Bee Gees: Robin Gibb verliert Kampf gegen den Krebs
Vor zwei Jahren wurde Robin Gibb von einem Reporter einmal nach seiner peinlichsten Erinnerung befragt; die Antwort darauf lautete: „Mein ganzes Leben. Aber ich würde überhaupt nichts daran ändern wollen.“
Das ist eine ebenso schöne wie britisch humorvolle Art, auf sein Dasein zu blicken. Dass es auch schon eine Art Bilanz sein würde, konnte man damals nicht wissen. Erst kurz danach wurde bei dem Sänger der Darmkrebs festgestellt, gegen den er den langen Kampf nun verloren hat.
Ein bisschen peinlich amüsant wirken heute sicherlich einige der erschütternden Schnulzen, mit denen die Zwillinge Robin und Maurice mit ihrem drei Jahre älteren Bruder Barry als Bee Gees in den späten Sechzigern ihren Weltruhm begründeten. Dabei siedelten ihre Songs gern am süßeren Rand des Beatles-Spektrums, mit deren Lennon und McCartney sie sich bis heute den Rekord des erfolgreichsten Songkatalogs aller Zeiten teilen. Tatsächlich verdanken sie ihnen auch auf gewisse Weise ihren ersten Hit in Großbritannien. Ziemlich clever verschickten sie nämlich ihre Singles unbeschriftet an die Radiosender, wo man sie aufgeregt für ein neues Beatles-Werk hielt.
Robins helle Stimme mit prägnant zitterndem bis meckerndem Vibrato dominierte die meisten Bee-Gees-Singles der Frühzeit: große, streicherbewehrte Heuler wie „Massachusetts“ oder „I’ve Gotta Get a Message to You“. Dabei waren es durch die gesamte Bandkarriere vor allem Robin und Barry, die für die eingängigen Melodien und das effektvolle Arrangement ihrer Harmoniegesänge zuständig waren.
Dieses handwerkliche Geschick hatten sich die Bee Gees nicht über Nacht erarbeitet. Als die drei Brüder 1967 mit „Spicks and Specks“ erstmals einen Nummer Eins-Hit landeten, konnten sie bereits auf gestandene zwölf Singles zurückblicken – allerdings in Australien, wohin die Familie Ende der Fünfzigerjahre von der britischen Isle of Man ausgewandert war. Seit 1958 waren sie dort als Kinderband aufgetreten, doch mit dem australischen Durchbruch zogen sie zurück nach Großbritannien. Dort nahm sie Robert Stigwood unter seine Fittiche, einer der einflussreichsten Manager des Popbusiness der Sechziger und Siebziger Jahre, der fortan ihre Geschicke mitbestimmen sollte.
Metrosexuelles Säuseln
Allerdings trennte sich die Gruppe schon nach zwei überaus produktiven Jahren, als Robin beleidigt ausstieg, weil Stigwood angeblich den geschmeidigeren Ton seines Bruders Barry vorzog. Die folgenden Solo-Versuche seiner Brüder sanken bleiern, Robin dagegen gelang auf Anhieb ein Single-Hit. Trotzdem schien ihm der Solo-Pfad so wenig versprechend, dass es 18 Monate nach der Trennung zu einer der ersten Reunions des Pop kam.
Die wiedervereinten Bee Gees eroberten zwar 1971 mit „How Can You Mend a Broken Heart“ erstmals die Chartsspitze der USA. Die wesentlichen Erfolgsnotierungen der frühen Siebziger, Notierungen in den Charts von Hong Kong und Italien, deuteten aber drastisch an, dass ihrem breitwandig angekitschten Pop die Stunde geschlagen hatte. Auf Stigwoods Anraten und mit Barrys Stimme im Vordergrund flirteten sie daher immer wieder mit Soultönungen.
Trotzdem konnte zur Mitte des Jahrzehnts niemand damit rechnen, wie schillernd sich die Mittzwanziger neu erfinden würden. Mit ihren beiden Alben „Main Course“ und dessen Nachfolger „Children of the World“ wurden die Bee Gees ab 1975 zum Inbegriff von Disco und deren hedonistischer Exaltation.
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Das scheint umso unwahrscheinlicher, als die Geschwister Zeit ihrer Karriere auf Dezenz achteten und außer gelegentlichen Drogengerüchten um den sehr jungen Robin und einem späteren Alkoholproblem Maurices drang nichts Skandalöses in die Welt. Nun feierten sie in Songs wie „Nights on Broadway“ oder „You Should Be Dancing“ die Nacht – mit schaukelnden Bässen, quakenden Keyboards und dramatisch schwellenden Streichern, über die sie ihre metrosexuell säuselnden Stimmen drapierten wie auf den LP-Covers die schwarz glänzenden Blousons und das weich wellige Goldhaar um die Schultern.
Vor allem jedoch begann damals Barrys schwelgerisches Falsett zu glänzen, dessen außergewöhnliche Gestalt Arif Mardin entdeckte, der den Bee Gees als Haus-Produzent ihres damaligen Labels Atlantic den Weg in die Disco wies. In eigener Regie als Komponisten, Performer und Produzenten entstand 1977 ihr 15. und berühmtestes Album. Auf Drängen Robert Stigwoods stellten sie zögerlich Songs für dessen Filmproduktion „Saturday Night Fever“ zusammen und benutzten dafür Songs, die eigentlich schon für ein reguläres Album produziert waren.
Glattbeseelter Pop
Als Bewegung war Disco zu dieser Zeit bereits wieder dabei, aus den Hitparaden zurück in die schwule und afroamerikanische Clubkultur zu tauchen. Und zweifellos findet man aufregendere und abenteuerlichere Disco-Tracks als jene der Bee Gees. Aber „Saturday Night Fever“ belebte den Trend nicht nur neu für den Mainstream, die Stücke brachten auch die Ära als Massenphänomen auf den Punkt: Mit androgynen, schmeichlerischen Stimmlagen, künstlich federndem Bounce und einem poliert glänzenden, alltagsvergessenen Glamour stehen Songs wie „Stayin’ Alive“ und „Night Fever“ ebenso emblematisch für die mittleren Siebzigerjahre wie John Travoltas tänzerische Siegerpose im weißen Dreiteiler.
Der unvermutete Höhenflug reichte bis zum Ende des Jahrzehnts, doch mit dem endgültigen Aus für Disco zogen sich auch die Bee Gees vornehmlich auf den Produzentenhocker zurück. Robin und Barry komponierten glattbeseelten Pop für Leute wie Kenny Rogers und Barbra Streisand oder abgehängte Discodiven wie Dionne Warwick und Diana Ross. Auf diesem sehr mittelinspirierten Markt reüssierten sie auch im Trio noch mit gelegentlichen Veröffentlichungen wie „You Win Again“ oder „Alone“. Robins Solo-Werke jedoch erwiesen sich beinahe durchweg als Flops, trotz kleinerer europäischer Aufmerksamkeit für Fließbandware wie die Eurodance-Single „Juliet“.
Kurzzeitig sah es so aus, als planten die Bee Gees mit ihrem Bruder Andy noch einmal eine Verjüngungskur als Quartett. Dieser starb jedoch 1988, kaum dreißigjährig, an Herzversagen. Erst im Jahr 2003 löste sich das Trio auf, als Robins Zwilling Maurice bei einer Darmoperation ums Leben kam. Robin veröffentlichte seither weitgehend unbemerkt und zuletzt nur noch für den Download-Markt. Der Labour-Anhänger, der kurz seinen Freund Tony Blair durch eine Urlaubseinladung in Verruf gebracht hatte, vertrieb sich die Zeit mit Weihnachtsliedern, Benefiz-Singles für die thailändischen Tsunami-Opfer und für die Truppen in Afghanistan.
Obwohl die Krebstherapie offiziell erfreulich verlaufen war, musste er im März erneut operiert werden. Zur Londoner Premiere seines philharmonischen Singspiels über den Untergang der Titanic, das er gemeinsam mit dem jüngsten seiner drei Kinder, Robin-John, komponiert hatte, konnte er im April bereits nicht mehr scheinen, eine Lungenentzündung zwang ihn zum Krankenhausaufenthalt. Aus dem Koma, in das er dort fiel, ist er zwar noch wieder erwacht. Aber nur für wenige Tage: Am Sonntag ist Robin Gibb in London im Alter von 62 Jahren gestorben.