Klima-Volksentscheid: Keiner weiß, woher die 112 Milliarden Euro kommen sollen

Bald wird darüber abgestimmt, ob Berlin bis 2030 klimaneutral sein muss. Die Initiatoren haben keinen Finanzierungsplan, der Senat schließt neue Schulden aus.

„Berlin Klimaneutral 2030“ – in wenigen Wochen dürfen Berliner ihre Stimme abgeben. 
„Berlin Klimaneutral 2030“ – in wenigen Wochen dürfen Berliner ihre Stimme abgeben. Sebastian Gollnow/dpa

Wir schreiben das Jahr 2030: Auf Berliner Dächern sind keine Ziegel mehr zu sehen, dort reihen sich jetzt Solarpaneele aneinander. Parkplätze gibt es nicht mehr, nur noch sechsspurige Fahrradwege und autonom fahrende Elektrobusse. Auf dem Tempelhofer Feld wurden zwar keine neuen Wohnungen gebaut, dafür stehen dort jetzt Windräder. Das KaDeWe wurde zu einem Tropenpflanzenressort umfunktioniert, da übermäßiger Konsum die CO₂-Bilanz erhöht. Die Stadt ist jetzt fast vollständig klimaneutral. Es heißt nicht mehr: „Berlin, arm, aber sexy“, sondern „Berlin, arm, aber klimaneutral“.

In Berlin kann sich bald einiges ändern

So oder so ähnlich könnte Berlin in sieben Jahren aussehen, wenn der bevorstehende Volksentscheid am 26. März positiv ausgeht. Das Bündnis Berlin Klimaneutral 2030 möchte „der Politik Ziele setzen“. Dafür soll das Klimaschutz- und Energiewendegesetz geändert werden. Anders als bei vergangenen Volksentscheiden, beispielsweise bei „Deutsche Wohnen und Co enteignen“, steht ein ausgefertigter Gesetzesentwurf zur Abstimmung. Sollte die Mehrheit der Berliner mit Ja stimmen, wird das bestehende Gesetz umgehend geändert.

Anschließend wäre der Berliner Senat dazu verpflichtet, seine politischen Ziele so zu setzen, dass Berlin bis 2030 klimaneutral wird. Zum jetzigen Zeitpunkt strebt der Berliner Senat, wie der Bund, eine Klimaneutralität bis 2045 an. Sofern das Quorum von 25 Prozent erreicht wird und der Volksentscheid als „angenommen“ gilt, wird sich in Berlin, zumindest wenn es nach den Initiatoren geht, einiges ändern.

Vereine und Privatpersonen sollen die Klimaziele finanzieren

Berlin stehen jährlich 37,4 Milliarden Euro zur Verfügung, um die im Haushalt gesetzten Ziele zu finanzieren. Veränderungen, die aufgrund der Einhaltung der Klimaziele dazukommen, sind darin nicht enthalten. Wie soll die Stadt diese Ziele verwirklichen, ohne sich massiv zu verschulden? Die Initiatoren des Bündnisses haben folgende Ideen: Fördergelder der EU könnten Abhilfe schaffen, ein Klimaschutzfonds könnte eingerichtet werden und finanzielle Unterstützung von Privatpersonen oder Vereinen wär ebenfalls eine Option. 

Eine Finanzierung, die sich ausschließlich auf den Haushalt stützt, ist nicht möglich. Auf Nachfrage bei der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen heißt es: „Nein. Die verfassungsrechtliche Vorgabe der Schuldenbremse erlaubt keine Aufnahme von Schulden zur Finanzierung struktureller Ausgaben. Entsprechende Finanzierungen müssten daher zulasten anderer Ausgaben erfolgen.“

Klimaschutz – die größte Herausforderung der Welt

An welchen Stellen die Initiative zugunsten der Klimaziele einsparen möchte, führt sie nicht aus. Stattdessen ist die Rede davon, dass Berlin mithilfe der Klimaneutralitätsziele etwa 88 Milliarden Euro einsparen könne, da durch eine Klimaneutralität Klimaschäden vermieden werden. Auf Anfrage der Berliner Zeitung heißt es, dass sich Hochwasserschäden und Extremwetterereignisse durch die Einhaltung der Klimaziele deutlich verringern ließen. Die angegebene Summe stütze sich auf Berechnungen des Umweltbundesamtes für Klimafolgeschäden, so die Initiative. 

Die Initiatoren sind sich ihrer Sache sicher und begründen ihr Vorhaben auch damit, dass man „ohne eine deutliche Verschärfung der Maßnahmen vor weiteren Krisen“ stehe. Eine Pressesprecherin des Bündnisses: „Der Klimaschutz ist die größte Herausforderung Berlins, Deutschlands und der Welt.“ Weiter heißt es: „Jede Regierung, die das erkennt und frühzeitig handelt, wird später im Vorteil sein. Jetzt handeln heißt in Zukunft sparen.“

Das Auto muss zugunsten der Klimaneutralität weichen

Eines der übergeordneten Ziele des Bündnisses lautet, „Berlin zukunftsfest zu machen“. Die Gesetzesänderung ist somit nur der Anfang eines langfristigen Projektes, das Berlin „lebenswerter“ machen soll. Folgende Maßnahmen möchte die Initiative ergreifen: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in der gesamten Stadt, zwei Meter breite Radwege sowie Radschnellwege für Pendler, ein forcierter Umstieg auf E-Mobilität und der Ausbau des ÖPNV. Das Auto, vor allem der Verbrenner, kommt bei diesen Plänen gar nicht gut weg. Eine Pressesprecherin der Initiative dazu: „Mit dem Volksentscheid wollen wir niemandem das Auto wegnehmen.“

In Zukunft soll der Fokus in Berlin einfach auf das Rad gelegt werden. In den Ausbau der Radinfrastruktur möchte die Initiative jährlich 69 Millionen Euro investieren. Zusätzlich sollen 3030 elektrobetriebene klimaneutrale Busse angeschafft werden. Mehr als 58.200 öffentlich zugängliche Ladepunkte werden dafür benötigt. Die Kosten dafür werden von der Initiative nicht benannt. Insgesamt rechnet das Bündnis aber mit mehr als 112 Milliarden Euro, die in alle geplanten Projekte und Maßnahmen investiert werden sollen. Das Gros der Kosten verteilt sich vor allem auf drei Sektoren: den Energiesektor, den Verkehrssektor und den Bausektor.

Mehr als 270.000 Menschen haben bereits abgestimmt

Die Organisatoren haben keine Zweifel daran, dass sich „jede Regierung an die Umsetzung des Volksentscheides hält, wenn mindestens 25 Prozent der Berliner mit Ja stimmen“. Alle Kapazitäten liegen zum jetzigen Zeitpunkt auf der Mobilisierung und der Umsetzung des Volksentscheids. Gedanken darüber, wie es danach weitergehen wird, macht sich die Initiative noch nicht. „Wir gehen erst einmal optimistisch an die Sache ran“, sagen sie. Die Tatsache, dass bereits „über 270.000 Menschen“ per Briefwahl am Volksentscheid teilgenommen haben, scheint die Organisatoren zufriedenzustellen.

Bei allen Ideen, Maßnahmen und Zielen bleibt aber eine Frage vollständig unbeantwortet: Was wollen eigentlich die Bürger dieser Stadt? Die Organisatoren der Volksinitiative dazu: „Es wird gern unterstellt, die Menschen seien noch nicht bereit für Klimaschutz. Das stimmt nicht.“ Ihrer Meinung nach sind die Berliner insgesamt oft weiter als die Regierung.

Man habe die Erfahrung gemacht, dass „die Bereitschaft für mehr Klimaschutz“ in Berlin durchaus vorhanden ist. In Gesprächen auf der Straße sei deutlich geworden, dass sich die Berliner für ihre Stadt und den Klimaschutz engagieren. Ob ihr Engagement so weit reicht, dass sie am 26. März für eine Gesetzesänderung stimmen werden, wird sich in drei Wochen zeigen. Inwieweit die gesetzten Ziele anschließend umgesetzt werden, ist dadurch aber nicht gesagt.