Gastkommentar zur Wahl-Niederlage: „Das Verhalten der SPD ist armselig ...“

Und dass Franziska Giffey Demut als Grund dafür nutzt, eine schwarz-rote Koalition in Berlin zu empfehlen, ist peinlich und beschämend, findet unser Gastautor.

Franziska Giffey mit Raed Saleh bei einem Berliner SPD-Parteitag
Franziska Giffey mit Raed Saleh bei einem Berliner SPD-ParteitagCarten Koall/dpa

Das Verhalten der SPD nach der katastrophalen Wahlniederlage in Berlin ist armselig und das Sich-Rausreden von Franziska Giffey unerträglich. Der krachende Verlierer der letzten Wahl sind wir, die Sozialdemokraten.

Anstatt sich hinzusetzen und zu fragen, an was es gelegen hat, dass die SPD nicht mehr die stärkste Kraft in Berlin ist, sondern ausgerechnet von der CDU überholt wurde, wird herumgeschachert und das persönliche Schicksal von Frau Giffey diskutiert. Nein, noch schlimmer, sie selbst diskutiert ihr eigenes Ergehen öffentlich.

Man mag halten, was man möchte, von Armin Laschet, aber er hat die Konsequenzen des „zweiten“ Platzes nach der letzten Bundestagswahl auf sich genommen. Er ist nicht mehr Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens. Unumwunden muss ich zugeben, dass er mir dadurch sympathisch wurde, denn er hat alles aufgeben (müssen). Immerhin hat das was von Demut. Nicht dass ich hier falsch verstanden werde, natürlich ist es viel besser, dass Olaf Scholz das Land führt. Doch dass Franziska Giffey Demut als Grund dafür nutzt, eine schwarz-rote Koalition in Berlin zu empfehlen, ist peinlich und eigentlich beschämend.

Dass Franziska Giffey die einzige Sozialdemokratin sein soll, die die SPD in Berlin führt, zeigt den erbärmlichen Zustand unserer Partei. Um ihre Glaubwürdigkeit ist es nicht besonders bestellt. Das liegt schon am Umgang mit der Aberkennung des Doktortitels. Man mag sagen, dass das alles keine große Rolle spielen sollte, denn es geht ja um die Partei und die Regierung in Berlin. Dennoch ist es so, dass die Menschen, also die Wählerinnen und Wähler, die Glaubwürdigkeit von Politik immer mit der Glaubwürdigkeit von Politikerinnen und Politikern verknüpfen. Nicht nur ihr gutes Recht ist das, sondern mehr als menschlich. Letzten Endes sind es der Charakter und die Persönlichkeit einer Politikerin und eines Politikers, die in schwierigen Situationen Entscheidungen beeinflussen. Vielleicht hat die SPD auch deshalb verloren. Wahlen sind ja oft nichts anderes, als das kleinere Übel zu wählen. Wenn einer wie Raed Salah als „Co“-Chef neben mir auf der Bühne steht, dann ist der Ausgang einer Wahl des kleineren Übels allerdings klar. Dann fällt sie auf Franziska Giffey. Neukölln oder Spandau. Frau oder Mann. Machtpolitiker oder Provinzheini. Mit Grauen erinnere ich an den Besuch von Raed Saleh in der Sendung des Neuköllners Kurt Krömer, die damals „Chez Krömer“ hieß.

Nicht nur Kurt Krömer, sondern sehr, sehr viele von uns machen sich über Spandau lustig und grenzen diesen im Westen liegenden Bezirk von Berlin ab. Das ist so ähnlich wie mit Köpenick, das eigentlich erst seit den unglaublichen Erfolgen von Union Berlin auch vom restlichen Berlin zu Berlin gezählt wird. Das nennt man Opportunismus. Jetzt rächen sich die Spandauer für all die Häme. Es ist nicht zu glauben, dass der nächste Regierende wahrscheinlich aus Spandau kommt und der Fraktionsführer und zweite Vorsitzende der SPD auch. Wir könnten die Koalition also einfach die Spandauer Koalition nennen, anstatt die Farben Schwarz-Rot zu bemühen. Aber lassen wir diese Polemik beiseite.

Franziska Giffey (links) am Wahlabend mit der Berliner SPD-Landesspitze
Franziska Giffey (links) am Wahlabend mit der Berliner SPD-LandesspitzeChristophe Gateau/dpa

In aller Ernsthaftigkeit! Für die SPD kann es nur zwei Optionen geben: Entweder sie überlässt als Verliererin der Wahl die Regierungsmacht den Gewinnern, die dann mit den Grünen zusammengehen sollten. Dass das keine Vergnügungssteuer einbringt, dürfte den meisten klar sein. Aber es wäre plausibel. Oder die SPD tut das, für was immer noch die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler votiert hat: aus der Mehrheit links von der CDU eine Regierung bilden. Mehrheit ist Mehrheit, da muss man sich nicht von irgendwelchen Quertreibern und Spandauern reinreden lassen. Das ist ein demokratisches Faktum! Wie wäre es denn, wenn Franziska Giffey und Bettina Jarasch nach der Hälfte der Legislaturperiode das Amt der Regierenden Bürgermeisterin rotieren würden? Wo steht eigentlich geschrieben, dass es Franziska Giffey sein müsste, die für die SPD dieses Amt wahrnimmt?

Abermals: Die SPD muss sich an erster Stelle fragen, weshalb sie die Wahlen verloren hat. Sie hat unglaubwürdige, teilweise zutiefst widersprüchliche Politik gemacht. Sie ist mit der Stadt verfilzt und daher auf eine Art und Weise mit der negativen Entwicklung der Stadt verwachsen. Sie trägt – nicht alleine – dafür Verantwortung, dass sich die Bürgerinnen und Bürger nicht sicher fühlen, dass die Stadt verkehrstechnisch kollabiert, dass die Schulen miserabel ausgestattet sind, dass es nicht genügend bezahlbaren Wohnraum gibt. Allein Franziska Giffey dafür verantwortlich zu machen, ist allerdings billig. Es fehlt der große Entwurf, wie es in dieser tollen Stadt wirklich anders werden kann. Dass der Versicherungskaufmann Kai Wegner in die Fußstapfen eines schillernden Richard von Weizsäcker oder des korrumpierbaren Eberhard Diepgen passen soll, wage ich beherzt zu bezweifeln. Spandau eben. Dass die SPD Berlin kann, hat sie einige Mal gezeigt. Leider liegt das länger zurück. Es wäre an der Zeit, dass sich die SPD in Berlin erneuert, die Zeit nutzt, einen modernen, sozialen und ökologischen Entwurf für die Hauptstadt zu machen und in dem Wettbewerb mit den anderen Parteien endlich wieder Inhalte anzubieten hat! Inhalte, die für die Breite der Stadt geeignet sind: von Spandau bis Neukölln. Und Köpenick. Und in vier Jahren wird ja wieder gewählt, vermutlich nicht an dem gleichen Tag, an dem der Marathon stattfindet, der übrigens durch Neukölln verläuft, aber nicht durch Spandau.


Alexander van Dülmen ist seit 1990 in der Filmbranche tätig. 1997 hat er den Film „Knockin’ On Heaven’s Door“ mit Til Schweiger unter anderem auf das Moskauer Filmfestival gebracht. Seit dieser Zeit hat er ununterbrochen Filme in Russland, der Ukraine und allen anderen GUS-Staaten ausgewertet. Von 2003 bis 2015 war er Vorstand des Unternehmens A-Company Filmed Entertainment, das ein großes Filmvertriebs- und Verleihnetzwerk in Osteuropa betreibt. Seit 2006 hat das Unternehmen verschiedene Tochtergesellschaften in Russland betrieben. Heute ist van Dülmen vor allem Produzent. Er hat unter anderen den ARD-Film „Die Getriebenen“ auf der Basis des Sachbuchs von Robin Alexander produziert. Der letzte Film, der im September vergangenen Jahres ins Kino kam, hieß „Ein nasser Hund“ und erzählt die Geschichte eines jüdischen Jugendlichen, der in Wedding unter Arabern, Türken und Kurden aufwuchs.


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