Bundesverfassungsgericht entscheidet über NPD-Verbot

Die NPD in Sachsen? „So schwach wie lange nicht mehr“, sagt Michael Nattke. „Die sind zurück in den Zeiten, als sie sich in verrauchten Hinterzimmern trafen. Wenn die heute eine Versammlung planen, haben die Probleme, Räume zu bekommen.“

Michael Nattke ist Fachmann für rechtsextremistische Parteien und Strömungen. Seit Jahren arbeitet der Politikwissenschaftler, selbst einst Aussteiger aus der rechten Szene, für das Kulturbüro Sachsen und hat im Blick, was im Land zwischen Görlitz und Leipzig im braunen Bereich geschieht. „Bedeutung und Einfluss der NPD sind extrem gering geworden.“

2014 scheiterte die NPD haarscharf

Das war einmal anders. 2004 zog die NPD mit 9,2 Prozent und zwölf Sitzen in den Dresdner Landtag. Sie war fast so stark wie die SPD. 2009 schaffte sie noch einmal mit 5,6 Prozent den Sprung ins Parlament, 2014 scheiterte sie mit 4,95 Prozent haarscharf. In jenen Jahren war die NPD in Sachsen die einzige Partei, die Frust einsammelte und echten Rechtsextremisten eine Heimat bot.

Über Jahre hatten Neonazis in Sachsen Aufbauarbeit geleistet, waren in Gemeinderäte und Kreistage eingezogen, hatten Mitglieder gewonnen und versucht, symbolträchtige Gedenktage wie den der Bombardierung Dresdens für ihre Propaganda zu nutzen. Der Landtag wurde zur Bühne für Provokationen und Pöbeleien. Alles vorbei.

„Das hat nur sehr begrenzten Erfolg“

Das Auftauchen der AfD und der Niedergang der NPD sind ein und dasselbe. Nattke warnt davor, sich deshalb von einem Verbot noch einiges zu verprechen: „Das hat nur sehr begrenzten Erfolg“, meint er. Natürlich sei es sinnvoll, der Partei endgültig den Geldhahn zuzudrehen und finanzielle Unterstützung, wie sie sie nach Wahlen bekam, zu unterbinden.

Aber in den Dörfern ändere sich nichts dadurch. Das Schildchen NPD sei vielleicht weg, aber die Rechten vor Ort seien es eben nicht. Im Erzgebirge, in der Sächsischen Schweiz, wo in manchen Dörfern bei Wahlen 20 oder 25 Prozent Stimmen bei der NPD landeten, da passiere garantiert nichts. „Geld ist da überhaupt kein Argument. Die machen einfach weiter, wie sie es immer gemacht haben. Die haben doch jetzt auch kein Geld, die hören nicht auf.“

Einmal rechts, fast immer rechts

Einmal rechts, fast immer rechts. Nattke erwähnt den NPD-Kreisvorsitzenden der Sächsischen Schweiz, Thomas Sattelberg: „Wo der überall schon war?“ In der Wiking-Jugend, die verboten wurde. Bei den Skinheads Sächsische Schweiz, die verboten wurden. In der Blood&Honour-Bewegung, die verboten wurde. Heute NPD. „Die Wirkung von Verboten ist kurz“, sagt Nattke.

Dass die NPD in Sachsen so dramatisch an Bedeutung verloren habe, liegt nach seiner Meinung nicht nur am Auftauchen der AfD, sondern auch daran, dass wütende Menschen heute anders handeln: Sie wählen nicht heimlich NPD. Sie organisieren sich lokal und gehen dann offen auf die Straße. In Heidenau bei Dresden oder in Schneeberg im Erzgebirge habe die NPD anfangs noch eine Rolle gespielt, als die ersten Proteste gegen Flüchtlingsheime laut wurden. „Aber der NPD ist es nicht gelungen, landesweit die Proteste zu dominieren“, urteilt Nattke.

NPD hat an Einfluss verloren

Die Leute hätten die Dinge selbst in die Hand genomen und den Protest wie Pegida vor Ort selbst auf die Beine gestellt. „Pegida war der Startschuss“, meint der Extremismusforscher: „Selber auf die Straße gehen, selber machen.“ Die NPD, die anfangs auch in Dresden vorne bei Pegida mitlief, habe zusehends an Einfluss verloren. Die selbst organisierten Proteste in Freital, Clausnitz, Dresden, Chemnitz oder Meißen seien so groß gewesen, dass die NPD darin schlicht und einfach unterging.

NPD-Reste sind noch da, wie der Vorfall um den Bautzener CDU-Landrat Michael Harig zeigte. Harig hatte trotz heftiger Proteste offen mit dem dortigen NPD-Kreisvorsitzenden über die Lage in Bautzen gesprochen und den Rechtsextremisten so ein wenig Aufmerksamkeit und eine gewisse Bedeutung verschafft.

Noch 450 Mitglieder in Sachsen

Aber die braune Marschmusik machen längst andere. Die NPD hat in Sachsen noch 450 Mitglieder und 70 kommunale Mandate, zum Beispiel zwei im Dresdner Stadtrat, zwei im Görlitzer Kreistag, drei im Kreis Meißen, fünf im Kreis Sächsische-Schweiz-Osterzgebirge, vier im Erzgebirge, im Kreis Mittelsachsen einer, drei im Vogtland, drei im Kreis Leipziger Land. „Außer Totalopposition und manchmal Geschimpfe kommt gar nichts von denen“, sagt Nattke.

Rechtsextreme Wohnprojekte, Hausaufgabenhilfe oder Kinderbetreuung durch Neonazis? „Es gibt hier nichts dergleichen“, sagt Nattke. In Mecklenburg-Vorpommern habe es das gegeben, aber da sei es auch mehr Propaganda als brauner Alltag gewesen. Auch das berüchtigte Pressefest der Zeitschrift Deutsche Stimme im nordsächsischen Riesa sei längst Geschichte. Die Feier wurde vor Jahren auf ein Privatgelände nach Niesky ausgelagert. „Vollkommen irrelevant, alles eingeschlafen.“

Kleingruppen machen weiter

Für den Fall, die NPD würde am Dienstag vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verboten: „Hier auf den Dörfern ändert das nichts“, meint Nattke. „Wer rechtsextrem ist, wird es weiter sein. Die Kleingruppen machen weiter, unter welchem Namen auch immer. Traurig, aber wahr.“

Um wirklich Erfolg gegen Neonazis und Fremdenhasser in den Dörfern zu haben, müssten andere Dinge passieren: „Polizei und Justiz müssten rechte Straftaten schnell und konsequent verfolgen und aburteilen. Nur das würde Eindruck machen“, sagt Nattke. „Verbote nützen nichts.“