Berlin-Wahl: Es hat sich aussondiert
Nach der Wahlwiederholung hat in Berlin so gut wie jeder mit jedem sondiert und Chancen für eine mögliche Regierungsbildung ausgelotet. Wie’s jetzt weitergeht.

Einen Tag nach Bekanntgabe des amtlichen Ergebnisses der Wiederholungswahl in Berlin trafen sich Vertreter von CDU und Grünen am Dienstag zum dritten und letzten Sondierungsgespräch. Sie wollten ausloten, ob es eine Basis für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen und eine mögliche gemeinsame Regierungsbildung gibt. Beim zweiten Treffen am vergangenen Mittwoch wurde insbesondere über Verkehr, Klimaschutz sowie Wohnen und Mieten gesprochen – Themen, bei denen es viele Differenzen zwischen dem Wahlsieger CDU und den Grünen gibt. Wie sieht es also aus in Berlin? Welche sind die Varianten? Und was ist die wahrscheinlichste Formation?
„Wir haben uns noch ein paar Themen vorgenommen, die wir noch nicht abgearbeitet haben“, sagte der CDU-Landesvorsitzende Kai Wegner zu Beginn des Treffens am Dienstag. „Wir werden beginnen mit dem ganzen Bereich Neubau.“ Ein Knackpunkt sei das Thema Berlin als Stadt der Vielfalt. Auch über die innere Sicherheit wollten die Parteien sprechen.
Auf geht es in die dritte Sondierungsrunde mit den Grünen, um die noch offenen Themen in der nötigen Tiefe zu besprechen. Wir freuen uns auf gute Gespräche und einen zielorientierten Austausch. pic.twitter.com/uYQCGd6sfY
— Kai Wegner (@kaiwegner) February 28, 2023
Die Grünen-Senatorin und Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sagte: „Es gibt ein paar Themen, die wir noch vertiefen müssen.“ Beide Seiten betonten, sich ausreichend Zeit für das dritte und voraussichtlich letzte Sondierungsgespräch nehmen zu wollen. Wegner sagte: „Weil wir uns in den ersten beiden Sondierungsrunden auch die notwendige Zeit genommen haben, werden wir das heute auch tun.“
CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner strebt eine Zweierkoalition mit den Grünen oder der SPD an und will Regierungschef werden. CDU und SPD haben ihre Sondierungsgespräche nach ihrem dritten Treffen am Freitag abgeschlossen. Beide Parteien kündigten an, in dieser Woche zu entscheiden, mit wem sie Koalitionsverhandlungen aufnehmen wollen. Allerdings hat auch die bisherige Koalition aus SPD, Grünen und Linken eine Mehrheit.
Bei der Berliner SPD ist die Juniorpartnerschaft unter CDU-Führung eher unbeliebt
SPD, Grüne und Linke haben ihre Gespräche zu einer möglichen erneuten Regierungsbildung am Montag beendet. Genaues weiß man (noch) nicht. Aber offenbar haben vor allem die jüngeren Sozialdemokraten verloren. Viele von ihnen verstehen das historisch schlechte Wahlergebnis von 18,4 Prozent und die Abwanderung von 50.000 Wählern zur CDU als Auftrag, eben nicht erneut in eine Regierung zu gehen. Wie es scheint, haben sich jedoch die Kräfte durchgesetzt, die weiterregieren wollen. Am liebsten offenbar im rot-grün-roten Weiter-so. Eine mögliche Juniorpartnerschaft unter der siegreichen CDU war von Anfang an die unbeliebteste Variante.
Geht Wahlsieger Kai Wegner von der CDU bei der Regierungsbildung leer aus?
Nach mehr als drei Jahrzehnten in der Regierung diesmal in die Opposition zu gehen, um sich dort womöglich inhaltlich und auch personell zu erneuern, gilt für die SPD-Spitze inzwischen offenbar als wenig attraktiv. Im Fall einer Koalition mit der CDU müsste die Landesvorsitzende Franziska Giffey jedoch auf ihr Amt als Regierende Bürgermeisterin verzichten. Neuer Regierungschef würde Kai Wegner. Er hat mit 28,2 Prozent ein überragendes Wahlergebnis geholt. Doch wie es jetzt aussieht, könnte Wegner bei einer Regierungsbildung leer ausgehen.
Berlins Regierungschefin Franziska Giffey sieht bei Enteignungen einen „gangbaren Weg“
Also weiter Rot-Grün-Rot? So klang es jedenfalls am Montagabend nach dem letzten Sondierungsgespräch der bisherigen Regierungsparteien. Nach anfänglich heftigen Bedenken äußern sich die führenden Vertreter mittlerweile positiv zu kritischen Punkten wie der Enteignung von Wohnungsgesellschaften. Die SPD-Landesvorsitzende und Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey sagte: „Es ist ein Weg erarbeitet worden, der aus unserer Sicht ein gangbarer Weg sein kann.“
Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sagte: „Wir haben in all diesen Themenfeldern offene Fragen geklärt und auch gute Lösungen gefunden.“ Sie betonte: „Wir würden nicht in eine Koalition gehen, in der es offene Sollbruchstellen gibt.“ Die Linke-Landesvorsitzende Katina Schubert sagte: „Es könnte einen Pfad geben.“
Wie könnte der "gangbare Pfad" von #RGR zur Enteignung aussehen? Meine Prognose: Sie machen den Schwachsinn einfach und lassen ihn dann durch die Verfassungsgerichte aufheben, wie schon beim #Mietendeckel. Gebaut wird weiter nicht. #Enteignungswahnsinn https://t.co/sz1dIX5o55
— Björn Matthias Jotzo MdA 💛 (@BMJotzo) February 28, 2023
Der erfolgreiche Enteignungs-Volksentscheid von 2021 ist bis zuletzt die wohl höchste Hürde bei allen Gesprächen. Die Linke hat das Vorhaben von Anfang an massiv unterstützt. Die Grünen sind eher dafür. Franziska Giffey hat immer wieder Zweifel geäußert. Die CDU ist strikt dagegen.
Wie es heißt, deutet sich jetzt eine Art Kompromiss an. Demnach könnte sich Rot-Grün-Rot statt einer Enteignung auf eine Ankaufoffensive einigen. Das Land Berlin könnte den Privaten im großen Umfang Wohnungsbestände abkaufen. Stichwort Rekommunalisierung. Der Effekt wäre in etwa derselbe: Durch einen massiven Zuwachs landeseigener Wohnungen, bei denen man eine vergleichsweise niedrige Miete politisch festsetzen würde, könnte die Berliner Durchschnittsmiete stabilisiert und mittel- bis langfristig gedrückt werden. Ein solches Programm gab es schon unter dem Müller-Senat, als unter anderem Teile der Karl-Marx-Allee, das Kosmosviertel in Altglienicke, der Sozialpalast in Schöneberg oder Wohnhäuser der Siedlung Heerstraße Nord in Spandau für insgesamt mehrere Milliarden Euro in die öffentliche Hand übergingen. Teuer würde auch die Entschädigung bei Enteignungen.
Ein Problem jedoch bliebe bei jeder Variante eines Eingriffs in den Wohnungsmarkt bestehen: Durch den Ankauf entstünde nicht eine einzige neue Wohnung.
Für ein mögliches schwarz-grünes Bündnis, das besonders bei CDU-Spitzenpolitikern populär ist, war und ist auch die Verlängerung der Autobahn 100 in den Nordosten der Stadt ein besonders strittiges Thema: Die CDU hat sich im Wahlkampf klar dafür positioniert und den Begriff der „Klimaautobahn“ für Fahrzeuge mit Elektroantrieb geprägt. Die Grünen hatten im Wahlkampf dafür weitgehend Spott übrig und sind entschieden gegen einen Weiterbau über den derzeit entstehenden 16. Bauabschnitt zum Treptower Park hinaus.
Die Sondierungen sind beendet, jetzt müssen die Parteien entscheiden, was sie wollen
Doch wie geht es nun weiter? Bei der Linken tagte am Dienstagabend der Landesvorstand. Über die Ergebnisse wurde zunächst nichts bekannt. Konkret wird es für die Partei am Freitag bei einem außerordentlichen Landesparteitag. Im Mittelpunkt steht laut Mitteilung „die Auswertung der Wiederholungswahl sowie gegebenenfalls die Beschlussfassung über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen“. Sicher ist: Für die Partei ist Rot-Grün-Rot die einzige Regierungsoption.
Bei SPD und Grünen wollen die jeweiligen Landesvorstände möglichst schnell beratschlagen, mit wem man in Koalitionsgespräche gehe: mit den bisherigen Partnern oder mit der CDU. Bei den Grünen ist ein solches Treffen noch für Dienstagabend anberaumt, der SPD-Landesvorstand will sich am Mittwochnachmittag treffen.
Das SPD-Sondierungsteam unter der Leitung der beiden Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh will dem Landesvorstand einen Vorschlag unterbreiten, ob die Partei mit den Christdemokraten über eine Zweierkoalition oder mit Grünen und Linken über eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot verhandeln soll.
Vom Wahlsieger zum Sondierungsverlierer? Der Berliner CDU droht eine Niederlage
Einzig der Wahlsieger und mögliche Sondierungsverlierer CDU wollte sich am Dienstagnachmittag vor Ende der letzten Gesprächsrunde mit den Grünen noch nicht über das weitere Vorgehen äußern.