„Bundesregierung im Kern landwirtschaftsfeindlich“: Wer steht für deutsche Bauern ein?
Während deutsche Bauern demonstrieren, können niederländische Landwirte künftig politische Entscheidungen beeinflussen. Ist eine deutsche Bauernpartei die Lösung?

Auf den Straßen liegt Asbest, Kreuzungen werden von Armeefahrzeugen blockiert und im Hintergrund brennen Mülleimer. Der Horizont ist nicht zu sehen, die Sicht wird von unzähligen Traktoren versperrt. Zwischen den Fahrzeugen stehen niederländische Bauern. Sie heben Schilder in die Höhe, brüllen ihre Forderungen in alle Himmelsrichtungen und machen eines deutlich: In den Niederlanden soll sich etwas ändern.
Einige Wochen später, am Abend der niederländischen Provinzwahlen. Die ersten Prognosen erscheinen auf Bildschirmen und werden im Radio vorgelesen. Die Bauern, die noch vor wenigen Tagen in Den Haag und anderen Regionen der Niederlande demonstrierten, stehen jetzt zusammen und können es selbst kaum glauben. Ihre Partei, die Bürger-Bauern-Bewegung (BBB), ist stärkste politische Kraft geworden. Ihr Wunsch, einen drastischen politischen Wechsel herbeizuführen, ist in Erfüllung gegangen.
Bauern sorgen für ein politisches Erdbeben
Mitte dieser Woche wurde in den Niederlanden über die Zusammensetzung der zwölf Regionalparlamente entschieden. Zusätzlich beeinflusst die Wahl auch die Parteiverteilung der Ersten Kammer, die sich als Vertretung der Provinzen in der nationalen Politik versteht und mit dem Deutschen Bundesrat vergleichbar ist. Hauptaufgabe der Ersten Kammer ist es, Gesetzesentwürfe anzunehmen oder abzulehnen.
Seit Monaten befinden sich die Niederlande im Ausnahmezustand. Nachdem Premierminister Mark Rutte im vergangenen Jahr angekündigt hatte, dass die Regierung den Stickstoffausstoß bis 2030 um 50 Prozent reduzieren möchte, kam es zu unzähligen Demonstrationen. Bis zu 25.000 Menschen versammelten sich vor dem Regierungsgebäude in Den Haag. Organisiert wurden diese Veranstaltungen von der 2019 gegründeten Bürger-Bauern-Bewegung. Ihr Ziel: Die Interessen der Landwirte in das Zentrum politischer Entscheidungen rücken.
Bauern droht Zwangsenteignung
Die Partei vertritt aber nicht nur die Interessen von Bauern, sondern versteht sich auch als Stimme des ländlichen Raums in den Niederlanden. Bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren erzielte die Partei ein Prozent der Stimmen und zog mit einem Sitz in das niederländische Parlament ein. In der Zwischenzeit verschlechterte sich die Lage der Landwirte jedoch zunehmend.
Mark Ruttes Regierung kündigte an, dass etwa 30 Prozent aller Bauernbetriebe schließen müssen, damit die Stickstoffverringerungsziele erreicht werden. Mehr als 3000 Höfe sind betroffen. Sollten die Bauern sich weigern, ihre Betriebe aufzugeben, droht ihnen die Zwangsenteignung. Die Empörung der 53.000 niederländischen Landwirte war groß.
Die Einwohner des Landes, das etwa so groß wie Niedersachsen ist, sind vor allem im ländlichen Raum von der Landwirtschaft abhängig und nach den USA der zweitgrößte Agrarexporteur der Welt. Das Wahlergebnis wird die Ausrichtung der niederländischen Umweltpolitik nun erheblich beeinflussen. Während die Partei des Regierungschefs Rutte nur noch mit zehn Sitzen in der Zweiten Kammer des Parlaments vertreten ist, hat die BBB zukünftig 15 Sitze.
Gesetze zur Reform der Landwirtschaft und des Klimaschutzes kann die Bauern-Bürger-Bewegung ab jetzt blockieren, indem sie die Gesetzesentwürfe nicht annimmt. Sofern sich die BBB halten kann, könnte sie in zwei Jahren, nach den nächsten Parlamentswahlen, auch einen Einfluss auf die Regierungsbildung haben. Schon jetzt ist die Rede davon, dass die politische Stabilität durch den Wahlerfolg der Bauernpartei erheblich gefährdet sei.
Klimaziele kosten die Bauern viel Geld
Wie aber steht es um die Lage der Bauern in Deutschland? Mehr als 260.000 deutsche Landwirte kämpfen schon seit Jahren mit finanziellen Engpässen, da die Klimaziele der Bundesregierung mit steigenden landwirtschaftlichen Auflagen verbunden sind und viel Geld kosten. Karsten Schmal, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), sagt dazu: „So, wie die aktuellen Überlegungen und Gesetzesvorschläge vorliegen, wird der Umbau der Tierhaltung zu einem Rohrkrepierer.“
Zudem plant die EU ein europaweites Verbot von Pestiziden. Bis 2030 soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent reduziert werden. Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied warnt davor, da ein solches Verbot seiner Meinung nach für weitere Preissteigerungen sorgen wird. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte Rukwied: „Wenn die Bundesregierung die Vorschläge der EU, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu halbieren, mitträgt, wird der Anbau von heimischem Obst und Gemüse weiter deutlichen zurückgehen.“
In Deutschland gibt es keine bundesweit organisierte Partei, die mit der niederländischen BBB vergleichbar wäre. Die Freien Wähler arbeiten nach eigenen Angaben aber bereits mit bäuerlichen Interessenvertretern zusammen und helfen bei der Organisation von Protestveranstaltungen mit. Hubert Aiwanger, stellvertretender bayerischer Ministerpräsident und Bundesvorsitzender der Partei, bezeichnet die Bundesregierung als „im Kern landwirtschaftsfeindlich“.
„Halbierung der Tierbestände, Insekten statt Fleisch auf dem Speisezettel, Waldstilllegungen, praxisfremde Düngemittelvorschriften, Angriffe auf das Jagdrecht und Sympathien für radikale Tierschutzaktivisten sind in der Ampel guter Ton“, sagt Aiwanger. Der Wahlerfolg der niederländischen BBB zeige, dass „die vernünftige Bevölkerung große Sympathien für die Bauern hat“.
Gründen deutsche Bauern bald eine eigene Partei?
Dass niederländische Landwirte zukünftig in der Ersten Kammer des Landes vertreten sind, wäre ohne die Gründung der Bürger-Bauern-Bewegung nicht möglich. Die Berliner Zeitung hat beim Deutschen Bauernverband und einzelnen regionalen Verbänden nachgefragt, ob auch in Deutschland über eine Bauernpartei diskutiert werde. Bislang blieben alle Anfragen unbeantwortet.