„Reine Symbolpolitik“: Das sind die Reaktionen zur Öffnung der Friedrichstraße

Fußgänger raus, Autos rein: Kaum im Amt, räumt die Berliner CDU mit dem Vorzeigeprojekt grüner Verkehrspolitik der vergangenen Jahre auf. 

Die Friedrichstraße soll bald wieder für Autos frei sein.
Die Friedrichstraße soll bald wieder für Autos frei sein.Markus Waechter/Berliner Zeitung

Zu, auf, zu, auf! Der jahrelange Streit über eine autofreie Berliner Friedrichstraße ist um ein Kapitel reicher: Nachdem ein rund 500 Meter langer Abschnitt nahe dem Gendarmenmarkt schon zweimal zugunsten einer Fußgängerzone gesperrt wurde, dürfen dort in gut einem Monat wieder motorisierte Fahrzeuge rollen. Das teilte die nunmehr von der CDU geführte Senatsverkehrsverwaltung am Dienstag mit. Die im Wahlkampf hoch umstrittene Sperrung der Friedrichstraße war in den sechseinhalb Jahren grüner Verkehrspolitik - zuletzt unter Bettina Jarasch - erdacht und umgesetzt worden. Nach dem Regierungswechsel kommt jetzt die Rolle rückwärts.

Hintergrund der Entscheidung seien Einsprüche von Anliegern gegen die Sperrung des Abschnitts zwischen Leipziger und Französischer Straße, die zum Teil mit einem gerichtlichen Eilverfahren verbunden seien, heißt es in einer Mitteilung der Verkehrsverwaltung. Man wolle den Beschwerdeführern ein Moratorium anbieten und im Herbst einen breiten Beteiligungsprozess für ein städtebauliches und verkehrliches Gesamtkonzept für die historische Mitte starten. Hier müssten die Friedrichstraße, das Umfeld des Gendarmenmarktes und der Checkpoint Charlie zusammengedacht werden, wie es hieß.

„Wir streben für die Friedrichstraße und angrenzende Bereiche ein städtebauliches Konzept zur bestmöglichen Entwicklung und Gestaltung des Gebietes an, das den Bedarf und die Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner sowie der Gewerbetreibenden berücksichtigt“, schreibt Berlins Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) in einer Mitteilung. Sie wolle deshalb „nichts einfach nur vorgeben, sondern eine nachhaltig funktionierende Lösung gemeinsam mit den Betroffenen entwickeln“. Sie sprach von einem „Miteinander und einer bedarfs- und angebotsorientierten Mobilitäts- und Verkehrspolitik“ und freue sich auf ein partizipatives Masterplanverfahren, das noch dieses Jahr starten solle.


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Auch Anja Schröder freut sich darauf, sagt sie. „Wir haben viele gute Ideen, mit denen wir in die Gespräche gehen wollen“, sagt die Inhaberin einer Weinhandlung in der Charlottenstraße, die parallel zur Friedrichstraße verläuft. Schröder ist seit Jahren eine der schärfsten Kritikerinnen des Dauerverkehrsversuchslabors Friedrichstraße. Als Sprecherin eines Aktionsbündnisses, zu dem Anwohner, Gewerbetreibende und allerlei Wirtschaftslobbyisten gehören, hat sie die Einführung der Radschnellstraße während Corona genauso bekämpft wie die Einrichtung einer Fußgängerzone, wie sie derzeit noch besteht.

Torsten Wormsbächer, Leiter der Filiale des dänischen Einrichtungshauses BoConcept auf der Friedrichstraße, erkennt zumindest im Zeitpunkt einige Ironie. Monatelang habe es auf der Straße vor dem Laden grässlich grau ausgesehen, „seit Montag steht das da“, sagt er und zeigt auf grün bepflanzte Hochbeete mit Bänken an allen vier Seiten. Und nun soll dies spätestens in fünf Wochen wieder beseitigt werden.

Wormsbächer macht kein Hehl daraus, dass er die bisherige Umsetzung der Fußgängerzone für schlecht hält. „Es braucht Aufenthaltsqualität, und die gibt es einfach nicht“, sagt er. Daran änderten jetzt auch die wenigen verbleibenden Wochen mit dem neuen Grün nichts mehr. 

Frische Bepflanzung für nur fünf Wochen? Das spricht für eine nicht abgestimmte Entscheidung der neuen Verkehrssenatorin. Nicht einmal im Senat, der am Dienstag tagte, war die Wiederöffnung Thema, hieß es aus Teilnehmerkreisen.

Mit wem immer sich Senatorin Schreiner abgesprochen hatte, der Koalitionspartner SPD gehörte sicher dazu. „Das jetzige Erscheinungsbild der Friedrichstraße ist nicht einladend und darum die Aufhebung richtig“, wird deren verkehrspolitischer Sprecher Tino Schopf in einer Mitteilung zitiert. Jetzt werde ein Gesamtkonzept gebraucht, das Orte wie den Checkpoint Charlie, den Gendarmenmarkt und das Brandenburger Tor einbindet. Schöner hätte es auch Manja Schreiner nicht formulieren können. 

Die Bezirksbürgermeisterin wurde vom Aus der Fußgängerzone überrascht

Eher verhalten fiel die Reaktion im Bezirk Mitte aus, seit Jahren stellen dort die Grünen den Bezirksbürgermeister. Das Bezirksamt ist rein rechtlich die Instanz, die die Friedrichstraße entwidmet – sprich: zur Fußgängerzone gemacht – hat.  

Amtsinhaberin Stefanie Remlinger hat das Verfahren von ihrem Vorgänger Stephan von Dassel geerbt. Jetzt wurde sie von den Vorgängen offenbar kalt erwischt. „Rein zeitlich war der Bezirk von der Entscheidung des Senats, direkt zum 1. Juli die Autos wieder in die Friedrichstraße hereinzuholen, überrascht“, ließ sie ihr Amt mitteilen. Und: „Der Bezirk bedauert, dass der Senat die Friedrichstraße nicht zumindest den Sommer über für Menschen zu Fuß geöffnet belassen hat.“

In der Sache bleibt die Grünen-Politikerin Remlinger klar: „Viele andere europäische Metropolen stellen bereits jetzt mit innovativen und kreativen Lösungen unter Beweis, wie auch historische Stadtzentren die Zukunftsaufgaben bewältigen und ein guter Ort für alle Verkehrsteilnehmer:innen, Gewerbetreibende und Tourist:innen sein können. Moderne Mobilität schafft Flächengerechtigkeit für alle.“

Grüne beklagen „reine Symbolpolitik“

Auch bei anderen Grünen stieß die Entscheidung der Verkehrsverwaltung erwartungsgemäß auf Kritik. „Nur einen Monat im Amt wird aus dem Miteinander ein Gegeneinander“, schrieb Verkehrspolitikerin Antje Kapek im Kurznachrichtendienst Twitter. „Die Öffnung der Friedrichstraße ist reine Symbolpolitik, die für Unruhe sorgt und in erster Linie den Gewerbetreibenden schadet. Die Verkehrswende entscheidet sich hier sicher nicht.“

Kapeks Parteifreund, der Baupolitiker Andreas Otto, verbindet eine Feststellung mit einem Wunsch: „Dann hat ja die CDU Berlin ihr Hauptwahlziel erreicht und kann wieder abtreten.“