Bufdi fast unmöglich: Wie Hörbeeinträchtige in Deutschland benachteiligt werden

Berlin - Ein Fall, der im Gericht von Goslar entschieden wird, hat die Welt der Gehörlosen in den Fokus der gesellschaftlichen Debatte gerückt. Eltern eines gehörlosen Kleinkindes wehren sich vor Gericht gegen einen operativen Eingriff:  dem Einsetzen eines Cochlea-Implantates (ein elektronisches Gerät, das die Funktion des Innenohres übernehmen kann und Audiosignale an das Gehirn überträgt), mit dessen Hilfe ihr Kind hören und sprechen lernen könnte. Der behandelnde Kinderarzt hatte daraufhin das Jugendamt alarmiert.

Der Fall hat Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik der Grünen, zum Handeln veranlasst. Zusammen mit ihrer Partei hatte sie im März dieses Jahres eine Kleine Anfrage an den Deutschen Bundestag gerichtet. Ihre 37 Fragen lassen sich zu einem Hauptthema zusammenfassen: Wie ist die Lage der gehörbeeinträchtigen Menschen in Deutschland? Nun hat die Bundesregierung geantwortet.

Bundesfreiwilligendienst für Gehörlose fast unmöglich

In Deutschland sind etwa 300 000 Menschen hörgeschädigt, viele sind auf Dolmetscher angewiesen. Auf die Frage der Grünen, wie viele Menschen in diesem Beruf beschäftigt sind, konnte die Bundesregierung keine Zahlen liefern. Die Zuständigkeit liege bei den Ländern, heißt es in dem Antwortschreiben.

In dem Frage-Antwort-Dialog zwischen Partei und Bundesregierung wurde deutlich, dass es Gehörlosen fast unmöglich ist, einen Bundesfreiwilligendienst zu absolvieren. Es gebe für diesen Zeitraum keine Fälle der Kostenübernahme im Bundesfreiwilligendienst. „Da der Bundesfreiwilligendienst kein Arbeitsverhältnis ist, können diese Assistenzleistungen nicht in Anspruch genommen werden“, heißt es in dem Antwortschreiben des Bundestages.

„Engagement von hörbeeinträchtigten Menschen offensichtlich nicht gewollt“

Es bestehe allerdings die Möglichkeit 100 Euro im Monat für einen „besonderen Förderbedarf“ zur Verfügung zu stellen. Ein Gebärdendolmetscher nimmt in Deutschland für seine Dienste etwa 75 Euro pro Stunde. „Das ist lächerlich“, teilten die Grünen mit. „Wer von gleichberechtigter Teilhabe redet, sollte sie auch ermöglichen. Das Engagement von hörbeeinträchtigten Menschen ist offensichtlich nicht gewollt. Bisher hat kein einziger stark Hörbeeinträchtigter jemals einen Bundesfreiwilligendienst absolviert. Das ist auch nicht verwunderlich, denn eine Kostenübernahme für Gebärden-DolmetscherInnen ist nicht vorgesehen“, sagte Rüffer dieser Zeitung.

Und auch in Sachen Integration sind keine ausreichenden Angebote vorhanden. So gab es im 2. Halbjahr 2017 in ganz Deutschland sieben Integrationskurse für Geflüchtete mit Hörbeeinträchtigung – fünf davon in NRW. „Wenn sich Geflüchtete integrieren sollen, müssen sie auch die Möglichkeiten dazu haben. Viele hörbeeinträchtigte Geflüchtete haben also de facto gar keinen Zugang zu Integrationskursen“, kritisiert Rüffer.

„Bruchstückhaftes“ Bewusstsein für Gehörlose

Julia Probst ist gehörlos, bloggt dazu und nennt sich bei Twitter selbst „Inklusionsaktivistin“. Sie attestiert dem deutschen Staat nur ein „bruchstückhaftes“ Bewusstsein für Gehörlose und nennt einige Beispiele, in denen es für sie im Alltag besonders schwer ist. „Die Bundestagsdebatten in den Sitzungswochen werden nur donnerstags von 9 Uhr bis 12 Uhr, also in der Kernzeit,  barrierefrei mit Untertitel und Gebärdensprache online übertragen. Auf dieser Basis ist es also für Gehörlose so gut wie nicht möglich, alle wichtigen politischen Entscheidungen jederzeit barrierefrei mitverfolgen zu können.“

„Man kann das sehr gut als Behinderten-Apartheid bezeichnen“

Gesellschaftlich, so erzählt sie, müssten sich Gehörlose oft unterstellen lassen, dass es unverschämt sei, sich über die Qualität der Untertitel zu beschweren – man solle doch froh sein, dass überhaupt etwas mit Untertitel komme, so Probst.

„Es wird oft verlangt, dass man als Mensch mit Behinderung möglichst keine Ansprüche stellen soll. Wir sollen uns damit zufrieden geben, was Nichtbehinderte sich für uns ausgedacht haben - nach dem Motto: ‚Wir wissen besser als ihr selbst, was ihr braucht.‘  Diese Haltung, so Probst, resultiere aus der Trennung nichtbehinderter Menschen und Menschen mit Behinderung von klein auf. „Man kann das sehr gut als Behinderten-Apartheid bezeichnen.“ Die Folgen dessen reichen in alle gesellschaftlichen Ebenen.

Auch einen einfachen Notruf abzusetzen ist für Gehörlose schwer, erzählt sie. Es gäbe die Möglichkeit ein Fax zu senden, „was aber, wenn es brennt oder ein Einbrecher im Haus ist? Bis heute würde es keine Möglichkeit geben, auf einfachem Wege die Feuerwehr oder die Polizei zu benachrichtigen.