Exklusiv-Umfrage: Jeder zweite Berliner hat Angst, seine Miete nicht mehr zahlen zu können

Umfrage zur Wohnungssituation: Vor allem Frauen und junge Familien fürchten, sich die Miete nicht mehr leisten zu können. Selbst Wohneigentümer haben Angst.

Sanierungen sind häufig Gründe für Mietsteigerungen.
Sanierungen sind häufig Gründe für Mietsteigerungen.Sabine Gudath

Wohnen gilt nicht nur in Berlin als die wichtigste soziale Frage dieser Zeit. Fast alle Parteien haben das im zu Ende gehenden Wahlkampf immer wieder gesagt. Dazu passt eine aktuelle Bestandsaufnahme: Die Berliner machen sich mehrheitlich Sorgen, sich in einigen Jahren ihre Wohnung beziehungsweise ihr Haus nicht mehr leisten zu können.

Dies geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa zur Wohnungssituation im Auftrag der Berliner Zeitung hervor. Demnach sorgen sich 52 Prozent der Mieter und immerhin 29 Prozent der Wohneigentümer um ihr Heim. Zwischen Bewohnern aus dem Ost- und aus dem Westteil gibt es dabei keine nennenswerten Unterschiede.

Mietenangst in Berlin: Frauen und junge Familien haben die größten Sorgen

Größer sind die Unterschiede zwischen Frauen (51 Prozent machen sich Sorgen) und Männern (41 Prozent). Noch weiter klafft die Wahrnehmung bei unterschiedlichen Alterskohorten auseinander. So machen sich 36 Prozent der 18- bis 29-Jährigen Sorgen, Wohnung oder Haus nicht mehr bezahlen zu können. Bei den 30- bis 44-Jährigen schnellt der Wert auf 52 Prozent in die Höhe. Danach flacht er wieder ab.

Sebastian Bartels kann die Zahlen und Aussagen sehr gut nachvollziehen und verstehen. „Wir teilen die Sorge“, sagt der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, der die Belange von 183.000 Mieterinnen und Mietern vertritt. Daran ändere auch nichts, dass er und die Rechtsanwälte des Mietervereins in den Beratungen dank des Mietenrechts nur noch ganz wenige Kündigungen wegen Zahlungsverzugs auf den Schreibtisch bekämen.

Zu groß seien die aktuellen Unsicherheiten, insbesondere bei denjenigen, die gerade eine Familie gegründet oder noch vergleichsweise junge Kinder haben. Zwar gebe es Selbstverpflichtungen großer Immobilienkonzerne wie Vonovia zu Mietenmoratorien. Auch die staatlichen Hilfen gegen drohende Wohnungsnot seien beachtlich, so Bartels. Allerdings sei all dies „sehr volatil“. Soll heißen: Politische Vorgaben aber auch die Haushaltslage könnten wechseln. Es gebe keine absolute Sicherheit.

Berliner Mieterverein rechnet mit kräftigen Mieterhöhungen ab 2024

Der Grund der Angst seien die massiven Preissteigerungen der vergangenen Jahre für Neubauten, Neuvermietungen, aber auch in bestehenden Mietverhältnissen. Dazu zähle auch ein massiver Anstieg der Nebenkosten. Und ein Ende sei nicht in Sicht, so Berlins oberster Mieterschützer. Noch mache sich das Einfrieren vieler Mieten während der Corona-Pandemie bemerkbar, spätestens 2024 sei aber wieder mit deutlichen Steigerungen der Bestandsmieten zu rechnen.

Berlin: Fast jeder dritte Wohneigentümer fürchtet, sich das Eigentum nicht mehr leisten zu können

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Befund, dass auch 29 Prozent der Eigentümer von Wohnungen oder Einfamilienhäusern fürchten, die Kosten nicht mehr tragen zu können. Aus Sicht von Jochen Brückmann, Präsident des Verbandes der Grundstücksnutzer (VDGN), „nimmt die Zahl der Menschen zu, bei denen die Angst begründet ist“.

Er kenne mehrere Gründe für Sorgen von Eigentümern, so Brückmann: Menschen in Eigentum würden auch in dieses investieren. Angesichts massiv steigender Lebenshaltungskosten fürchteten viele, dass dies nicht mehr bezahlbar sei. Insbesondere junge Familien, die ihr Eigentum oft zu sehr günstigen Konditionen finanziert haben, hätten jetzt Angst, die Kredite nicht mehr halten zu können. Und dann seien da noch die Rentner. Deren Kredite seien zwar in der Mehrzahl längst abgelöst. Dennoch sorgten sie sich häufig darum, ob sie den Unterhalt für ihre Wohnung oder ihr Haus noch bezahlen könnten.

Ebenfalls abgefragt wurde die Enteignungsfrage. Laut Forsa halten 38 Prozent der Befragten die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne mit 3000 und mehr Wohnungen für sinnvoll, 53 Prozent dagegen für nicht sinnvoll. Das steht diametral im Gegensatz zum Ergebnis des Volksentscheids vom 26. September 2021, der mit 57,6 Prozent eindeutig angenommen wurde. Allerdings galt stets die Vermutung, dass viele Berlinerinnen und Berliner deswegen dafür gestimmt haben, weil sie eben ihrer Sorge Ausdruck verleihen wollten – und nicht unbedingt, weil sie Enteignung für das richtige Instrument in der Wohnungspolitik hielten.

Interessant ist die Differenzierung nach der Wohndauer. So halten 34 Prozent derjenigen, die vor 1990 im Osten gewohnt haben, die Enteignung für sinnvoll. Das ist annähernd der Wert wie von denjenigen, die vor 1990 im Westen gelebt haben (35 Prozent). Ganz anders die seit 1990 Zugezogenen: 45 Prozent halten Enteignung für sinnvoll, während sich 48 Prozent dagegen aussprechen.

Beim Blick auf die Parteien kommt die größte Zustimmung wenig überraschend von Anhängern der Linkspartei (81 Prozent). Diese Partei hatte sich mit der Initiative für den Volksentscheid verbündet und sich das Thema im Wahlkampf zu eigen gemacht. Jenseits der Linken sind nur noch die Grünen-Anhänger mehrheitlich für die Enteignung (58 Prozent), bei den SPD-Anhängern sind es nur 39 Prozent. 45 Prozent davon sind dagegen. Noch geringer fällt die Zustimmung bei Anhängern der AfD (22 Prozent), FDP (20 Prozent) und CDU (12 Prozent) aus.

In jedem Fall wird im Berliner Wahlkampf kräftig Stimmung in Sachen Wohnungspolitik gemacht – in diesem Fall gegen die Politik des Senats und ebenfalls mit einer Umfrage. So seien nach einer am Mittwoch veröffentlichten aktuellen Umfrage des Online-Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag einer auf Wirtschafts- und Immobilienrecht spezialisierten Kanzlei vier von fünf Berliner mit der Wohnungspolitik der Landesregierung unzufrieden.

 Selbst eine große Mehrheit der Wähler und Wählerinnen von SPD, Grünen und Linke bewertete demnach die rot-grün-rote Wohnungspolitik negativ, heißt es. Allerdings wird nicht genannt, warum diese Mehrheit das tut, was sie kritisiert. Zu wenig Anstrengung gegen hohe Mieten? Für Neubau? Und was ist eigentlich mit der Enteignungsfrage?

Ein wenig klarer sieht man, wenn man weiß, dass Sebastian Czaja bei der Veröffentlichung der Zahlen zugegen war. Aus Sicht des FDP-Spitzenkandidaten verhindert der Senat bekanntlich „mit seiner Anti-Wohnungsbau-Politik auch die Mobilität auf dem Wohnungsmarkt“. Junge Familien, die sich vergrößern wollten, oder Seniorinnen und Senioren, die in eine kleinere Wohnung ziehen wollten, würden in Berlin kaum noch fündig. Deshalb „sollte gerade jetzt das Gebot der Stunde beim Wohnungsbau sein: höher, schneller, mehr“, so Czaja.

Erfahrungsgemäß variieren Umfrageergebnisse bis zum Wahltag stark. Für die Forsa-Umfrage wurden vom 30. Januar bis 3. Februar 1005 nach einem systematischen Zufallsverfahren ausgewählte Wahlberechtigte ab 18 Jahren befragt. Die ermittelte Fehlertoleranz liegt bei +/-3 Prozentpunkten.