SPD vs SPD: Wie gestandene Genossen gegen die NoGroko-Kampagne kämpfen
Die Jusos versuchen mit aller Kraft, eine große Koalition in Berlin zu verhindern. Wie das Bündnis #BesserMitUns dagegenhält. Ein Gastbeitrag.

Mindestens ein Fünftel der rund 19.500 Berliner SPD-Mitglieder galt es zu überzeugen, ihre Stimme für oder gegen den Koalitionsvertrag mit der CDU abzugeben. Das Quorum wurde bereits erreicht und die Abstimmung damit verbindlich gemacht. Um die Stimmen der Berliner SPD-Mitglieder buhlen zwei professionelle Kampagnen.
Schon lange vor der Vorstellung des Koalitionsvertrags startete die NoGroko-Kampagne, getrieben vor allem von den Berliner Jusos. Sie wollten die Koalitionsverhandlungen mit dem Wahlsieger und CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegner verhindern – und nun erst recht ein Zusammengehen der SPD mit den Konservativen für die nächsten dreieinhalb Jahre.
Auch mal die Argumente anhören
Die Kampagne #BesserMitUns startete erst mit der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Das Verhandlungsergebnis sollte abgewartet werden, bevor es eine Empfehlung gab, so die Initiatoren.
„Es ist gut, dass es verschiedene Argumente gibt. Die einen laufen gegen den Koalitionsvertrag, die anderen laufen dafür. Und das auszutauschen, ist ja Sinn und Zweck des ganzen Mitgliederentscheids und damit auch der Gesamtdebatte. Und wir haben eben die Möglichkeit geboten, sich auch mal die Argumente dafür anzuhören“, sagt Sport-Staatssekretärin Nicola Böcker-Giannini, die die Kampagne initiiert hat. „Alle ehrenamtlich“, ist ihr wichtig zu betonen. Vor allem Funktionsträger innerhalb der SPD sollen an der Kampagne gearbeitet haben und für den Koalitionsvertrag werben.
„Wir hatten 100 Erstunterzeichner. Das waren bei Weitem nicht nur Funktionsträger, sondern – und das finde ich eigentlich auch das Bedeutende – quer durch die Partei. Von Spandau bis Marzahn-Hellersdorf oder Reinickendorf bis Neukölln.“
Von Thierse bis Giffey-Mitarbeiterinnen alles dabei
Dazu zählen beispielsweise Bundestagspräsident a.D. Wolfgang Thierse, Bezirksstadträtin Ronja Tietje, SPD-Nord-Wedding-Vorsitzender Igor Brezovski, der frühere Kulturstaatssekretär Tim Renner oder der Juso Faris Alagic. „Es sind aber auch Funktionsträger dabei, was ich auch logisch finde, weil natürlich beschäftigen wir uns alle mit Politik und haben eine Meinung“, sagt Böcker-Giannini.
Eine von ihnen ist Astrid Hollmann, Kampagnen-Mitglied der ersten Stunde, im Hauptberuf noch im Stab der Regierenden Bürgermeisterin; sie hat den Wirtschaftsteil des Koalitionsvertrags mit verhandelt. Sie kommt von einer Diskussionsrunde, als wir miteinander sprechen. Dort habe sie eine Frau getroffen, die die grundsätzliche Ablehnung der Jusos nicht gut fand.
Viel abringen musste man der CDU nicht
Hollmann selbst ist mit dem Koalitionsvertrag ganz zufrieden: „Wir als SPD haben der CDU sehr viel abgerungen. Wobei ich eigentlich sagen muss, so ein großes Ringen war es gar nicht.“ Sie spricht von einer konsensorientierten Atmosphäre.
Im Koalitionsvertrag stehen viele Ideen mit Prüfungsvorbehalt. „Das ist in allen bisherigen Koalitionsverträgen so gewesen“, sagt Böcker-Giannini und widerspricht dem Vorwurf, die CDU hätte angesichts des schwierigen Mitgliederentscheids der SPD viele Punkte der Sozialdemokraten aufgenommen, die sich nicht realisieren lassen werden. Sie verweist auf den Erfolg der SPD, das Wahlalter auf 16 Jahre herabzusetzen, was die CDU bislang ablehnte. Wenn Linke und Grüne ihre Position dazu nicht ändern sollten, wäre eine verfassungsändernde Mehrheit dafür also möglich.
Mit der Stärkung des sozialen Wohnungsbaus und des Mieterschutzes, dem 29-Euro-Ticket und einer Ausbildungsumlage stehen viele sozialdemokratische Themen im Koalitionsvertrag, betont Böcker-Giannini. „Und ich finde, dafür dass wir zehn Prozentpunkte weniger erreicht haben als die CDU, steht eine Menge SPD im Koalitionsvertrag. Wenn wir das Soziale hochhalten wollen, dafür stehen wollen und das auch weiter in der Regierung haben wollen, dann geht es eben tatsächlich nur mit uns. Und dann ist auch der Koalitionsvertrag nach meinem Verständnis ein guter.“
Eine Handreichung zur Verteidigung von Schwarz-Rot
„Der Rückkauf der Gasag steht im Koalitionsvertrag. Das ist ein besonderes Herzensanliegen der SPD“, sagt Hollmann. Sie verweist auch auf einen Queer-Beauftragten, den die SPD der CDU abgetrotzt haben will, und sieht darin eine Unterstützung für eine vielfältige Stadt. Um das umsetzen zu können, kämpfen Hollmann und rund 40 Mitstreiter im engeren Orga-Team der #BesserMitUns-Kampagne. Schon beim digitalen Auftakt seien Menschen aus allen Kreisen und aus dem ganzen Spektrum der Partei dabei gewesen, die sich eingebracht hätten. Insgesamt gehören rund 200 Personen zum erweiterten Organisationsteam, das die Aufgaben verteilt und die Kampagne steuert.
Auf der Homepage versucht die Kampagne, die SPD-Mitglieder zu überzeugen. Helfen sollen als Vorbilder die Erstunterzeichner des Aufrufs. Außerdem liefern über 30 sogenannte Testimonials Argumente für die Koalition mit der CDU. Zum Download gibt es einiges an Material, allem voran der Koalitionsvertrag, aber auch Vorlagen für Web-Grafiken oder ein PDF-Dokument zum Sammeln von Unterschriften. Die Inhalte werden auch über Social Media verbreitet und dort intensiv diskutiert – auch mit den Grünen und der Linken, die der SPD schlechten Stil vorgeworfen hat, als sie mit der CDU in Koalitionsverhandlungen eintrat.
Ein Niveau an Professionalität, das Experten erstaunt
„Ich finde die Kampagnen wahnsinnig professionell“, sagt Kampagnen-Experte Silvan Wagenknecht. Diese Art von Kampagne auf Landesebene sei ungewöhnlich und relativ neu. Hier werde mit ganz klassischen Mitteln, mit einer Website, mit Argumentationsketten und Social Media gearbeitet. „Also grundsätzlich für sein Argument zu werben, ist natürlich ganz selbstverständlich innerhalb von Parteien. Das allerdings in Form von solch professionellen Kampagnen zu machen, wo es ja wirklich um innerparteiliche Fragen geht, ist jetzt nicht so häufig.“
In der #BesserMitUns-Kampagne gibt es einen Faktencheck der Argumente gegen die Koalition. „Also ich werde von vielen angesprochen, die das gut finden, dass es da auch mal eine andere Bewegung gibt“, sagt Nicola Böcker-Giannini. „Auch die Jusos haben unsere Thematik aufgegriffen und arbeiten sich an der einen oder anderen Aussage ab.“ Entsprechend wird der Faktencheck immer wieder aktualisiert und ergänzt.
Entscheidend ist, dass die SPD regiert
Zur Öffentlichkeitsarbeit gehört in einer eigentlich innerparteilichen Kampagne auch die Pressearbeit, erklärt Wagenknecht und ordnet so die Meldungen ein, dass sich diese oder jene Gliederung der SPD für oder gegen den Koalitionsvertrag ausspricht. Mindestens ein genauso wichtiges Angebot seien die Mitgliederforen, in denen sich die Parteimitglieder ihre Meinung bilden können. Dort stellen die Verhandlungsteilnehmer das Ergebnis des jeweiligen Themas vor, auch die Vertreter der NoGroko-Kampagne dürfen sprechen und alle Mitglieder Fragen stellen.
Für Hollmann bedeutet das Engagement für #BesserMitUns, etwas für die Demokratie zu tun. Darüber hinaus will sie politisch gestalten. „Egal an welcher Stelle, denn auch ein einfaches Mitglied kann über Anträge große Politik machen – entscheidend ist es, dass die SPD auch regiert.“
Zum Autor: Egon Huschitt ist Journalist und Medienunternehmer. Er beobachtet die Berliner Politik in Bund und Land und kuratiert täglich den Newsletter politbriefing.de von Capital Beat, außerdem berichtet er fürs Fernsehen und im Radio.