Bundeswehr: „Ich will einen Hubschrauber, der fliegt" – Generalinspekteur Eberhard Zorn im Interview

Berlin - Herr Zorn, die Bundeswehr soll wegen neuer Aufgabenbereiche wieder wachsen. Die für 2018 gesetzte Zielmarke von 182.000 Soldaten haben sie allerdings nicht ganz erreicht. Was bedeutet das?

Es gibt keinen Anlass zur Panik, weder von der Zahl her noch von der Qualität unserer Bewerberinnen und Bewerber. Unser Bewerberaufkommen ist in den vergangenen Jahren konstant hoch gewesen. Wir sind eine Organisation, die wächst. Daher werden wir auch immer offene Stellen haben.

Wo bestehen die größten Lücken?

Im Schnitt sind 15 Prozent der Dienstposten nicht besetzt. In vielen Fällen sind die passenden Leute auch schon da, aber noch in der Ausbildung für den jeweiligen Posten. Es gibt aber etwas größere Lücken bei der IT, bei Ärzten, bei Personalmanagement und Logistik. Da müssen wir uns auch gegen gute Jobangebote aus der Wirtschaft durchsetzen. Wir zahlen daher für bestimmte Positionen jetzt Prämien. Wichtig ist auch, dass Material und Ausrüstung stimmen. Wo wir noch Nachbesserungsbedarf haben, ist die Karriereplanung. Hier müssen wir verstärkt Perspektiven aufzeigen und Hürden abbauen.

Was meinen Sie?

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Zeitsoldaten müssen sicher sein können, dass ihre Tätigkeiten auch im Zivilbereich als Berufsabschluss anerkannt werden. Die Einstufung im öffentlichen Dienst muss attraktiver werden, vor allem bei den unteren Dienstgraden. Wir stehen uns mit eigenen Laufbahnauflagen manchmal selbst im Weg. Zum Beispiel ist strikt festgelegt, dass ein Soldat, der im Personalmanagement aufsteigen will, eine kaufmännische Ausbildung vorweisen muss. Wenn dann jemand aber Schreiner gelernt hat, kommt er nicht zum Zug, selbst wenn er sich schon mehrere Jahre bei uns in der Personalabteilung bewährt hat. Da müssen wir flexibler werden. Das sind wir dran.

Aber etwa bei gut bezahlten IT-Jobs kann die Bundeswehr nicht konkurrieren.

Wir können im IT-Bereich sehr wohl konkurrieren. Die Aufgabe ist bei uns spannend. Wichtig ist, ein gutes Gesamtangebot zu machen. Das geht vom Gehalt über eine gute Ausbildung, wie z.B. mit dem Studiengang Cybersicherheit bis zur Zusage, in einer bestimmten Stadt bleiben zu können. Planungssicherheit ist für viele wichtig. Es gibt ja auch genügend Lehrer, die nicht in die Wirtschaft gehen, obwohl sie da mehr verdienen könnten.

„EU-Bürger sind in der zivilen Bundeswehr nicht neu“

Gilt die Flexibilität auch für die Einbindung von EU-Ausländern in die Bundeswehr?

Der Punkt ist nur einer von vielen Erwägungen in der Personalstrategie der Bundeswehr. EU-Bürger sind in der zivilen Bundeswehr nicht neu, im soldatischen Bereich diskutieren wir auch nur über sehr spezielle Posten. Allein auf diesem Weg bekomme ich die vakanten Dienstposten nicht alle besetzt. Außerdem wollen wir ja den anderen EU-Staaten keine Konkurrenz machen bei der Gewinnung von militärischem Personal. Darauf nehmen wir Rücksicht.

Kriegen Sie die Lücke geschlossen, wenn Sie die Pensionierungsgrenzen verschieben?

Noch ist dazu nichts entschieden. Es gibt für Soldaten eine allgemeine Altersgrenze und eine besondere, die darunter liegt. Der gesetzliche Rahmen bleibt derselbe. In den Zeiten, in denen die Bundeswehr geschrumpft wurde, haben wir die meisten Soldaten früher nach Hause geschickt, mit Rückgriff auf die besondere Altersgrenze. Jetzt, wo die Bundeswehr wächst, orientieren wir uns wieder stärker am gesetzlichen Regelfall als an der Ausnahme – natürlich immer unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Einzelnen.

Das gibt keinen Ärger?

Es entspricht der Entwicklung in der Gesellschaft und ist zumutbar. Natürlich wird es individuelle Absprachen geben. Wichtig ist auch der Vertrauensschutz: Wer schon einen zugesagten Zeitplan für die Pensionierung hat, der soll den auch behalten.

„Das ist weder sinnvoll noch praktisch“

Muss die Bundeswehr auch an anderer Stelle pragmatischer werden? Die Klage über Ausrüstungsmängel gehört zum Alltag und es gilt schon als Erfolg, wenn von Zehntausenden fehlenden Nachtsichtbrillen im Jahr 4000 besorgt werden.

Die Ausstattung mit Nachtsichtgeräten ist ein Erfolg, und weitere Erfolge werden sich Schritt für Schritt einstellen. Wir haben für das Haushaltsjahr 2019 die geplanten Mittel für Rüstungsinvestitionen deutlich steigern können – um 38 Prozent. Jetzt geht es um eine noch effektivere Umsetzung. Wir haben in der Vergangenheit ein Beschaffungssystem entwickelt, das sowohl für ein komplexes Waffensystem gilt wie für die Ausrüstung von Soldaten. Der Kauf eines Schiffs lief also auf dieselbe Weise ab wie der einer Wollmütze, obwohl das eine deutlich komplexer ist als das andere. Das ist weder sinnvoll noch praktisch, hier steuern wir um. Wir haben schon ein erstes Beispiel: Als vergangenes Jahr Zelte fehlten, haben wir uns die unkompliziert auf dem Markt besorgt. Es gibt ja genügend Anbieter – mit guten Zelten in allen Farben.

Funktioniert der Pragmatismus auch bei militärischem Gerät?

Ja, wenn der Markt etwas Geeignetes hergibt. Dieses Jahr wollen wir schwere Transporthubschrauber anschaffen. Wir können hier möglicherweise aus dem Regal bestellen. Solche Gelegenheiten gilt es zu nutzen, auch wenn kein deutsches oder zumindest europäisches Produkt verfügbar ist. Aber irgendwann muss man entscheiden, was man haben will. Ich weiß, was ich haben will: Ich will einen Hubschrauber, der fliegt und die militärischen Anforderungen erfüllt.

Instandhaltung war immer eine Kernkompetenz. Muss das die Truppe können, oder kann man da privatisieren?

Manches muss die Truppe selber können, gerade die Tätigkeiten, die im Einsatz erforderlich sind. Aber Auslagerung kann auch gut funktionieren: Australien zum Beispiel hat die Wartung seines Hubschraubers NH90, den auch die Bundeswehr fliegt, auf private Firmen verlagert. Das ist zwar teurer, sorgt aber für eine höhere Einsatzquote ,als wir sie haben. So etwas muss man ins Auge fassen.

„Wir brauchen europäische Standards“

Es gibt manchmal jahrelange Verzögerung bei der Lieferung von Großprojekten. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Wir müssen auch bei Rüstungsprojekten sehen, dass wir uns nicht mit unseren Anforderungen überschlagen. Wir brauchen europäische Standards, die wir für unsere Nutzung in Deutschland übernehmen können. Wir haben in der Vergangenheit auch Rucksäcke projektiert, die mehr Nässe vertragen als in der Realität je auftreten wird. Wir wollen manchmal von vielem zu viel. Ich hätte lieber heute eine 80-Prozent-Lösung, die funktioniert, als eine 100-Prozent-Goldrandlösung, mit der wir erst in 15 Jahren arbeiten können. In die Richtung gehen wir jetzt.

Das Problem sind oft explodierende Kosten. Die gibt es aktuell auch bei der Instandsetzung des Segelschulschiffs Gorch Fock. Kann sich die Bundeswehr dieses Schiff noch leisten?

Die Sprünge bei den Kosten für die Reparatur der Gorch Fock sind schon sehr hoch. Aber Geld ist nicht der alleinige Faktor. Auf einem Segelschulschiff gibt es eine seemännische Basisausbildung, die sehr wichtig ist. Das beginnt dabei, zu erleben, wie ein Schiff durch Handarbeit durch die Weltmeere segelt, und geht bis zur Teamerfahrung.

„Die Gorch Fock hat einen tollen Ruf“

Die Ausbildung ist also gut. Ist sie auch notwendig? Und muss sie unbedingt auf der Gorch Fock stattfinden?

Die Segelausbildung auf einem Großsegler halte ich generell für sinnvoll. Die Gorch Fock ist ein Traditionsschiff und hat einen tollen Ruf als Deutschlands Botschafter auf den Meeren. So lange man sie reparieren kann und das preislich in einem vernünftigen Rahmen bleibt, ist es schön, wenn wir sie behalten können.

Vernebelt das Hängen an der Tradition den Blick auf die Probleme?

Das glaube ich nicht. Der Wert der Ausbildung auf dem Segelschulschiff ist heute so aktuell wie vor 60 Jahren.

Der Bundesrechnungshof hat festgestellt, dass die Bundeswehr der Ministerin fehlerhafte Unterlagen zur Entscheidung vorgelegt hat. Wie kann das sein?

Das analysieren wir. Wenn wir uns auf unsere eigenen Zahlen nicht verlassen könnten, wäre das schon gravierend. Zusätzlich steht noch ein Korruptionsverdacht im Raum. Die Lage ist insgesamt ausgesprochen schwierig.

Gibt es in der Truppe Angst, Probleme nach oben zu melden?

Bis vor ein paar Jahren hatten wir ein Meldewesen, das nicht sehr aussagekräftig war. Das wurde stark verbessert. Jetzt ist Transparenz und Offenheit gegeben. Das gilt gleichermaßen für Probleme wie für Fehlverhalten. Wir hatten früher sicher nicht weniger Fälle, aber es wird heute aufgrund gestiegener Sensibilität eben mehr gemeldet.

Einer der Paukenschläge der vergangenen Tage war der Rückzug Deutschlands aus der EU-Mittelmeermission Sophia. Wie ist das militärisch zu begründen?

Unsere Schiffe wurden abseits der Schmuggelrouten eingesetzt, also außerhalb des Kerngeschehens. Wir hatten einen Auftrag, aber am zugewiesenen Ort ist in den letzten Monaten nichts passiert. Die Soldaten haben beobachtet und ansonsten ihre Übungen abgehalten, wie Brandbekämfung oder „Mann über Bord“. Ich erwarte, dass die EU jetzt zu einer Lösung kommt. In der Zwischenzeit macht unser geplantes Nachfolgeschiff etwas Sinnvolles – nämlich mehrere Nato-Übungen in Nord- und Ostsee. Wenn der entsprechende Beschluss kommt, sind wir in zehn Tagen wieder im Mittelmeer.