Belgorod: Das Russische Freiwilligenkorps und seine Neonazi-Wurzeln

Russische Partisanen haben russisches Territorium angegriffen. Die Angreifer haben zum Teil einen faschistischen Hintergrund. Eine Analyse.

Zerstörte Autos der russischen Partisanen, die Putins Russland angegriffen haben. 
Zerstörte Autos der russischen Partisanen, die Putins Russland angegriffen haben. www.imago-images.de

Der Grenze Schl��ssel ist entzweigebrochen / Und unser Väterchen Lenin ist doch längst tot / Zu Schimmel und Lindenhonig sein Leib umbrochen / Doch der Umbau läuft weiter, wie er gebot – / Den ganzen Dreck rund um uns in blankes Eis verwandelnd / Und alles läuft nach Plan / Alles läuft nach Plan.

Graschdanskaja oborona / Jegor Letow „Alles läuft nach Plan“

Am 22. Mai 2023 drangen kleinere Gruppen des Russischen Freiwilligenkorps sowie der sogenannten Legion Freiheit für Russland von einem Dutzend gepanzerter Fahrzeuge begleitet in das Gebiet Belgorod ein und griffen mehrere Siedlungen an.

„Der Grenze Schlüssel ist entzweigebrochen“ und „Opa Putin wird sich wahrscheinlich schon sehr bald in Lindenhonig verwandeln“, zitierten zwei Angehörige des sogenannten Russischen Freiwilligenkorps (RDK) sinngemäß die Worte des Punk-Musikers und Poeten Jegor Letow beim überraschenden Angriff auf das Gebiet Belgorod am 22. Mai 2023.

Im Vorfeld des Angriffs veröffentlichte Denis Kapustin, der Anführer des Russischen Freiwilligenkorps und ein bekannter russischer Neonazi, eine Videobotschaft mit der Ankündigung, nach „Russland zurückzukehren“.

Wer sind die handelnden Personen hinter den Freiwilligenverbänden?

Das Russische Freiwilligenkorps gehört neben der Legion Freiheit für Russland zu den Internationalen Legionen, die dem ukrainischen Verteidigungsministerium unterstellt sind. Während sich die Legion Freiheit für Russland bislang durch keine nennenswerten Militäraktionen auszeichnete und wahrscheinlich in erster Linie ein Sonderprojekt des ukrainischen Militärgeheimdienstes an der Informationsfront bildet, ist das Russische Freiwilligenkorps vor dem 22. Mai 2023 bereits mehrfach in Erscheinung getreten; so unter anderem durch Angriffe in der russischen Region Brjansk.

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Zum Autor
Dr. Alexander Dubowy ist Politik- und Risikoanalyst sowie Forscher zu internationalen Beziehungen und Sicherheitspolitik mit Schwerpunkt auf Osteuropa, Russland und GUS-Raum. Er ist Mitarbeiter der Berliner Zeitung am Wochenende.

Über das Russische Freiwilligenkorps und die Legion Freiheit für Russland liegen nur wenige belastbare Informationen vor. Eine Person wird jedoch seit Anbeginn mit den beiden Organisationen in Verbindung gebracht – Ilja Ponomarjow.

Ponomarjow steckt wohl hinter dem Anschlag auf Darja Dugina

Im Westen ist Ilja Ponomarjow dem breiten Publikum nach dem Anschlag auf die russische Journalistin, Politologin und rechtsextremistische Aktivistin Darja Dugina, Tochter des neofaschistischen russischen Vordenkers der modernen eurasischen Bewegung Alexander Dugin, im August 2022 bekannt geworden. Die Verantwortung für den Anschlag übernahm eine bis dahin unbekannte russische Gruppierung unter dem Namen Nationale Republikanische Armee (NRA).

Die einzige Person, die sich öffentlich zu Verbindungen mit der Nationalen Republikanischen Armee bekannt hat, war Ilja Ponomarjow – eine schillernde Persönlichkeit, welche über viele Jahre überaus gute Beziehungen sowohl zur höchsten ukrainischen Führungsebene als auch zur Kremladministration und zur ehemaligen Grauen Eminenz des Kremls Wladislaw Surkow unterhielt.

In seinem YouTube-Kanal verlas Ponomarjow das angebliche Manifest der Nationalen Republikanischen Armee. Ob es sich bei der NRA um einen der beiden Freiwilligenverbände handelt, ist unwahrscheinlich. Vielmehr dürfte es sich um eine PR-Aktion Ponomarjows handeln. Weitere Meldungen über die Aktivitäten der Nationalen Republikanischen Armee blieben bislang jedenfalls aus.

Wer ist Ilja Ponomarjow?

Ilja Ponomarjow ist ein russischer IT-Unternehmer, Vizepräsident des Erdölkonzerns Yukos von Michail Chodorkowski, ehemaliger Parlamentsabgeordneter und Mitglied des Vorstands der Partei Gerechtes Russland. Ponomarjows Expertise im IT-Bereich und sein großes internationales Netzwerk führten unter der Präsidentschaft Dmitri Medwedews zu einer starken Involvierung in mehrere Regierungsprojekte zur Unterstützung von Innovationen und Hochtechnologietransfer.

So war Ponomarjow einer der Ideengeber für die russische Innovationsstadt Skolkowo, ein dem Vorbild des Silicon Valley in den USA nachempfundenes Forschungs- und Industriegebiet, sowie Berater des Präsidenten der Skolkowo-Stiftung des Großunternehmers Wiktor Wekselberg. Nachdem Ponomarjow im März 2014 als einziger Abgeordneter der russischen Staatsduma gegen die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim stimmte, folgten ein Parteiausschlussverfahren, der Entzug der parlamentarischen Immunität aufgrund angeblicher Unterschlagungsvorwürfe und schließlich 2016 der erzwungene Umzug in die Ukraine.

Seit 2017 steht Ponomarjow unter Personenschutz des Inlandsgeheimdienstes der Ukraine (SBU), 2019 bekam er die ukrainische Staatsbürgerschaft durch den damaligen Präsidenten der Ukraine Petro Poroschenko verliehen. Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 meldete sich Ilja Ponomarjow freiwillig zu den Streitkräften der Ukraine. Gegenüber der Deutschen Welle betonte Ponomarjow, nicht gegen Russland, sondern gegen Putin, Putinismus und russischen Faschismus kämpfen zu wollen.

Politische Ansichten der Freiwilligenverbände

Das Russische Freiwilligenkorps und die Legion Freiheit für Russland verfügen neben paramilitärischen Verbänden auch über eine politische Vertretung. Das Russische Freiwilligenkorps war zunächst Mitglied im sogenannten Zivilrat, einer in Warschau im November 2022 gegründeten Initiative russischer Politemigranten zur Rekrutierung russischer Freiwilliger in die Reihen der ukrainischen Streitkräfte. Als politischer Vertreter der Legion Freiheit für Russland fungiert Ilja Ponomarjow. Kurz nach der Gründung des RDK scheiterte der Versuch einer Fusion an politischen Widersprüchen und wohl auch an der Person Ponomarjows.

In der Aussendung vom 23. Mai 2023 distanzierte sich das Russische Freiwilligenkorps jedenfalls harsch sowohl von Verbindungen zum Zivilrat als auch zu Ilja Ponomarjow: „Jedwede politische Initiativen, die von externen Organisationen ausgehen, haben nichts mit der offiziellen Position des RDK zu tun. Dies gilt sowohl für die Initiativen des Zivilrates als auch für die Versuche von Ilja Ponomarjow, Hand an unsere Errungenschaften zu legen, mit denen er nichts zu tun hat.“

Die Aussendung verweist auf die im „Memorandum des Russischen Freiwilligenkorps“ sowie im Programmartikel „Wofür kämpfen wir?“ festgelegten Zielsetzungen und die „rechtskonservativen politischen Ansichten und traditionalistischen Überzeugungen“ des RDK. Doch obschon das Russische Freiwilligenkorps sich lediglich zu „rechtskonservativen Ansichten“ bekennt, handelt es sich um eine Organisation mit offen neonazistischer Ideologie.

Sie brüstet sich damit, ausschließlich ethnische Russen in ihren Reihen zu haben, gibt an, für ein „Russland für die Russen“ zu kämpfen, und kann sich eine Abspaltung ethnischer Regionen Russlands durchaus vorstellen.

Die Legion Freiheit für Russland übt sich hingegen weitgehend in ideologischer Zurückhaltung und äußert sich kaum öffentlich zu ihren politischen Ansichten. Nach Ansicht Ilja Ponomarjows soll die Legion Freiheit für Russland als Prototyp der zukünftigen Armee der Russischen Föderation dienen. Im Gegensatz zum Russischen Freiwilligenkorps besteht die Legion Freiheit für Russland auf dem Weiterbestehen eines „geeinten und unteilbaren Russlands in den Grenzen von 1991“. Doch ungeachtet dieser offiziellen Haltung vertreten nicht unwesentliche Teile ihrer Mitglieder offen rechtsradikale Positionen.

Angesichts der politischen Marginalität der handelnden Personen, der ideologischen Radikalität und Zerrissenheit sollte mit einer nennenswerten Unterstützung innerhalb der russischen Bevölkerung nicht gerechnet werden.

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Auch wenn die ukrainische Führung jedwede Beteiligung an der Operation der russischen Freiwilligen ausschloss, dürfte eine derartige Aktion in der gegenwärtigen Kriegsphase ohne eine enge Abstimmung mit der ukrainischen Militärführung und insbesondere angesichts der organisatorischen Anbindung an das ukrainische Verteidigungsministerium sowie ähnlicher Angriffe in jüngster Vergangenheit äußerst unwahrscheinlich sein.

Insgesamt sollte der begrenzte Angriff auf das Gebiet Belgorod keinesfalls überbewertet werden. Denn angesichts der geringen Truppenstärke ist dieser wohl kaum als ein ernst zu nehmender Versuch der Ukraine zu werten, die Kriegshandlungen nach Russland zu tragen; zumal damit alle denkbaren roten Linien aus der Sicht des Westens überschritten wären. Vielmehr handelt es sich um ein Element der psychologischen Kriegsführung im Vorfeld der bevorstehenden ukrainischen Offensive. Der Angriff soll die Unsicherheit in den Grenzregionen weiter verstärken und im Idealfall die russische Führung dazu zwingen, die ohnehin begrenzten Truppen in die russischen Grenzregionen zu verlegen und damit weite Frontabschnitte in der Ost- und Südukraine offenzulegen.

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