Wohnungsverbände warnen: „Jedes größere Bauprojekt steht auf dem Prüfstand“

Die Baubranche steckt in einer tiefen Krise. Es mangelt an Geld, Material und Personal. Tausende Projekte können nicht realisiert werden. Die Folgen sind fatal.

In Berlin werden immer weniger Wohnungen fertiggestellt. Eine Besserung ist nicht in Sicht.
In Berlin werden immer weniger Wohnungen fertiggestellt. Eine Besserung ist nicht in Sicht.Julian Stratenschulte/dpa

Die Inflation treibt nicht nur die Preise für Lebensmittel und Benzin in die Höhe, auch Baumaterialien sind erheblich davon betroffen. In einer Zeit, in der der Wohnraum immer knapper und vor allem teurer wird, ist diese Entwicklung bedenklich.

Die Kosten für Baumaterialien sind in den vergangenen Monaten um 25 Prozent gestiegen, der Bauzins vervierfachte sich. Eine Besserung ist nicht in Sicht, Experten sprechen sogar von einer erneuten Zinssteigerung.

Nicht nur in Berlin fehlen Wohnungen

Bundesweit mangelt es an Wohnungen, vor allem Städte sind betroffen. Gründe sind dafür die ständigen Zuwanderungsströme, der Ukraine-Krieg und der Fachkräftemangel. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) trat ihr Amt im Jahr 2021 mit großen Ambitionen an. Sie wollte bezahlbares Wohnen zur Chefinnen-Sache machen und plante eine umfangreiche „Wohnungsbauoffensive“. 20.000 Wohnungen pro Jahr sollten in Berlin realisiert werden. Doch dann kamen der Krieg und die Inflation, und die Baubranche wurde sich selbst überlassen. Die Folgen: beträchtlich.

Anfang dieses Jahres erwartete Vonovia, Deutschlands größtes Wohnungsbauunternehmen, dass für das gesamte Jahr 2023 keine neuen Projekte für den Wohnungsbau realisiert werden. Zwei Monate später veröffentlichte der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) seinen alarmierenden Wohnungsbaumonitor. Laut BBU sinkt die Zahl der in Berlin fertiggestellten und genehmigten Wohnungen seit zwei Jahren kontinuierlich. Maren Kern, Mitglied des Verbandsvorstandes: „Auch uns hat die Zeitenwende längst erreicht. Bauen, Sanieren und Modernisieren wird immer teurer, langwieriger und schwerer zu kalkulieren.“

Bundes- und Landesverbände fordern Kostenbremsen

Vergangene Woche zog der sächsische Wohnungsbauverband nach – Bauinvestitionen in Höhe von 77 Millionen Euro wurden zurückgezogen. Rainer Seifert, sächsischer Verbandsdirektor, spricht von „absolut alarmierenden“ Zahlen. Sofern sich die Rahmenbedingungen für die Bauunternehmen in nächster Zeit nicht änderten, werde „das gute, sichere, bezahlbare und moderne Wohnen für alle unter die Räder“ geraten, so Seifert. Unternehmen und Verbände aus verschiedenen Bundesländern sind also einer Meinung – es muss sich etwas ändern.

Stellvertretend für die Landesverbände setzt sich der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) für eine intensivere Unterstützung auf Bundesebene ein. Ende Februar richtete Ingeborg Esser, Geschäftsführerin des GdW, ihre Bitte an die Bundesregierung: „Wir brauchen Kostenbremsen.“ Ihrer Meinung nach wünsche sich der Bund zwar klimafreundliche Immobilien und Bauprozesse, doch seien diese mit noch höheren Preisen verbunden und ziehen dementsprechend höhere Miet- und Verkaufspreise nach sich. Die Forderungen des Bundesverbandes: finanzielle Entlastung in Form von Investitionserhöhungen durch den Bund und eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Baumaterialien.

Die Ziele der Bundesregierung sind gesetzt, aber nicht umsetzbar

Eigentlich sollte die Umsetzung von Bauvorhaben ganz im Interesse der Bundesregierung liegen, denn die hat sich in Sachen Wohnungsbau große Ziele gesetzt. Bundesbauministerin Klara Geywitz von der SPD versprach nach ihrem Amtsantritt 2021 den Bau von 400.000 Wohnungen pro Jahr. Nach Einschätzung des GdW sind diese Pläne aber nicht umsetzbar. Etwa 200.000 Wohnungen in einem Zeitraum von 12 Monaten seien realisierbar, wobei diese Zahl aufgrund der Inflation wohl noch weiter nach unten korrigiert werden muss. Den Forderungen des Bundesverbandes möchte die Bundesbauministerin trotzdem nicht nachkommen. Sie wirft der Baubranche „Innovationslosigkeit“ vor.

Anders als auf Bundesebene verläuft die Kommunikation zwischen dem BBU und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen „eng und vertrauensvoll“. Das teilte Sprecher Martin Pallgen auf Anfrage der Berliner Zeitung mit. Dennoch gibt es eine Reihe von Problemen, deren Lösung gefunden werden muss. In Berlin sollte der Fokus laut Pallgen vor allem auf den Bauüberhang gelegt werden. Damit sind Wohnungen gemeint, die bereits genehmigt, aber noch nicht fertiggestellt wurden. Nach Angaben des Senats besteht in Berlin derzeit ein Bauüberhang von mehr als 65.000 Wohnungen.

Der Bauprozess muss schneller und billiger werden

Die genauen Gründe für die baulichen Verzögerungen liegen der Senatsverwaltung nicht vor. Pallgen geht jedoch davon aus, dass in erster Linie der „Fachkräftemangel, Materialknappheit und gestiegene Preise“ dafür verantwortlich sind. Besonders relevant ist aber ein Faktor: „der enorm gestiegene Bauzins“. Außerdem müsse der Forderung nach einer Mehrwertsteuersenkung für Bauleistungen nachgekommen werden. Diese Entscheidung liegt aber nicht in der Hand der Senatsverwaltung, sondern benötigt eine Zustimmung durch den Bund.

David Eberhart, Pressesprecher des BBU: „Wir bauen darauf, dass sich ein neuer Senat und das neu gewählte Abgeordnetenhaus schnellstmöglich dieser Themen annehmen und in Kooperation mit den betroffenen Branchen – Bau- und Wohnungswirtschaft – Lösungen erarbeiten. Diese müssen insbesondere darauf zielen, dass Bauen nicht noch langsamer und teurer wird.“ Auf die Frage danach, wie viele geplante Bauprojekte für das Jahr 2023 bereits abgesagt wurden, kann Eberhart keine konkrete Zahl nennen.

Bauprojekte stehen auf dem Prüfstand

„Wir gehen aber davon aus, dass im Licht der Entwicklungen jedes größere Projekt, dessen Umsetzung noch nicht konkret begonnen worden ist, gründlich auf den Prüfstand gestellt wird“, so Eberhart. Im Juli dieses Jahres kann man dann genauer abschätzen, wie viele Projekte tatsächlich realisiert werden. Fest steht jedoch, dass unzählige Wohnungen auch in diesem Jahr nicht vollendet werden. Nur wenn Genehmigungsprozesse, Materialengpässe und der Personalmangel überwunden werden, kann der Neubau von Wohnungen in Berlin wieder vorangetrieben werden.