Conchita Wurst: „Die Dinge brauchen Zeit“

Die einen sagen so, die anderen so. Die einen halten sie für eine Eintagsfliege, die keinen Hit mehr hatte nach ihrem Sieg beim diesjährigen Eurovision Song Contest. Die anderen sind sich sicher: Ihr weltweiter Durchbruch steht kurz bevor. Conchita Wurst polarisiert.

Zu ihren Feinden gehört der schwule Schriftsteller Philipp Tingler. Sie sei, frotzelte er unlängst im Zürcher Tages-Anzeiger, eine „schnulzensingende Drag Queen“, und komme, „wie viele Phänomene, die ein bisschen provinziell und hinterher sind“, aus Österreich. Auch der Putin-Vertraute und russische Bahn-Chef Wladimir Jakunin nahm kein Blatt vor den Mund: Conchita Wurst und ihren Anhängern wirft er eine „abnormale Psychologie“ vor, zum Glück gebe es in Russland jetzt eine Bewegung: „Männer, rasiert euch! Seid keine Weiber!“

Spenden sammeln

In Österreich hingegen wirbt die Jugendorganisation der rechtsgerichteten FPÖ „für ein gerechtes Frauenbild“ und proklamiert in Abgrenzung zu dem bärtigen Superstar: „Frauen haben weder einen Bart, noch einen Penis.“ Und noch ein Gegner, Metropolit Amfilohije, höchster Bischof von Montenegro, machte die Sängerin gar verantwortlich für die Flutkatastrophe auf dem Balkan vor einigen Wochen, das sei die Reaktion Gottes gewesen auf „solche Erscheinungen“.

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Das alles ficht Conchita Wurst nicht an, seit ihrem Triumph am 10. Mai in Kopenhagen ist sie fleißig in ganz Europa unterwegs, um die Erwartungen der anderen, ihrer Fans und Freunde, zu erfüllen. In London und Madrid besuchte sie die Gay Prides, und in Berlin nahm sie am Vorabend des CSD einen Ehrenpreis ihrer schwul-lesbischen Anhänger entgegen. In Cannes warb sie mit Sharon Stone, Carla Bruni und Leonardo DiCaprio bei einer Aids-Gala für großzügige Spenden.

Auch in Wien war sie beim alljährlichen Live-Ball in gleicher Sache unterwegs, diesmal mit Bill Clinton und Ricky Martin an ihrer Seite. Und in Paris war sie umjubelter Star des Abends bei der Präsentation der Haute-Couture-Kollektion des schwulen Designers Jean Paul Gaultier. Der äußerte sich begeistert: „Sie begründet ein neues Genre: Ein Mann mit Bart, mit den Attributen der Manneskraft, aber zugleich sehr feminin. Eine unglaubliche Mischung!“

Unterdessen bereitet sich die Künstlerin bei einer kleinen Österreich-Tour auf ihr nächstes großes Ziel vor: Im kommenden Jahr will sie unbedingt den ESC moderieren, die 60. Ausgabe des Wettbewerbs, der in ihrer Heimat ausgetragen wird.

Noch hat der zuständige TV-Sender ORF nicht entschieden, ob das Jubiläumsfest in Wien, Graz oder Innsbruck stattfinden soll. Deshalb hat sich Conchita Wurst in allen drei Städten umgesehen und die lokalen Möglichkeiten für die Ausrichtung eines solchen Events erkundet. Auf die Frage, welches denn ihr Favorit sei, gibt sie sich ganz diplomatisch: „Ich würde mich überall wohlfühlen, weil eines weiß ich: Ich bin dabei.“

Inspirationsquelle für Designer

Wenn es dann soweit sein wird, im Mai 2015, gibt es vielleicht auch eine Wurst-Briefmarke. Denn Österreichs Post AG hat Briefmarkendesigner zu einem Wettbewerb aufgerufen, Thema „Und Österreich bewegt sich doch“. Bei den Entwürfen, die in die engere Auswahl gekommen sind, hat es das Conchita-Motiv mehrfach geschafft. Die ESC-Siegerin, heißt es dazu von den Veranstaltern, dient vielen als Inspirationsquelle für ihre Idee vom gesellschaftlichen Wandel. Doch der nächste ESC ist nicht das einzige Ziel von Conchita Wurst. Eine neue Platte soll es noch geben in diesem Jahr: „Sie wird gut werden, aber die Dinge brauchen Zeit.“

Zeit braucht sie auch, um ihre Vorstellungen von Toleranz und Akzeptanz in der Gesellschaft weiter voran zu bringen. Sie sei sich ihrer großen Verantwortung dabei durchaus bewusst, sagt sie in einem Interview mit dem britischen Guardian. „Ich bin nicht perfekt, ich mache nur das, von dem ich glaube, dass es richtig ist. Wenn ich also die Erwartungen der Menschen nicht erfülle, tut es mir leid, es ist aber nicht meine Schuld. Ich habe nie gesagt, dass ich die Welt verändern werde. Aber ich versuche es.“

Für ihre Gegner hat sie dabei nur geflissentliche Missachtung übrig: „Ich habe in all den Jahren erkannt, dass nur die mich verletzen können, die ich liebe. Bei den anderen, die ich nicht kenne, macht es mir wirklich nichts aus. Da gibt es Leute, die wollen mich umbringen, doch ich denk’ mir dann nur: ,Immer schön hinten anstellen, Schätzchen!’“ Und noch etwas stellt sie in dem Interview klar, sie will ihr Geschlecht nicht wechseln: „Ich liebe es, ein Mann zu sein sobald die Perücke runter ist. Also werde ich daran nichts ändern. Wie jeder andere auch, bin ich zufrieden, wenn ich nach Hause komme, meine Arbeitskleidung ablege und nur noch entspanne.“