Belarus: Zehntausende Demonstranten trotzen Truppenaufmarsch

Es war der 22. Protesttag, die Behörden hatten vor neuen Demonstrationen gewarnt. Doch kaum jemand ließ sich davon einschüchtern.

Erneute Demonstration gegen Staatschef Alexander Lukaschenko: Mehr als 150 Menschen wurden festgenommen.
Erneute Demonstration gegen Staatschef Alexander Lukaschenko: Mehr als 150 Menschen wurden festgenommen.imago images/ITAR-TASS

Minsk-Zehntausende Menschen haben in Belarus das vierte Wochenende in Folge trotz beispielloser Drohungen der Behörden bei Massenprotesten den Rücktritt von Staatschef Alexander Lukaschenko gefordert. Die Polizei ging am Sonntag an Lukaschenkos 66. Geburtstag mit Härte gegen friedliche Demonstranten vor. Uniformierte steckten vor allem Männer in Gefangenentransporter, wie auf Bildern und Videos zu sehen war.

Ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur berichtete aus Minsk, dass der Unabhängigkeitsplatz komplett mit Metallgittern abgesperrt war. Dorthin wollten die Demonstranten ziehen. Mehr als 150 Menschen seien bis zum Nachmittag festgenommen worden, teilte das Innenministerium mit.

Demonstranten halten die ehemalige belarussische Nationalflagge hoch, während sie durch einen Stacheldrahtzaun an ihrem Protestmarsch gehindert werden sollen. 
Demonstranten halten die ehemalige belarussische Nationalflagge hoch, während sie durch einen Stacheldrahtzaun an ihrem Protestmarsch gehindert werden sollen. dpa

Uniformierte versuchten mit Geländewagen, die an der vorderen Stoßstange hohe Metallgitter hatten, die Menschen im Zentrum zurückzudrängen. Zu sehen war auf Bildern, wie sich Frauen davor auf die Straße legten. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort. Auch Wasserwerfer wurden in Stellung gebracht. Demonstranten riefen den Polizisten „Schande“ entgegen. Bei Festnahmen waren auch Schreie zu hören. Vereinzelt wehrten sich die Bürger.

Zu dem Protest hatte die Demokratiebewegung aufgerufen. Lukaschenko solle an seinem Geburtstag sehen, dass das Volk gegen ihn und seine Zeit an der Macht abgelaufen sei, hieß es. Protestmärsche gab es an verschiedenen Stellen in Minsk, aber auch in anderen Städten.

An den beiden vergangenen Sonntagen waren im Land Hunderttausende auf den Straßen zu Protesten gegen „Europas letzten Diktator“, wie sie Lukaschenko nennen. Die Polizei war nicht eingeschritten. Der Sonntag gilt in Belarus mittlerweile als wichtigster Protesttag.

Bereits am Samstag gab es Proteste, an denen sich hauptsächlich Frauen beteiligten. Sie nehmen in der belarussischen Demokratiebewegung eine herausragende Stellung ein. Das Innenministerium sprach von landesweit 8500 Teilnehmern. 29 Menschen wurden festgenommen. Zuletzt waren die Sicherheitskräfte wieder verstärkt gegen Demonstranten vorgegangen. Zu Beginn der Proteste gab es Tausende Festnahmen.

Kremlchef Wladimir Putin stellt sich hinter Lukaschenko

Seit der Präsidentenwahl vor drei Wochen gehen die Menschen in dem zwischen Russland und EU-Mitglied Polen gelegenen Land jeden Tag auf die Straße. Sie fordern den Rücktritt Lukaschenkos nach 26 Jahren an der Macht und Neuwahlen. Doch der beansprucht den Wahlsieg mit angeblich 80,1 Prozent der Stimmen für sich. Die Opposition hält dagegen Swetlana Tichanowskaja für die wahre Siegerin.

International steht die Abstimmung als grob gefälscht in der Kritik. Kremlchef Wladimir Putin bekräftigte am Wochenende dennoch, dass er Lukaschenko für den Wahlsieger halte. Mit Blick auf die Fälschungsvorwürfe meinte er: In der Welt sei nichts „ideal“.

Bei einem Telefonat am Sonntag zu Lukaschenkos Geburtstag vereinbarten beide Präsidenten ein persönliches Treffen in Moskau, wie der Kreml mitteilte. Ein Zeitpunkt wurde aber nicht genannt.

Putin hatte seinem unter Druck stehenden Kollegen in Minsk zuletzt demonstrativ den Rücken gestärkt und ihm zugesichert, im Falle einer Eskalation notfalls Sicherheitskräfte seines Innenministeriums ins Nachbarland zu schicken. Moskau hatte zuvor den Westen davor gewarnt, sich in den Machtkampf einzumischen.

In den vergangenen Tagen gerieten auch Journalisten ins Visier der autoritären Staatsführung. Mehreren Vertretern westlicher Medien seien die Akkreditierungen entzogen worden, berichtete ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur in Minsk. Einige seien bereits des Landes verwiesen worden. Die Behörden wollen damit offenbar eine Berichterstattung über die landesweiten Proteste verhindern.

Der Journalistenverband des Landes sprach von einem massiven Entzug der Arbeitserlaubnis auch für Medienvertreter aus Belarus, die für ausländische Fernseh- oder Rundfunksender, Zeitungen oder Nachrichtenagenturen arbeiteten. Betroffen war nach Angaben des WDR auch ein ARD-Kamerateam, das über Stunden in einer Polizeiwache festgehalten wurde. Es kam am Samstagvormittag wieder frei.

International gab es Kritik am Vorgehen der Behörden. „Wenn Journalistinnen und Journalisten willkürlich und ohne jede Rechtsgrundlage festgesetzt und durch den Entzug ihrer Arbeitserlaubnis an ihrer wichtigen Arbeit gehindert werden, dann ist das überhaupt nicht akzeptabel“, sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD). Sein französischer Kollege Jean-Yves Le Drian konstatierte: „Die willkürlichen Maßnahmen der belarussischen Behörden gegen Journalisten stehen im Widerspruch zur Pressefreiheit.“

Ungeachtet dessen setzte das belarussische Militär am Sonntag seine Manöver bei Grodno im Westen des Landes fort. Dem Verteidigungsministerium zufolge kommen dabei auch Panzer, Fallschirmjäger und Artillerie zum Einsatz. Lukaschenko hatte damit gedroht, notfalls auch das Militär gegen Demonstranten einzusetzen.