Chiles Atacama-Wüste: Friedhof für gebrauchte Kleidung
In China produziert, in Europa konsumiert: Tausende Tonnen Second-Hand-Klamotten kommen jährlich in Chile an. In der Wüste wächst ein gigantischer Kleiderberg.

Alto Hospicio-Alle paar Jahre, wenn besonders viel Regen fällt, verwandelt sich der trockenste Ort der Welt in ein blau-violettes Farbenmeer. Die Farbkleckse, die sich nun bei Alto Hospicio durch die Atacama-Wüste im Norden Chiles ziehen, sind jedoch keine duftenden Blumen, sondern gebrauchte Klamotten. Tausende Hosen, T-Shirts und Pullover stapeln sich und bilden selbst Berge, verschandeln die hügelige Landschaft.
Chile ist einer der größten Importeure von Altkleidern in Lateinamerika. In der nahe gelegenen Freihandelszone von Iquique kamen in diesem Jahr bis Oktober 29.178 Tonnen gebrauchter Kleidung an, wie der Geschäftsführer des Verbandes der dort ansässigen Unternehmer, Darío Blanco, sagt.
Tonnenweise Altkleider verschandeln das Naturparadies
Ballenweise wird die Ware im Hafen entladen. Etwa 50 Importeure verkaufen die besten Stücke daraus, die anderen – schätzungsweise 40 Prozent – sortieren sie aus. „Diese Kleidung wird in den Bergen unserer Gemeinde entsorgt“, sagt Alto Hospicios Umweltbeauftragter Edgar Ortega. Bis zu 20 Tonnen alter Kleider landen so pro Tag in dem einzigartigen Naturparadies, seit Jahren geht das so.
Die größte Herausforderung für die Modeindustrie sei die Abfallmenge, die durch Fast Fashion entsteht, heißt es in einer Mitteilung der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Die Bewohner von Alto Hospicio sehen sich dabei als Ende einer Kette, bei der in China produziert, in Europa oder den USA konsumiert und in Chile entsorgt wird.

Die Stadt ist laut Ortega finanziell und personell kaum in der Lage, das Abladen zu verhindern, geschweige denn die Mülldeponie zu beseitigen. Gerade einmal fünf Inspektoren würden versuchen, jene zu erwischen, die die Altkleider in die Wüste kippen. „Das Problem entsteht viel früher“, sagt Ortega. Dadurch, dass die Kleidung aus anderen Ländern nicht als Textilmüll deklariert ist, sei nicht klar, wie die aussortierte Importware entsorgt werden soll. „Solange das nicht gelöst ist, werden wir die Situation nicht ändern.“
Camila Palma schmerzt es, wenn Kleidung als Müll bezeichnet werden soll. Palma ist Inhaberin von einem der vielen Second-Hand-Läden in der Hauptstadt Santiago de Chile. Weil große Konkurrenz herrscht, haben sich viele Läden spezialisiert – „Angora Vintage“ im charmanten, europäisch geprägten Viertel Paris-Londres im Stadtzentrum setzt vor allem auf Mode der 60er-, 70er- und 80er-Jahre.
Inhaberin Palma schwärmt am Telefon von Kleidung „Made in Germany“. Sie sagt: „Es gibt sehr gute Qualität, gute Fasern, gute Stoffe; wie ein Kleidungsstück gemacht wird, das gefällt mir.“ Palma weiß, wovon sie spricht: Die 35-Jährige hat Modedesign studiert. „Angora Vintage“ kauft auch keine Ballen, sondern die Stücke werden einzeln auf Märkten und Messen ausgesucht.

„Jetzt ist viel Plastik in der Kleidung, das ist das Problem“, sagt Palma. Sie wählt lieber alte Teile aus 100 Prozent Baumwolle, damit ein Kleidungsstück nicht jedes Mal, wenn es gewaschen wird, die Umwelt verschmutzt. „Das ist sehr wichtig, um einen nachhaltigen Laden zu haben.“ Ein einziges Teil aus Polyester kann laut Greenpeace bei einer Wäsche bis zu eine Million Mikroplastikfasern freisetzen.
In Alto Hospicio wird die Umwelt außerdem verschmutzt, wenn die Kleidung angezündet wird, um Platz zu schaffen. „Für gewöhnlich ist es ein großer Brand im Jahr“, sagt der Umweltbeauftragte Edgar Ortega. Die Feuerwehr versuche mit Wasser zu löschen, aber der Brand schwele noch Tage weiter.
All dies mag nicht so recht zu Chile passen, das in vielerlei Hinsicht fortschrittlich in Lateinamerika ist, sich etwa von Plastiktüten in Geschäften verabschiedet hat oder über ein Recycling-Gesetz nach dem Vorbild Europas verfügt. Es verpflichtet Unternehmen, sich um den Müll zu kümmern, den sie erzeugen. So hat man in Alto Hospicio eine Arbeitsgruppe mit dem Umweltministerium gebildet, um gebrauchte Kleidung in dieses Gesetz aufzunehmen.
Über eine gesetzliche Verpflichtung hinaus appelliert Blanco an die Importeure, unternehmerische Verantwortung für das Müllproblem zu übernehmen. „Wir werden die Formel suchen, um die aussortierte Kleidung wiederzuverwerten.“
Das Unternehmen Ecofibra in Alto Hospicio macht aus Altkleidern bereits Isoliermaterial. Bisher kann es drei Tonnen am Tag verarbeiten. Blanco schwebt vor, dass die Importeure beispielsweise mehr Maschinen für Ecofibra bereitstellen oder sich um Alternativen bemühen. „Klar ist: Sie müssen sich dessen annehmen, was übrig bleibt, sie können es nicht weiter wegschmeißen.“