Berlin - Dass es sich rein protokollarisch nicht um einen Staatsbesuch handelt, zeigen die seltsamen Begleitumstände: Ein Regierender Bürgermeister, der seine 19-jährige Tochter zum Treffen mit dem Auslandsbesuch mitbringt. Eine Kanzlerin, die die Gäste in ihrem Regierungssitz empfängt und europapolitische Fragen mit ihnen beredet – das aber als „privates Gespräch“ klassifiziert. Und die vielen Film- und Fototermine, bei denen aber kein einziges Wort an die deutsche Öffentlichkeit oder auch nur einen Journalisten gerichtet wird.
Denn genau um diese schönen Bilder geht es beim dreitägigen Deutschlandbesuch der Nummer 2 der britischen Thronfolge, Prinz William von Großbritannien und Nordirland, der von diesen Titeln abgesehen keinerlei offizielle Funktion trägt, dafür aber die Nummer 3 mitgebracht hat: seinen knapp vierjährigen Sohn George; sowie seine Gattin Catherine, heute Herzogin von Cambridge, davor Kate Middleton, und Töchterchen Charlotte (2).
Mitten im Ausstiegs-Poker
Bei strahlendem Sonnenschein, wie es an diesem Mittwoch oft heißt, sind sie gekommen, um – eben: Schönwetter zu machen. Denn dieser Tage beginnt zwischen der Europäischen Union und Vereinigtem Königreich der Brexit-Poker, und viel spricht dafür, dass die Verhandlungen über den britischen EU-Ausstieg hart und schmutzig werden.
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Die Interpretation, dass die Briten die Nachwuchs-Royals samt niedlichem Nachwuchs entsenden, um Deutschland milde zu stimmen, geht vielleicht zu weit. Klar ist aber, dass die harmonischen Bilder dieses Tages das Signal senden sollen, dass Bundesrepublik und Königreich auch ohne gemeinsamen Binnenmarkt enge, befreundete Verbündete bleiben wollen.
Zwar ist die Königsfamilie, die in Großbritannien über einiges an Tradition, aber keinerlei Macht verfügt, streng zu politischer Neutralität verpflichtet. Aber gerade deshalb können die repräsentativen Staatsoberhäupter mit vielsagenden Symbolen spielen. Augenfällig wird das, als sich Kate und William am Nachmittag im Amtssitz von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – dem ebenfalls repräsentativen Staatsoberhaupt, das auch im Schloss residiert – ins Goldene Buch der Bundesrepublik eintragen: Kates Kleid trifft fast die Farbe der Flagge der Europäischen Union. Vielleicht ein Zufall.
Die Symbolik der Queen
Aber erst vor einem Monat hatte Queen Elizabeth II bei der traditionellen Eröffnung des britischen Parlaments zu ähnlicher Symbolik gegriffen und zu einem ebenso blauen Kostüm auch noch einen Hut getragen, auf dem gelbe Perlen im Kreis prangten, so, als trage die Monarchin die Europafahne direkt auf dem Kopf.
Nun kann niemand wissen, welche Meinung die königlichen Hoheiten tatsächlich über das knappe, nun ziemlich genau ein Jahr alte Brexit-Votum pflegen. Umso weniger kann es schaden, wenn Enkel und Urenkel der Queen samt den umjubelten Prinzessinnen auf ihre erste Europatournee gehen – und zwar keineswegs zuerst Deutschland besuchen, sondern bewusst dessen östlichen Nachbarn Polen, woher die wohl größte Gruppe der EU-Ausländer stammt, die nun fürchtet, im Zuge des Brexits von der Insel geworfen zu werden.
Politisches Programm für Berlin
Auch in Berlin hat sich das Paar ein ernstes, teils politisches Programm zusammengestellt. Statt um Sightseeing geht es um Kinderarmut und Depressionshilfe, Holocaust und Weltkriegslehren – finstere Themen, als deren Lehre man einst Europa vereint oder zu deren Lösung eine europaweite Zusammenarbeit beitragen könnte. Immerhin haben Kate und William daheim ein eigenes Kinderhilfsprojekt gegründet. Man könnte sich vernetzen, auch ohne EU-Brüderschaft.
Von Berlin aus reisen der Herzog und die Herzogin am Donnerstag nach Heidelberg und am Freitag nach Hamburg, wo sie zum Abschluss die Elbphilharmonie besuchen. Als die echte Regierungschefin Großbritanniens, Theresa May, am Rande des G20-Gipfels vor zwei Wochen zuletzt in dem Konzertsaal saß, ließ Gastgeberin Merkel Beethovens Neunte spielen, samt Ode an die Freude: die Europahymne. Man darf gespannt auf die Symbolik sein, die sich Kate und William ausgesucht haben.