Laut einer Dokumentation des Fernsehsenders ProSieben soll ein ungenannter AfD-Funktionär in einem Treffen mit einer rechtsextremen Influencerin folgendes gesagt haben: „Die AfD ist wichtig; und das ist halt schizophren, das haben wir mit Gauland lange besprochen: je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.“ Zum Thema, dass viele Migranten nach Deutschland kämen, soll der Mann gesagt haben, das nütze der AfD ebenfalls. Es sei zwar bedauerlich für die nächste Generation, aber der Mann bot eine Lösung an für die Migranten, die es nach Deutschland geschafft hätten. So soll er gesagt haben: „Wir können die nachher immer noch alle erschießen, das ist überhaupt kein Thema, oder vergasen, oder wie du willst, mir egal.“
Das Gespräch wurde heimlich gefilmt, war Teil einer ausführlichen und sehr beklemmenden Reportage über den Aufstieg und die Stärke von Rechtsextremen in Deutschland. Allerdings war die Tonqualität nicht ausreichend, so dass die Zitate des „AfD-Funktionärs“ einem „Gesprächsprotokoll“ folgend von Sprechern nachgesprochen wurden. Die Zeit gab bekannt, dass es sich um den früheren FDP-Mann und ehemaligen AfD-Pressesprecher Christian Lüth gehandelt haben soll. Als Quelle gibt das Blatt in einem Artikel vom 28.9. um 8.34 Uhr „Datenleaks und mehrere Gespräche mit Informanten“ an. Um 15.44 Uhr schreibt die Zeit, das Blatt habe Lüth „mithilfe mehrerer Informanten eindeutig identifizieren“ können.
Nach dem Bekanntwerden der Aussagen erklärte der Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland: „Die Herrn Lüth zugeschriebenen Äußerungen sind völlig inakzeptabel und in keiner Weise mit den Zielen und der Politik der AfD und der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag vereinbar.“ Die AfD teilte mit, Lüth wegen der Aussagen fristlos entlassen zu haben. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte: „Nach den unentschuldbaren Sätzen über Migranten handelt die AfD ausnahmsweise schnell - und feuert ihren einstigen Sprecher Christian Lüth. Doch das ist nicht genug.“
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In diesem Punkt hat der Kommentator völlig recht. Allerdings handelt es sich bei den Aussagen nicht, wie die SZ schreibt, um „üble Sätze“. Es sind die vermutlich übelsten Sätzen, die aus dieser Ecke seit Jahren gekommen sind. Sie erfüllen vermutlich mehrere juristische Tatbestände, von der Volksverhetzung bis zur Ankündigung einer Straftat. Mehr noch: Wenn die Sätze so gefallen sind, handelt es sich streng genommen um nicht weniger als die Ankündigung von Völkermord gemäß der Definition der UN-Konvention zum Völkermord aus dem Jahr 1948. Hier heißt es im Artikel II, der Tatbestand des Völkermord sei bei bestimmten Handlungen erfüllt unter der Voraussetzung, sie würden „begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. In dem in der ProSieben-Doku dargestellten Kontext handelt es sich nicht um einen zweideutigen, unbedachten Stammtisch-Ausrutscher, also mitnichten um einen Vogelschiss im Repertoire der neonazistischen Vernichtungsideologie. Wenn der Satz so gesagt wurde – egal von wem –, muss es eine Strafverfolgung geben. Der Verdacht, dass jemand aus dem Inneren des bundesdeutschen Parlamentsbetriebs so etwas gesagt haben kann, gibt dem Fall eine grundlegende Bedeutung, weit über die AfD hinaus.
Daher müssen die Strafverfolgungsbehörden unverzüglich Ermittlungen einleiten. Auch der Bundestag muss sich einschalten und im Rahmen seiner Möglichkeiten eine lückenlose Aufklärung veranlassen. Die beteiligten Medien müssen den Ermittlern alle Fakten vorlegen. Auch Herr Lüth muss klagen – wenn er es nicht gewesen ist oder die Sätze nicht so gesagt hat. Für die AfD ist es nicht ausreichend, den Fall mit der fristlosen Entlassung als erledigt zu betrachten. Wenn ein auf der Gehaltsliste dieser Partei stehender Mitarbeiter, der direkt dem Fraktionschef zuarbeitet, so etwas sagt, dann wäre der Rücktritt von Gauland unumgänglich. Denn für eine Partei, in der solches Gedankengut geäußert wird, gilt das Wort von Brechts Arturo Ui: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“
Wir leben in einer teilweise hysterischen Zeit, in der jemand mit abweichender Meinung schnell als Nazi diffamiert wird. In diesem Fall jedoch liegt, wenn es sich wirklich so zugetragen hat, die mörderische Gesinnung offen auf dem Tisch. Jeder Migrant muss, wenn er so etwas hört, in Mark und Bein erschüttert sein. Indem die Demokratie die Menschenwürde aller schützt, schützt sie auch sich selbst. Die Rechtsextremen haben die Grenzen immer weiter verschoben. Hier wurde, wenn es sich so zugetragen hat, eine Linie überschritten. Sie ist rot, blutrot.