Gab es bei den Impfungen ein „Zulassungsdesaster“? Zwei Perspektiven

Wurde geltendes Recht gebrochen bei den Zulassungen der Corona-Impfungen? Zwei Beiträge mit unterschiedlicher Perspektive.

Impfen als Massenaktion: Corona-Impfzentrum auf dem Messegelände, April 2021.
Impfen als Massenaktion: Corona-Impfzentrum auf dem Messegelände, April 2021.Michael Kappeler/dpa

Transparenz-Hinweis: An dieser Stelle hat die Redaktion der Berliner Zeitung einen Text der Autoren RA René M. Kieselmann, Prof. Dr. Gerd Morgenthaler, Dr. Amrei Müller, Prof. Dr. Günter Reiner, RA Dr. Patrick Riebe, RAin Dr. Brigitte Röhrig und Prof. Dr. Martin Schwab zu möglichen Verfehlungen bei den Zulassungen der mRNA-Impfstoffe veröffentlicht.

Die Redaktion wurde nach der Veröffentlichung mit starken Argumenten konfrontiert, die die Richtigkeit des Textes infrage stellen. Auf dieser Grundlage hatte sich die Chefredaktion der Berliner Zeitung dazu entschlossen, den Text zu depublizieren und die Vorwürfe zu prüfen. Nun hat die Redaktion die Entscheidung getroffen, den Text zu republizieren und eine Gegenrede hinzuzufügen, damit die Leser sich selbst einen Eindruck machen können. An erster Stelle steht der Ursprungstext des Autorenkollektivs, an zweiter Stelle die Gegenrede von Emanuel Wyler, Molekularbiologe am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft.

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Das Zulassungsdesaster: Lobbyarbeit und Rechtsbruch im Fall der mRNA-Präparate

Autoren: RA René M. Kieselmann, Prof. Dr. Gerd Morgenthaler, Dr. Amrei Müller, Prof. Dr. Günter Reiner, RA Dr. Patrick Riebe, RAin Dr. Brigitte Röhrig und Prof. Dr. Martin Schwab.

Während der Corona-Pandemie richtete sich die Hoffnung der Politik und vieler Bürger früh auf mögliche Impfstoffe gegen das Virus Sars-CoV-2. Diese sollten die Pandemie beenden helfen und möglichst jene Menschen schützen, die von einem schweren Corona-Verlauf bedroht waren. Deshalb war bei der Impfstoffentwicklung, die bereits im Frühjahr 2020 begonnen hatte, vor allem Schnelligkeit die Devise. Für den folgenden Text haben sich drei Rechtsprofessoren, ein Rechtsdozent und drei Rechtsanwälte aus der juristischen Praxis die Umstände und das Verfahren bei der behördlichen Zulassung der neuartigen mRNA-Präparate genau angesehen. Sie stellen dabei schwere Mängel fest und machen Vorschläge, worauf künftig besser geachtet werden muss. Es folgt der Gastbeitrag zu unserer Corona-Debatte. Die Redaktion.

Holger Friedrichs Aufforderung, „ohne Themenverbote, ohne Denkverbote“ in die Debatte über Lehren aus den Corona-Jahren einzusteigen, nehmen wir gerne an: Gesprochen werden muss über das Zulassungsverfahren für die neuartigen Corona-Impfstoffe. Hier haben wir es mit einem Skandal zu tun, aus dem wir dringend Konsequenzen für die Zukunft ziehen müssen.

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) und die EU-Kommission haben zusammen mit nationalen Behörden Gentherapeutika für eine „Impfung“ gegen Infektionskrankheiten zugelassen. Solche Injektionen sind keine Impfung im herkömmlichen Sinn. Sie widersprechen nämlich der Charakterisierung einer Impfung – wie sie sich etwa in der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates von 2001 findet (Anhang I Teil 3 Ziffer 1.2). Denn sie enthalten keine Antigene, sondern den Bauplan für Teile des Virus, Fremdstoffe, die der Körper selbst herstellen soll.

Genbasierte Arzneimittel unterliegen hohen Prüfstandards

Aufgrund dessen führt die Injektion unmittelbar dazu, dass der Körper einen Schadstoff – und nicht wie bei herkömmlichen Impfungen unmittelbar einen spezifischen Abwehr- oder Schutzstoff (§ 4 Abs. 4 AMG) – selbst herstellt, siehe Arzneimittelgesetz (AMG) § 4 Abs. 4. Die Bildung von Antikörpern und damit Schutzstoffen erfolgt erst im zweiten Schritt. Die Zulassung von Gentherapeutika als Impfung erfolgte auf einer von den allgemeinen Anforderungen an neue Arzneimittel (speziell Impfungen sowie insbesondere Gentherapeutika) abweichenden und entsprechend wissenschaftlich wie medizinrechtlich fragwürdigen Grundlage. Dieses führt zu unabsehbaren Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung. Zwei wesentliche Aspekte werden nachfolgend dargestellt.

Genbasierte Arzneimittel, die für wenige Patienten mit sehr speziellen Krankheitsbildern bestimmt sind, unterliegen hohen Prüfstandards – absurderweise nicht aber solche genbasierte Arzneimittel, die juristisch als „Impfstoffe für Infektionskrankheiten“ deklariert sind und gesunden (!) Menschen injiziert werden. Von diesen „Impfstoffen“ wurden seit 2021 Stand 2. Dezember 2022 nahezu eine Milliarde Dosen an Menschen in der EU verabreicht – bis Oktober 2022 auf Basis lediglich bedingter Zulassungen.

Dazu kam es durch den Einfluss mächtiger Lobbys: Mit der Richtlinie Nr. 2009/120/EG hat die EU-Kommission schon im Jahr 2009 ohne Mitwirkung des Europäischen Parlaments „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten“ durch rechtliche Umdefinition aus der Gruppe der besonders regulierten Gentherapeutika ausgenommen: „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten sind keine Gentherapeutika.“ Diese Definition wurde erst nach einer Stellungnahme der pharmazeutischen Industrie abgeändert. Der ursprüngliche Richtlinienentwurf hatte zugunsten des Schutzes der öffentlichen Gesundheit eine weite Definition des Gentherapeutikums vorgesehen, unter die auch die genbasierten Covid-19-Injektionen gefallen wären.

Pharmaunternehmen: Sicherheitsauflagen verteuern Produktion von mRNA-Therapeutika

Aber die Pharmaunternehmen machten unter anderem geltend, dass die im Richtlinienentwurf vorgesehenen scharfen Sicherheitsauflagen die Produktion von mRNA-Gentherapeutika wesentlich verteuern. Die EU-Kommission änderte in der Folge den Text der Richtlinie.

Der Ausschluss genbasierter Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten aus der Gruppe der Gentherapeutika erspart den Herstellern zahlreiche zeitlich und finanziell aufwendige präklinische Studien. Diese sind für die Beurteilung der Sicherheit des Arzneimittels und der an klinischen Studien teilnehmenden Personen essenziell.

Klinische Studien dürfen grundsätzlich nicht ohne die Ergebnisse präklinischer Studien begonnen werden. Sie beleuchten normalerweise unter anderem die Verteilung der Impfstoffe im Körper – im Fall von Gentherapeutika einschließlich der Gefahr eines Gentransfers in die Keimbahn –, mögliche Änderungen im genetischen Material von Zellen (Genotoxizität), Krebsrisiken, den Einfluss der Impfstoffe auf wichtige Parameter für Grundfunktionen des menschlichen Körpers (Sicherheitspharmakologie) und Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln.

Mehrjährige, Placebo-kontrollierte Studien sind „Goldstandard“

Die Folge der Umdefinition: Bis heute ist nicht wissenschaftlich belegt, ob die massenhaft verabreichten Präparate nicht doch genotoxisch oder krebserregend sind. Ungeachtet dessen wurden im Oktober 2022 die bedingten Zulassungen für Pfizer/Biontech und Moderna von der EU-Kommission auf Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) bei der EMA in reguläre Zulassungen umgewandelt!

Damit hat die Kommission gegen rechtliche Vorschriften verstoßen, konkret gegen Art. 14-a Abs. 8 der Verordnung Nr. 726/2004/EG und Art. 7 der Kommissionsverordnung Nr. 507/2006/EG. Diese besagen: Eine bedingte Zulassung darf erst dann in eine reguläre Zulassung umgewandelt werden, wenn der Hersteller alle mit der bedingten Zulassung erteilten Auflagen erfüllt hat. So war ursprünglich Bedingung, Placebo-kontrollierte klinische Studien fortzuführen und deren Ergebnisse bis Ende 2023 beziehungsweise Mitte 2024 vorzulegen.

Mehrjährige, Placebo-kontrollierte Studien sind für Zulassungsbehörden weltweit der „Goldstandard“, um Wirksamkeit und (Langzeit-)Sicherheit von Arzneimitteln nachzuweisen. Ohne solche validen Studien muss die reguläre Arzneimittelzulassung laut Art. 12 Abs. 1 der Verordnung 726/2004/EG zwingend abgelehnt werden.

Auflösung der Kontrollgruppe verstieß gegen Zulassungsauflage

2021 wurde bekannt, dass Pfizer/Biontech und Moderna die Kontrollgruppen ihrer Studien, die nur Placebo verabreicht bekommen hatten, trotz ihrer Auflage aus der bedingten Zulassung aufgelöst haben. Als Grund zur Auflösung der Kontrollgruppe wurde angegeben, dass es ethisch problematisch sei, den ungeimpften Personen den Impfstoff vorzuenthalten. Voraussetzung sollte allerdings sein, dass die Wirksamkeit des Vakzins nachgewiesen sei. Ist es aber nicht vielmehr unethisch, ein Präparat zur allgemeinen Anwendung freizugeben, das nicht systematisch gegen die Kontrollgruppe auf längerfristige Wirksamkeit sowie vor allem die Faktoren der Sicherheit geprüft wurde?

Der CHMP-Ausschuss bei der EMA stellt diesen gegen die Zulassungsauflage verstoßenden Vorgang in seiner offiziellen Beurteilung des Pfizer/Biontech-Antrags auf Umwandlung der bedingten in eine reguläre Zulassung ausdrücklich fest. Er erkennt auch, dass aufgrund des Wegfalls der Kontrollgruppe die Fortführung der Studie sinnlos geworden ist, weil kein weiterer Erkenntnisgewinn zur Wirksamkeit und Sicherheit des Produktes mehr zu erwarten sei. Spurenbeseitigung in großem Ausmaß, Pharmabranche und Behörden behindern faktisch wissenschaftliche Aufklärung.

Statt aber umgehend, Mitte 2021, gemäß Art. 20a der Verordnung Nr. 726/2004/EG die Hersteller zu sanktionieren und die bedingte Zulassung zu ändern, auszusetzen oder zu widerrufen, geschah nichts. Jüngst also gewährte die Kommission sogar die reguläre Zulassung. Die Auflagenverletzung wurde damit faktisch noch belohnt.

Die Hersteller haben keinerlei Anreize für freiwillige Langzeitstudien

Langzeitdaten zur Sicherheit der mRNA-Impfstoffe können nun nicht mehr in Kontrollgruppen erhoben werden. Auch die US-amerikanische Gesundheitsaufsicht FDA und andere Behörden sind ähnlich großzügig. Die Hersteller haben keinerlei Anreize für freiwillige Langzeitstudien; sie beliefern nämlich nur solche Regierungen, die ihnen eine Haftungsfreistellung für Impfschäden gewährleisten. Die Zukunft wird zeigen, ob solche weitreichenden Freistellungen – zudem in Verträgen mit geheim gehaltenen, für die Öffentlichkeit geschwärzten Passagen – rechtlich haltbar oder unwirksam, weil sittenwidrig und gegebenenfalls kollusiv sind, also möglicherweise ein unerlaubtes Zusammenwirken mehrerer Beteiligter zur Schädigung von Dritten vorliegt. Umfassende eigene doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studien haben weder die EMA noch die Bundesregierung oder nachgeordnete Behörden veranlasst.

Beobachtungsdaten aus der milliardenfachen Verabreichung der mRNA-Präparate können eine strenge, Placebo-kontrollierte Studie nicht ersetzen. Dies gilt erst recht bei einer derart mangelhaften Erhebung und Auswertung von Daten über mögliche Impfschäden, wie wir sie derzeit erleben.

Der Lobbyeinfluss bei den Zulassungen führte dazu, dass grundlegende Regeln im Medizinrecht ausgehebelt wurden: Wenn Gesunde geimpft werden, braucht man höhere Sicherheitsstandards, als wenn man schwer kranke Menschen mit Gentherapeutika einem Heilversuch unterzieht.

Zulassungsdesaster darf sich nicht wiederholen

Ein solches Zulassungsdesaster darf sich nicht wiederholen. Dazu ist es zuvorderst notwendig, die rechtliche Festlegung zurückzunehmen, genbasierte „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten“ seien keine Gentherapeutika. Dies muss die Bundesregierung direkt bei der Europäischen Kommission betreiben. Darüber hinaus sollte das Vorgehen der EMA und der EU-Kommission sowie weiterer Beteiligter in der Corona-Krise von einem Untersuchungsausschuss wegen dringenden Verdachts auf Rechtsbruch durchleuchtet werden.

Die Autoren: RA René M. Kieselmann, Prof. Dr. Gerd Morgenthaler, Dr. Amrei Müller, Prof. Dr. Günter Reiner, RA Dr. Patrick Riebe, RAin Dr. Brigitte Röhrig, Prof. Dr. Martin Schwab

Gastbeiträge spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider.


Gegenrede: Es gab kein Zulassungsdesaster

Autor: Emanuel Wyler

Im Dezember 2020 wurden die ersten Impfstoffe zugelassen, die vor Covid-19 schützen – der Krankheit, die durch das Coronavirus Sars-CoV-2 verursacht wird. Im Gegensatz zu bisherigen Impfungen war darin nicht das Virusbestandteil (Antigen), das zu einer Immunität gegen Sars-CoV-2 und damit zum Schutz vor Krankheit führt, sondern ein Bauplan dafür vorhanden. Der bestand aus RNA-Molekülen, mit denen unsere Zellen nach der Impfung das Virusbestandteil, ein Eiweiß (Protein), produzieren.

Im Text der Autorengruppe wird argumentiert, dass die Zulassung dieser Impfstoffe durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA ein „Desaster“ sei, da sie eigentlich Gentherapeutika seien, die viel höheren Sicherheitsanforderungen genügen müssen als Impfungen. Hier erörtere ich daher die Frage, was Gentherapeutika sind, und reflektiere einige weitere Aussagen der Autorengruppe zu den RNA-Impfungen.

Die Autorengruppe beginnt mit der Aussage „Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) und die EU-Kommission haben zusammen mit nationalen Behörden Gentherapeutika für eine ‚Impfung‘ gegen Infektionskrankheiten zugelassen.“ Wie in ihrem Text später korrekt ausgeführt wird, ist die aktuelle Rechtslage klar: In der relevanten EU-Richtlinie 2001/83/EG wird definiert, was Gentherapeutika ausmacht. Diese Kriterien erfüllen die Impfstoffe, werden seit 2009 aber davon ausgenommen mit dem Satz: „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten sind keine Gentherapeutika.“

Was sind Gentherapeutika aus Sicht der biologischen Wissenschaft?

Die Behörde hat daher, wie es ihre Aufgabe ist, gemäß der Rechtslage gehandelt, und nicht „Gentherapeutika zugelassen“ – weil Impfungen juristisch betrachtet eben ganz klar keine Gentherapeutika sind.

Nun stellt sich natürlich die Frage, ob das biologisch-medizinisch auch so zu bewerten ist. Wie oft in der Biologie sind Begriffsdefinitionen nicht glasklar. Was sind also Gentherapeutika aus Sicht der biologischen Wissenschaft?

In einem Aufsatz im Journal of Law and Biosciences von 2018 mit dem Titel „Is it ‚gene therapy‘?“ wird den Definitionsschwierigkeiten nachgegangen, und schließlich vorgeschlagen, Gentherapie zu definieren als „intentional, expected permanent, and specific alteration of the DNA sequence of the cellular genome, for a clinical purpose“ – also als Veränderung des Erbgutes in menschlichen Zellen, das als DNA vorliegt. Ein Beispiel dafür ist die Gentherapie bei der beta-Thalassämie (Blutarmut) mit der „Genschere“ CRISPR/Cas9. Die mRNA-Impfstoffe würden nicht unter diese Definition von Gentherapie fallen.

Zulassung der RNA-Impfung ist nicht zu beanstanden

Ähnlich äußert sich die US-amerikanische Gesellschaft für Gen- und Zelltherapie (ASGCT): „Gene therapy is the introduction, removal, or change in the content of a person’s genetic code with the goal of treating or curing a disease.“ Also auch hier: Gentherapie ist die Änderung der genetischen Ausstattung einer Person, was die mRNA-Impfstoffe nicht einschließt.

Die juristische Festlegung gemäß der EU-Richtlinie, dass RNA-Impfungen keine Gentherapie sind, steht also nicht im Widerspruch zu den in der Biomedizin verwendeten Definitionen. Dass die RNA-Impfung gemäß den Anforderungen an Impfstoffe zugelassen wurden, ist daher unter keinem Gesichtspunkt zu beanstanden.

Im Rückblick war es übrigens ein Glücksfall, dass vor 14 Jahren so klar definiert wurde, dass Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten keine Gentherapeutika sind (damals waren RNA-Impfstoffe noch kein Thema; in Planung waren etwa Adenovirus-basierte Impfstoffe gegen Ebola). Die Tot- und Proteinimpfstoffe haben in der Pandemie deutlich länger zur Zulassung gebraucht als die RNA-Impfstoffe, da sie schwieriger herzustellen sind.

Ohne RNA-Impfstoffe hätte schlimmste Phase deutlich länger gedauert

Im Corona-Winter 2020/21 waren bis Ende Januar 2021 ungefähr 48.000 Menschen in Deutschland gestorben. Mit den schnellen Impfungen gerade der vulnerabelsten, älteren Menschen ab Januar 2021 starben bis zum Ende des Winterhalbjahres „nur“ noch 33.000 mehr. Die meisten davon waren ungeimpft. Hätten die RNA-Impfstoffe dank dieser Regelung nicht so schnell zugelassen werden können, hätte diese schlimmste Phase der Pandemie deutlich länger gedauert.

Weiter wird von der Autorengruppe bemängelt, dass den Herstellern gestattet wurde, die Kontrollgruppe der klinischen Studien aufzulösen, weswegen „Faktoren der Sicherheit“ nicht mehr geprüft werden könnten. Dazu zwei Dinge.

Erstens gab und gibt es klare ethische Bedenken gegen die Fortführung der Kontrollgruppen, denn die Menschen darin wären, mitten in einer Pandemie, dem Virus ungeschützt ausgesetzt gewesen, obwohl eine wirksame Impfung zur Verfügung steht. Solche Menschenversuche müssen zu Recht sehr gut begründet werden.

Wöchentlich erscheinen Studien zum Biontech/Pfizer-Impfstoff

Zweitens, die häufigste schwere Nebenwirkung der RNA-Impfstoffe ist die Herzmuskelentzündung, und die wurde gerade nicht mit der Kontrollgruppe entdeckt, da sie immer noch zu selten auftritt. Erste Berichte dazu gab es im April 2021, verlässliche Zahlen, auch zu anderen Nebenwirkungen, gab es mit bevölkerungsweiten Untersuchungen aus Israel im Sommer 2021. Es bräuchte daher erst mal ein schlüssiges Argument, um das Beibehalten der Kontrollgruppen trotz ethischer Bedenken zu rechtfertigen.

Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang auch der Satz der Autorengruppe, in dem von „Spurenbeseitigung in großem Ausmaß, Pharmabranche und Behörden behindern faktisch wissenschaftliche Aufklärung“ die Rede ist: Denn auch die wissenschaftliche Erforschung der Nebenwirkungen der mRNA-Impfstoffe geht unablässig weiter, wöchentlich erscheinen etwa zum Biontech/Pfizer-Impfstoff wissenschaftliche Studien, die die verschiedensten Aspekte von Hautausschlägen bis Epilepsie beleuchten. Die sind auch gerade darum wichtig, um die mRNA-Impfstoffe für die Zukunft zu verbessern.

Als weiterer Grund, warum die RNA-Impfstoffe nicht hätten zugelassen werden sollen, schreibt die Autorengruppe: „Bis heute ist nicht wissenschaftlich belegt, ob die massenhaft verabreichten Präparate nicht doch genotoxisch oder krebserregend sind.“ Die Komplexität unserer Biologie bringt es mit sich, dass nichts völlig auszuschließen ist, auch nicht eine krebserregende Wirkung. Das gilt in dieser Grundsätzlichkeit für jedes Medikament und jede Anwendung.

Kein annähernd experimenteller Nachweis krebserregender Wirkung

Die Zulassung der Impfung erfolgt nicht unter Missachtung möglicher Langzeitfolgen, sondern in Abwägung von deren Wahrscheinlichkeit mit dem Risiko durch die Krankheit selber. Dazu gehört auch die Erfahrung erster klinischer Studien mit RNA-Impfungen vor der Pandemie, wie beispielsweise eine der Tübinger Firma Curevac mit einem RNA-Impfstoff gegen Tollwut, die 2014 begann. Auch wenn zahlreiche Hypothesen und Spekulationen umgehen, wie RNA-Impfstoffe krebserregend wirken könnten: Keine davon wurde auch nur annähernd experimentell nachgewiesen oder wirkt in der Gesamtheit der molekularbiologischen Gegebenheiten konkret vorstellbar.

Schlussendlich: Die Forderung, den Satz „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten sind keine Gentherapeutika“ aus der EU-Richtlinie zu streichen, ist natürlich erst mal legitim. Aus biomedizinischer Sicht ist sie aber nicht nachzuvollziehen. Die Impfstoffe unterscheiden sich, wie gezeigt, in entscheidender Weise von gentherapeutisch wirkenden Methoden wie etwa der „Genschere“, und sie werden, wie oben erwähnt, mehrheitlich nicht als Gentherapie betrachtet.

Gerade im Rückblick auf die Situation um den Jahreswechsel 2020/21 herum ist auch gut zu überlegen, welche negativen Folgen daraus entstehen würden. Die schnelle Verfügbarkeit der Impfstoffe war ein wesentlicher Grund, weswegen die Gefährlichkeit des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 vor zwei Jahren schnell abnahm. RNA-Impfungen als Gentherapeutika einzustufen, könnte im Kampf gegen gegenwärtige und zukünftige Infektionskrankheiten daher einen massiven Rückschlag bedeuten.

Emanuel Wyler ist Molekularbiologie am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft.

Gastbeiträge spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider.


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