Autobahnprivatisierung: Verkehrsministerium ignoriert Kritik des Rechnungshofes

Manche Insider beantworten die Frage, für wen das Bundesverkehrsministerium da eigentlich Politik macht, eindeutig: für Baukonzerne, Banken und Beratungsfirmen – statt für Bürgerinnen und Bürger. Weiter genährt werden dürften solche Meinungen nun durch den aktuellen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Wie sein Vorgänger will der Minister Privatisierung gegen Widerstände des Bundesrechnungshofes durchdrücken. Also gegen jene Behörde, die weisungsfrei und unabhängig rechnet und immer häufiger zu anderen Ergebnissen kommt als das Verkehrsministerium.

Doch in diesem Fall geht der Minister offenbar einen Schritt weiter. Scheuer ist nach Informationen der Berliner Zeitung bereit, ein Gesetz zu brechen. Das zumindest bemängelt der Bundesrechnungshof in einem Prüfbericht für Mitglieder des Haushaltsausschusses des Bundestages. Brisant ist der Abschnitt zu den „Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen bei Fernstraßenprojekten, die als Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP) realisiert werden sollen“.

Das Verkehrsministerium ignoriert Empfehlungen des Rechnungshofes

In dem Prüfungsverfahren betrachten die Gutachter die Streckenerweiterung einer nicht näher benannten Autobahn, die an einen bereits zuvor als ÖPP gebauten Autobahnabschnitt anknüpft. Durch diese Verlängerung entstünde nun eine privatisierte Autobahn, die eine Länge von 100 Kilometern übersteigen würde. Genau das widerspricht aber dem Gesetz zur Errichtung einer Infrastrukturgesellschaft für Autobahnen und andere Bundesfernstraßen. Dort heißt es: „Die Einbeziehung Privater bei Planung, Bau, Betrieb und Erhalt von Bundesautobahnen oder sonstigen Bundesfernstraßen darf nur erfolgen, wenn sich der Vertrag auf einzelne Vorhaben mit einem Gesamtumfang von bis zu 100 Kilometern erstreckt. Mehrere Vorhaben dürfen nicht miteinander verbunden werden.“

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Im aktuellen Prüfbericht schreiben die Rechnungsprüfer daher bezogen auf den geplanten Ausbau: „Dies ist nach dem Gesetz zur Errichtung einer Infrastrukturgesellschaft für Autobahnen und andere Bundesfernstraßen jedoch untersagt. Der Bundesrechnungshof hat dem BMVI deshalb empfohlen, „das Vorhaben nicht in der bisherigen Form fortzusetzen“, heißt es in dem Papier. Doch das Verkehrsministerium ignorierte auch in der Vergangenheit im Zweifel Empfehlungen des Rechnungshofes. So auch hier: „Das BMVI will das Projekt wie geplant umsetzen und den Empfehlungen des Bundesrechnungshofes nicht folgen“, kritisieren die Prüfer.

Nur 48 Stunden Zeit hatten die Bundestagsabgeordneten für die Abstimmung

Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion nennt dieses Vorgehen „dreist und inakzeptabel“, so Sven-Christian Kindler zur Berliner Zeitung. „Die Bundesregierung treibt ihren Privatisierungswahn auf die Spitze. Der Rechnungshof weist deutlich auf einen Rechtsverstoß hin und Andreas Scheuer ignoriert das einfach.“

Pikanterweise wurde schon die durch das Gesetz zu schaffende Infrastrukturgesellschaft selbst als Instrument zur Privatisierung der Autobahnen bewertet. In einer Nacht- und Nebelaktion verschnürten SPD und Union diese Gesellschaft in die größte Grundgesetzänderung der vergangenen zehn Jahre, für die die Abgeordneten des Bundestages schließlich nur 48 Stunden Zeit für Beratungen hatten – zugleich auch eine der schnellsten Grundgesetzänderungen aller Zeiten. Manche Genossen wären im Sommer 2017 fast abgesprungen und so mussten Kritiker bei einer Sondersitzungen eingefangen werden. Danach hatte die SPD-Führung verbreitet, die Privatisierung der Autobahnen, die sie selbst auf den Weg gebracht hatte, verhindert zu haben. Freilich entgegen der tatsächlichen rechtlichen Situation, wie Rechtswissenschaftler wie Georg Hermes von der Universität Frankfurt am Main, der Berliner Zeitung bestätigten.

„Der Widerstand in der Öffentlichkeit war immens“

Als „Privatisierungsbremse“ wurde damals ausgerechnet jener Passus bezeichnet, über den sich das Verkehrsministerium nun hinwegsetzen will: Die Begrenzung von ÖPP-Autobahnen auf 100 Kilometer sollte verhindern, dass das gesamte Streckennetz privatisiert werden könnte.

„Der Widerstand in der Öffentlichkeit war immens und ließ wenige Monate vor der Wahl einige um ihr Mandat bangen“, erinnert sich Carl Waßmuth vom gemeinnützigen Verein Gemeingut in BürgerInnenhand. „Damit die erforderliche Zweidrittelmehrheit doch noch zustande kam, wurden von den Parteispitzen in letzter Minute noch ein paar schwache Schranken eingefügt, unter anderem diese 100-km-Grenze“, sagt der Infrastrukturexperte.

Das Verkehrsministerium ließ die Fragen der Berliner Zeitung unbeantwortet.