrien hilflos gegenüber. Aber das hätte sich nicht so gut angehört. So überwiegt immerhin den Eindruck, dass da einer seine Sache ernst nimmt und mit großer Ausdauer dicke Bretter bohrt.

Und das ist es, was die Leute von einem Außenminister erwarten. Sie wollen einen Staatsmann und keinen Dampfplauderer. Einen, der in schwierigen Zeiten die Contenance bewahrt. Wahrscheinlich werden die Deutschen Guido Westerwelle niemals lieben. Aber wenn am Ende seines Mandats der Eindruck übrig-bleibt, dass er unterm Strich ein passabler Minister war, dann wäre das weit mehr, als er noch vor Jahresfrist hoffen konnte.

Vom Triumph zum Absturz

Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass Westerwelle erst dann in seine Rolle als Außenminister hineinwachsen konnte, nachdem er als Innenpolitiker auf ganzer Linie gescheitert war. Zwischen seinem größten Triumph und seinem totalen Absturz lagen nur eineinhalb Jahre: Bei der Bundestagswahl Ende September 2009 hatte die FDP unter seiner Führung 14,6 Prozent der Stimmen geholt. Es war für die Liberalen das beste Ergebnis aller Zeiten. Union und FDP übernahmen das Ruder im Bund, Guido Westerwelle wurde Außenminister und Vizekanzler.

Im Mai 2011 bereits jagte ihn seine Partei vom Hof. Schwarz-Gelb hatte sich nicht als Wunschkoalition, sondern als Alptraum erwiesen. Bei Landtagswahlen straften die Wähler die FDP regelmäßig ab. Westerwelle galt als Hauptschuldiger, als Mann mit Igitt-Faktor. Er hatte die Partei aufs Thema Steuersenkungen reduziert und dann nicht geliefert. Sozial Schwachen warf er „spätrömische Dekadenz“ vor. Unwürdiger kann sich ein Außenminister kaum verhalten.

Um ein Haar hätte Westerwelle auch dieses Amt noch verspielt: In der Libyen-Krise 2011 machte er falsch, was man falsch machen konnte, indem er den westlichen Verbündeten in den Rücken fiel. Nur die Beißhemmung des neuen FDP-Chefs Philipp Rösler bewahrte ihn vor dem Rausschmiss aus dem Kabinett.

Sichtlich Interesse an der Außenpolitik

In New York hat Westerwelle an diesem Sonntagabend, ein paar Tage vor seinem Auftritt im Sicherheitsrat, zum Hintergrundgespräch in die Residenz des deutschen UN-Botschafters geladen. Das Haus, in dem er empfängt, liegt in der Nähe der mondänen Fifth Avenue auf Höhe des Central Parks. Hier wohnt, wer viel Geld und Einfluss hat.

Man darf über solche Treffen nicht berichten. Das verbieten die Spielregeln. Aber ein paar Eindrücke wird man schon schildern dürfen. Also: Während des Hintergrundgesprächs ist ein Westerwelle zu beobachten, der im Vergleich zu früheren Zeiten deutlich mehr analysiert und weniger fabuliert. Da sitzt jemand, der inzwischen sichtlich Interesse an der Außenpolitik hat.

Beamte aus dem Auswärtigen Amt erzählen, der Minister nehme sich viel mehr Zeit als früher, um sich in komplexe globale Themen einzuarbeiten. Zu Beginn seiner Amtszeit war das anders. Westerwelle hatte schon zu allem eine Meinung, insbesondere zu innenpolitischen Fragen. Der langjährige Generalsekretär und FDP-Parteichef konnte einfach nicht den Schalter umlegen. Seine Welt war Bonn und Berlin. Für das Geschehen jenseits der Landesgrenzen interessierte er sich allenfalls, wenn es um die Belange der Exportwirtschaft ging. Inzwischen sagen hinter vorgehaltener Hand selbst Vertreter der heimischen Opposition, dass man am Auftreten und Stil des Ministers eigentlich nichts mehr auszusetzen habe.

So fühlt sich Weltpolitik an

In diesen Tagen in New York drängt sich ein Termin an den nächsten. Es ist ein einziges Hin und Her. Es geht um Krieg und Frieden, Allianzen, Macht und Interessen. So fühlt sich Weltpolitik an. In den Jahren zuvor hat sich in Westerwelles Wahrnehmung immer noch das Kleinklein der deutschen Innenpolitik gemischt, wenn er zur sogenannten Uno-Woche über den Atlantik flog. In diesem Jahr ist es anders.

Zu Hause in Deutschland diskutieren sie gerade übers Betreuungsgeld, über die Rente und die Einführung einer Frauenquote. Westerwelle schweigt dazu. In seinem früheren Leben hätte er sich mit Inbrunst in diese Debatten gestürzt. Er hätte provoziert und polarisiert und immer wieder seine zentrale Botschaft heraustrompetet: dass der Staat die Menschen nicht bevormunden darf und sich Leistung wieder lohnen muss. Keine neuen Wohltaten, dafür Steuersenkungen. Mehr Netto vom Brutto.

Das war die Platte, die er ohne Unterlass spielte. Bis sie ausgenudelt war und das Land die Melodie nicht mehr ertragen konnte.

Als sich Westerwelle bei der Regierungsbildung 2009 für das Außenamt und gegen das Finanzministerium entschied, da lag der Gedanke nahe, dass er seinem großen Vorbild Hans-Dietrich Genscher nacheifern wollte. Genscher hielt die FDP über Jahrzehnte in der Regierung. Als der Ostblock kollabierte, war er einer der Architekten des neuen Europa. Die Deutschen liebten ihn, das Ausland bewunderte ihn.

Nicht mehr viel zu melden

Zu den ersten Lektionen, die Guido Westerwelle in seinem neuen Amt lernen musste, gehörte die, dass ein deutscher Außenminister eigentlich nicht mehr viel zu melden hat. Er darf zwar durch die Welt fliegen und sich mit den Großen des Planeten treffen. Aber wenn es hart auf hart kommt, gibt auch in der Außenpolitik das Kanzleramt die Richtung vor.

Besonders deutlich wird das, wenn es um Europa geht. Die Runde der Staats- und Regierungschefs ist zum unangefochtenen Machtzentrum der Europäischen Union geworden. Der EU-Vertrag von Lissabon hat die Grundlagen dafür gelegt, die Euro-Krise hat diese Entwicklung weiter beschleunigt. Seit der Gründung der Gemeinschaft waren die Außenminister diejenigen, die die eigentliche Arbeit erledigten. Inzwischen dürfen sie nicht einmal mehr an den Gipfeltreffen der Staatslenker teilnehmen.

Umso erstaunlicher ist es, dass Westerwelle die Europapolitik zum zentralen Thema seiner Amtszeit gemacht hat. Wenn sich angesichts der Eurokrise in der Koalition und in der FDP wieder einmal EU-kritische Stimmen mehren, dann hält er entschlossen dagegen. Als Antwort auf die Krise und den Aufstieg neuer Mächte will er mehr Integration, am liebsten eine europäische Verfassung und die Direktwahl eines EU-Präsidenten.

Seinen Amtskollegen aus den anderen EU-Staaten ist das nur bedingt geheuer. Der Versuch, mit zehn befreundeten Außenministern eine große Reformdebatte anzustoßen, führte bisher nicht allzu weit. Westerwelle sagt trotzig, er wisse, dass seine Ideen Zukunftsmusik seien. „Aber selbst die braucht ein paar erste Töne.“ Macht sich da einer Gedanken über sein politisches Erbe? Er selbst streitet das ab.

Ein heikler Auftritt zur Euro-Krise

Ende August, ein paar Wochen vor seinem Besuch in New York, steht Guido Westerwelle in einem schicken Glasbau in Hongkong. Das flache Gebäude befindet sich auf einem Hügel inmitten einer großzügigen Parkanlage. Man hat einen atemberaubenden Blick auf die Wolkenkratzer der Stadt. Draußen ist es unfassbar heiß und schwül, drinnen verrichtet eine Klimaanlage gute Dienste.

Der Minister ist bei der Asia Society zu Gast. Man könnte auch sagen: bei der örtlichen Hochfinanz. Im Saal sind Geschäftsleute aus China, Europa und den USA. Sie speisen fettigen Lachs und wollen vom Redner Westerwelle hören, ob die Eurozone endlich ihre Krise in den Griff bekommt.

Es ist ein heikler Auftritt. Hongkong ist einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt. Nichts braucht Europa derzeit dringender als das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte.

Mehr Pathos geht nicht

Westerwelle schlägt sich ordentlich. Er erläutert die bisherigen Bemühungen zur Euro-Rettung und lässt keinen Zweifel daran, dass Deutschland fest zur Währungsunion steht. Er sagt: „Wir sind uns unserer Verantwortung für Europa bewusst. Und wir wissen um Europas Verantwortung für die Welt.“ Die Gemeinschaft sei Deutschlands Lebensversicherung in Zeiten der Globalisierung. „Europa und die Europäische Union sind nicht nur unser Schicksal. Sie sind unsere Sehnsucht“, sagt er.

Mehr Pathos geht nicht. Daheim in Deutschland hat der Koalitionspartner CSU wenige Tage zuvor den Rausschmiss Griechenlands aus der Eurozone verlangt. Wieder einmal. Westerwelle hat sich darüber maßlos geärgert.

Er ärgert sich jetzt häufiger über Dinge, die aus der Innenpolitik kommen. Aus seiner alten Welt.