CDU-Parteitag: Wandern mit Merkels Kompass
LEIPZIG - Friedrich Merz steht in der drittletzten Reihe und klatscht. Er hat sich wie alle eintausend Delegierten des CDU-Parteitages in Leipzig von seinem Platz erhoben und zollt der Vorsitzenden seinen Beifall. Eine Stunde lang hat Angela Merkel gesprochen und sich und ihre Politik erklärt. Und zwar so eindringlich, dass auch Friedrich Merz sich der großen Zustimmung, die nun im Saal herrscht, nicht entziehen mag.
Das ist bemerkenswert, weil der frühere Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einst zu den Helden des Leipziger CDU-Parteitages von 2003 gehört hat, der gesellschaftspolitisch ungefähr die entgegengesetzte Richtung dessen beschloss, was Merkel nun gerade vertreten hat. Und weil er immer wieder als Alternative genannt wird, sollten die Vorsitzende und ihre Vertrauten doch einmal das Vertrauen der Partei verlieren.
Doch danach sieht es nun gerade nicht aus. Und auch dafür ist der Beifall von Friedrich Merz ein sichtbares Zeichen. Angela Merkel hat gerade die wahrscheinlich beste Rede ihrer Karriere gehalten. Und doch tobt der Parteitag nicht vor Begeisterung. Es gibt keine Angie-Angie-Chöre wie bei früheren Kongressen, keine Hochrufe und kein Füßetrampeln. Es gibt minutenlangen, intensiven, irgendwie sehr ernsten Beifall. Er entspricht dem Ton, den die Kanzlerin vorgegeben hat. Sie hat jeder Versuchung widerstanden, Stimmung zu machen mit Attacken auf die Opposition oder mit Seitenhieben auf den schwierigen Koalitionspartner FDP. Das wäre einfach gewesen und gehört eigentlich zur Dramaturgie von Parteitagreden, zur Pflege des Wir-Gefühls. Doch die anderen kommen einfach gar nicht vor in dieser Rede, in der nur eine im Mittelpunkt steht: Angela Merkel mit ihrer CDU.
Sie trägt einen schwarzen Hosenanzug, der einen perfekten Kontrast zu dem blauen Hintergrund der Bühne bildet. Der die Konzentration auf die kleine Frau an der Stirn der riesigen Halle fördert, in der es ganz still wird, als sie ans Redepult tritt. Wie wird sie den Unmut in der Partei über die ständigen Kurswechsel auffangen? Wie die sich verbreitende Frustration über den Niedergang der Koalition, die Wahlniederlagen der CDU und die trübsinnigen Umfragewerte bekämpfen?
Das Bild ist arg schief
Angela Merkel beginnt damit, woran hier viele denken, nicht zuletzt Friedrich Merz: mit dem Leipziger Reformparteitag 2003, von dem man sagen könnte, dass er die CDU auf einen neoliberalen Irrweg geführt hat. Doch ihre Interpretation ist eine ganz andere. "Wir haben damals gesagt: Deutschland kann mehr. Wir wollen Deutschland ganz nach vorn bringen, unter die ersten drei in Europa. Wir haben dieses Ziel erreicht." Die Delegierten hören interessiert, abwartend zu. Jeder weiß hier, dass das zwar stimmt, aber eben auch nur die halbe Wahrheit ist. Die entscheidenden Reformen hat Gerhard Schröder mit Rot-Grün in die Wege geleitet, und dann folgte die große Koalition. Irgendwelche Verdienste von Schwarz-Gelb sind nicht erkennbar.
Doch Angela Merkel zielt auf einen anderen Punkt. Sie will sagen, dass die CDU unter ihrer Führung die damals richtigen Dinge beschlossen hat, in einer anderen Zeit, unter anderen Rahmenbedingungen. Aber dass dies auf der Grundlage eines festen Wertefundaments geschehen sei, das seit 65 Jahren der feste Kompass für die CDU sei. Das Bild ist arg schief, was ist schon ein fester Kompass? Und doch ist dies das Schlüsselwort dieser Rede: der Kompass.