Angela Merkel in Auschwitz: Die Erinnerung ist teil der deutschen Identität

Sie empfinde "tiefe Scham" angesichts der Verbrechen, die Deutsche dort begangen hätten, sagte die Kanzlerin. Einen Schlussstrich könne es nie geben. 

Oswiecim-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich tief betroffen angesichts der von den Nationalsozialisten im deutschen Konzentrationslager Auschwitz begangenen Gräuel geäußert. Sie „empfinde tiefe Scham“, sagte Merkel am Freitag bei ihrem ersten Besuch im ehemaligen  Konzentrationslage in Anwesenheit des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im  ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz.AFP/John Macdougall
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Foto: dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verneigt sich nach einer Kranzniederlegung an der Todesmauer.
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Angesichts der Verbrechen, die die Grenzen alles Fassbaren überschritten, müsse man vor Entsetzen eigentlich verstummen, sagte Merkel. Dennoch dürfe das Schweigen nicht die einzige Antwort sein. Deutschland sei verpflichtet, die Erinnerung an die damaligen Verbrechen wach zu halten. Die Kanzlerin betonte, es sei wichtig, deutlich zu benennen, dass damals Deutsche die Täter gewesen seien. Dies sei man auch den Opfern schuldig. Die Verantwortung für die damaligen Taten gehörten untrennbar zu Deutschland, sie seien fester Teil der nationalen Identität.  Die Verpflichtung zur Erinnerung an die NS-Verbrechen sei „nicht verhandelbar“ und gehöre „untrennbar zu unserem Land“. 

"Wir erleben einen besorgniserregenden Rassismus"

Merkel betonte bewusst, dass es sich um ein deutsches Konzentrationslager handelte. Warschau ist immer wieder dagegen vorgegangen, dass durch irreführende Formulierungen wie „polnisches KZ“ der Eindruck erweckt wurde, Polen habe eine Mitverantwortung für die Vernichtungspolitik der deutschen Nationalsozialisten getragen. Merkel sagte, es sei wichtig, „diese Tatsache zu benennen“. „Das sind wir den Opfern schuldig und uns selbst“, hob Merkel hervor.

Die Kanzlerin verwies darauf, dass die Erinnerung an die NS-Verbrechen „in diesen Tagen“ besonders wichtig sei. „Denn wir erleben einen besorgniserregenden Rassismus, eine zunehmende Intoleranz, eine Welle von Hassdelikten.“ Merkel beklagte „einen Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie und einen gefährlichen Geschichtsrevisionismus“. Alle müssten klar machen: „Wir dulden keinen Antisemitismus.“ Einen „Schlussstrich“ unter das Gedenken könne es nicht geben „und auch keine Relativierung“, sagte sie mit Blick auf Bestrebungen erstarkender rechtsnationaler und rechtsradikaler Kräfte, die deutsche Erinnerungskultur zu revidieren.

Angela Merkel kam wegen des 10. Jahrestags der Stiftung Auschwitz-Birkenau

Die Kanzlerin bezeichnete es  als großes Geschenk, dass es nach den Nazi-Gräueln heute in Deutschland wieder ein blühendes jüdisches Leben gebe. Das gleiche fast einem Wunder.

Auch Polens Ministerpräsident warnte beim Besuch der Kanzlerin in Auschwitz-Birkenau vor dem Vergessen. Es gebe immer weniger Zeitzeugen. Umso größer sei die Verpflichtung, die Erinnerung zu bewahren und zu pflegen. „Wenn die Erinnerung geht, hätten wir zum zweiten Mal diese Menschen verletzt, die hier so gelitten haben.“ Der polnische Staat verpflichte sich, die Erinnerung an die Verbrechen von Nazi-Deutschland aufrechtzuerhalten. Merkel zeigte sich erfreut, bei ihrem Besuch Zeitzeugen begrüßen zu dürfen. Diese hätten immer wieder aus ihrer Leidenszeit berichtet. Sie teilten ihre Geschichte, damit jüngere Menschen davon lernen könnten. „Sie zeigen wahrhaft menschliche Größe. Ich bin sehr dankbar, dass wir von Ihnen lernen dürfen“, sagte die Kanzlerin.

Anlass für Merkels Besuch ist das zehnjährige Bestehen der Stiftung Auschwitz-Birkenau, die sich für den Erhalt der Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Lagers einsetzt. Angesichts der historischen deutschen Verantwortung stellen Bund und Länder für die Erhaltung der Gedenkstätte zusätzlich insgesamt 60 Millionen Euro zum Kapitalstock der Stiftung zur Verfügung. Merkel wurde unter anderem vom Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, begleitet.

Das nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau im von Deutschland besetzten Polen gilt weltweit als Symbol für den Holocaust. Nach Schätzungen starben dort mehr als eine Million Menschen, zumeist Juden.