Bamf-Affäre: 18 000 Asyl-Fälle werden geprüft
Berlin - Als der neue Bundesinnenminister Horst Seehofer Anfang April zum Antrittsbesuch ins Bundesamt für Migration und Flüchtlinge reiste, hatte er nur lobende Worte für die Riesenbehörde in Nürnberg und ihre Präsidentin Jutta Cordt. Kaum drei Wochen später allerdings wurde ein Skandal bekannt, der auch für den CSU-Politiker gefährlich wird. In der Außenstelle des Bamf in Bremen sollen zwischen 2013 und 2016 mindestens 1200 Asylbewerber zu Unrecht Asyl erhalten haben, im Raum stehen auch Korruptionsvorwürfe. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die frühere Leiterin der Behörde in Bremen sowie gegen fünf weitere Personen, darunter Anwälte und Dolmetscher.
Jutta Cordt, seit Anfang 2017 Präsidentin des Bamf, machte sich in der Öffentlichkeit seither rar. Sie stand zwar dem Innenausschuss des deutschen Bundestags Rede und Antwort, die Sitzung war aber nicht öffentlich. Erst am Freitag äußert sich die Bamf-Chefin umfassend zu den Vorfällen in Bremen – in der Außenstelle in Berlin. Die Wahl des Ortes ist ein Hinweis darauf, wie groß die Nervosität ist. Der Fall in Bremen ist zum Politikum geworden, die gesamte Behörde steht erneut in der Kritik, von einem Systemversagen ist gar die Rede. Seehofer, oberster Dienstherr des Bamf, muss sich Vorwürfe gefallen lassen, er habe zu spät auf ihm vorliegende Informationen reagiert.
Cordt ist also angespannt, als sie vor die Hauptstadtpresse tritt. Um keinen Fehler zu machen, schaut sie immer wieder auf ihre Unterlagen. Es ist ein technischer Rechenschaftsbericht, mehr nicht. Sie sagt das, was man eben sagt in solchen Situationen. Die Vorwürfe würden „mit Hochdruck“ aufgeklärt, verspricht sie. Im Oktober vergangenen Jahres habe die Leitung des Bamf die interne Revision beauftragt, insgesamt 4586 Asylbescheide seit 2013 zu überprüfen, bei denen zwei verdächtige Anwaltskanzleien involviert waren. Jeder dritte Bescheid davon war in Bremen ausgestellt worden. Im Oktober wusste die Bamf-Zentrale bereits von Auffälligkeiten in Bremen; gegen die einstige Dienststellenleiterin war allerdings schon 2016 ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden.
Große Unregelmäßigkeiten bei 40 Prozent der Bescheide
Am 11. Mai legte die interne Revision Cordt einen Bericht vor, der auch an die Staatsanwaltschaft weitergegeben wurde. „Die interne Revision hat Implausibilitäten festgestellt“, formuliert es Cordt. Gemeint sind damit Auffälligkeiten, die aber noch nicht bedeuten, dass der jeweilige Asylbescheid aufgehoben werden muss. Allerdings kamen solche Implausibilitäten in Bremen besonders häufig vor, nämlich bei fast drei von vier Asylbescheiden. Bei 40 Prozent der Bescheide seien die Unregelmäßigkeiten so groß, dass ein Widerrufsverfahren eingeleitet werden müsse, so Cordt. Hinweise auf Manipulationen in anderen Außenstellen gebe es aber nicht.
Dazu passt, dass Bremen in den vergangenen Jahren weitaus höhere Schutzquoten aufwies als andere Bundesländer. Mittlerweile ist bekannt, dass die ehemalige Dienststellenleiterin sich besonders der Minderheit der Jesiden verpflichtet fühlte und auch Fälle nach Bremen holte, für die andere Bundesländer zuständig gewesen wären. Mit der Identitätsprüfung nahm man es in Bremen ebenfalls nicht sehr genau, bestätigt Cordt. So seien in 30 Prozent der überprüften Fälle keine oder nur eine verspätete erkennungsdienstliche Behandlung erfolgt.
Linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke bezeichnet Überprüfung als „Unfug“
Cordt hat außerdem angeordnet, dass alle rund 18 000 positiven Asylentscheidungen in Bremen überprüft werden, die bis ins Jahr 2000 zurückreichen. Die linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke hält das für „Unfug“ und den „Ausdruck einer zunehmend flüchtlingsfeindlichen Stimmung“, da keine negativen Bescheide überprüft würden. Für die Bamf-interne Untersuchung sollen 70 Mitarbeiter aus anderen Dienststellen abgeordnet werden, die Überprüfung soll in drei Monaten abgeschlossen sein.
Von Versäumnissen ihrer Behörde mag Jutta Cordt am Freitag nicht sprechen. „Zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich noch keine Schlüsse ziehen.“ Und auch dass Josefa Schmid, die seit Anfang des Jahres interimistisch die Dienststelle in Bremen leitete, Anfang Mai gegen ihren Willen wieder nach Bayern zurückbeordert wurde, sei ein ganz normaler Vorgang im Beamtenrecht, sagt Cordt.
Schmid wehrt sich juristisch gegen ihre Versetzung nach Deggendorf. Die Grünen im Bundestag haben für kommenden Donnerstag eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. Vom Innenministerium verlangt die Fraktion Aufklärung darüber, „wer wann was genau wusste“ und warum Schmid wieder versetzt wurde. (mit dpa)