Peking - „Bo Xilai hat die Telefone von Chinas höchsten Führern abgehört und ihre Bodyguards waren seine Spione.“ Als dieses Gerücht Anfang April in chinesischen Mikroblogforen auftauchte, glaubten viele Internetbenutzer an eine krude Verschwörungstheorie. Dass Chongqings einst gefeiertem Parteichef Korruption, seiner Frau Mord und seinem Polizeichef Fahnenflucht vorgeworfen wurde, war bereits ein Politthriller, wie ihn China noch nicht erlebt hatte. Dass der hollywoodreife Plot noch einen Spionagekrimi enthalten sollte, schien der Verwicklungen zu viel.
Doch offenbar hat Bo tatsächlich die Gespräche der Spitzengenossen belauscht. Laut einem Bericht der New York Times hat die Zeitung in Parteikreisen fast ein dutzend Zeugen, die bestätigen, dass interne Ermittlungen ein ausgedehntes Abhörnetz aufgedeckt haben, mit dem Bo verfolgte, wie auf höchster Ebene über ihn gesprochen wurde. Bis zu seinem Sturz im März galt der 61-Jährige Sohn eines berühmten Parteiveteranen als Schlüsselfigur der nächsten Führungsgeneration, die im Herbst die Macht übernehmen soll.
Regierung ermittelt seit Sommer gegen Bo
Der New York Times zufolge soll die Zentralregierung allerdings bereits seit vergangenem Sommer gegen Bo ermittelt haben. Im August sei Sicherheitsbeamten aufgefallen, dass ein Gespräch von Präsident Hu Jintao in die von Bo regierte Jangtse-Metropole abgehört werde. Auch bei einem Telefonat, das Hu mit Chongqings ehemaligem Polizeichef Liu Guanglei führte, traten Unregelmäßigkeiten auf. Die zentrale Disziplinarbehörde schickte daraufhin mehrere Untersuchungsteams nach Chongqing. Diese fanden zwar weitere Verdachtsmomente, doch Bo konnte seinen Kopf offenbar vorerst noch einmal aus der Schlinge ziehen, indem er die Schuld auf seinen Polizeichef Wang Lijun abwälzte. Auch dieser stellte die Mitschnitte als Versehen dar. Schließlich hätten seine Polizisten im Rahmen einer großen Antikorruptionskampagne hunderte Telefone angezapft.
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Doch Anfang Februar eskalierte der Fall, als Wang im US-Konsulat in Chengdu politisches Asyl zu beantragen versuchte. Dem Fluchtversuch war offenbar ein Zerwürfnis mit Bo vorausgegangen, gegen dessen Familie mittlerweile Korruptionsermittlungen eingeleitet worden waren. Wang, der sich nach einer Nacht im US-Konsulat den Pekinger Disziplinarbeamten stellte, soll inzwischen gestanden haben, dass er und Bo gezielt die Telefonate der Führung abgehört hätten. Außerdem soll Wang die Ermittler auf die Spur von Bos Frau Gu Kailai gebracht haben, die vergangenen November den Mord an dem Briten Neil Heywood veranlasst haben soll. Heywood scheint der Familie geholfen zu haben, Geld ins Ausland zu transferieren.
Bos Frau droht die Todesstrafe
Auch nach den neuesten Enthüllungen bleibt in der causa Bo vieles unklar, obwohl im chinesischen Internet und in internationalen Medien fast täglich neue Details, auftauchen. Aus welchen Quellen die Informationen stammen und welche Interessen hinter ihrer Veröffentlichung stehen, ist nicht immer nachvollziehbar. Viele Angaben dürften jedoch von den Spin-Doktoren der Partei bewusst gestreut werden. Denn vieles deutet darauf hin, dass die Regierung den peinlichen Fall bald zum Abschluss bringen will. Landesweit werden derzeit Beamte in Sondersitzungen über die Ergebnisse der internen Untersuchung informiert und darin geschult, wie sie in der Öffentlichkeit dazu Stellung nehmen sollen.
Die Partei versucht die Ermittlungen als Erfolg ihrer Antikorruptionsbemühungen darzustellen. Hongkonger Medienberichten zufolge muss Bos Frau Gu Kailai mit der schwersten Strafe rechnen. Sie könnte womöglich zum Tode verurteilt werden. Bo selbst werden offenbar nur „zweitrangige Verbrechen“ vorgeworfen, sollen Teilnehmer an internen Sitzungen berichtet haben. Ex-Polizeichef Wang Lijun, dem wegen seines Fluchtversuchs auch die Todesstrafe drohen könnte, soll in Anerkennung seiner Hilfe bei der Aufklärung des Falles ein milderes Urteil bekommen.