Wie Politiker mit Fehlern umgehen: „Reflexionsprozess findet häufig nicht statt“

Jeder begeht Fehler, auch Politiker. Darüber zu sprechen, fällt nicht jedem leicht. Aber irgendjemand muss doch die Verantwortung übernehmen. Oder nicht? 

Gesundheitsminister Karl Lauterbach fällt es sichtlich schwer, seine Fehler einzugestehen. 
Gesundheitsminister Karl Lauterbach fällt es sichtlich schwer, seine Fehler einzugestehen. Janine Schmitz/imago

Irren ist menschlich. Fehler können passieren. Eine zweite Chance hat doch jeder verdient. Aber was ist mit der Verantwortung? Wenn Politiker Fehler machen, die Millionen Menschen betreffen, muss es auch Konsequenzen geben. Im Kontext der Corona-Pandemie, der früheren Russland-Politik und der Energiekrise geht es es um riesengroße Fehlentscheidungen. Und doch: Köpfe rollten nie. 

Erst vor wenigen Wochen zog Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Bilanz, räumte Fehler im Umgang mit den Kita- und Schulschließungen ein. Dennoch fügte Lauterbach gleich im nächsten Satz hinzu: „Im Großen und Ganzen sind wir besser durchgekommen als viele Länder mit ähnlichen Problemen.“ Hört sich das wirklich nach einer ernst gemeinten Entschuldigung an? Übernimmt er damit Verantwortung?

Das Maß ist irgendwann voll, oder nicht?

Einer Fehlentscheidung mit einer ausweichenden Antwort zu begegnen, das ist wohl der angenehmste Weg, um ein Schuldeingeständnis zu umgehen. Auch wenn Lauterbach nicht für alle getroffen Corona-Maßnahmen verantwortlich gemacht werden kann, da er sein Amt erst Ende 2021 antrat, könnte er zumindest seine eigenen Fehlentscheidungen beim Namen nennen. Beispielsweise sprach Lauterbach immer wieder davon, dass die Impfungen „nebenwirkungsfrei“ und Menschen, die anderes glauben, Opfer von „schäbiger Desinformation“ seien.

Mittlerweile ist aber bekannt, dass die Impfung bei einigen Menschen bleibende Schäden hinterlassen hat. Bisher entschuldigte sich Lauterbach für seine damals getätigten Aussagen nicht. Doch auf Dauer werden auch bei Politikern nicht immer beide Augen zugedrückt. Oftmals erzwingt die Häufung von Fehlern und der Umgang mit ihnen am Ende den Rücktritt.

Die „Pannen-Ministerin“

Im Fall der ehemaligen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht war es so. Nach Kritik an ihrer Arbeit bei der Umsetzung der Zeitenwende brachte ein Video das Fass endgültig zum Überlaufen. Bereits mehrere Wochen vor Lambrechts Rücktritt hatte die Mitnahme ihres Sohnes in einem Bundeswehrhubschrauber für Negativschlagzeilen gesorgt. Zudem wurde ihr von Kritikern mangelhafte Führungskompetenz vorgeworfen.

Die Spitze des Eisbergs: eine auf Instagram veröffentlichte Neujahrsbotschaft. Begleitet von Silvesterfeuerwerk spricht die SPD-Politikerin über den Ukraine-Krieg und die „interessanten Menschen“, die sie in diesem Zusammenhang kennenlernen durfte.

Boris Pistorius und Christine Lambrecht bei der Aushändigung der Entlassungsurkunde an Lambrecht (SPD) und der Überreichung der Ernennungsurkunde an Pistorius (SPD), den neuen Bundesminister der Verteidigung, durch den Bundespräsidenten. 
Boris Pistorius und Christine Lambrecht bei der Aushändigung der Entlassungsurkunde an Lambrecht (SPD) und der Überreichung der Ernennungsurkunde an Pistorius (SPD), den neuen Bundesminister der Verteidigung, durch den Bundespräsidenten. Christian Spicker/imago

Schon länger galt Lambrecht als Pannen-Ministerin. Ihr Verhalten blamiere nicht nur Olaf Scholz, sondern die gesamte Bundesregierung, hieß es in der Presse. Wenige Tage später veröffentlichte Lambrecht eine schriftliche Rücktrittserklärung. Von Fehlern und Schuldeingeständnissen war dort nicht die Rede. Sich einen Fehler einzugestehen, fällt offensichtlich nicht jedem leicht. In einer auf Leistung getrimmten Gesellschaft sind Fehler ohnehin nicht gerne gesehen – und bei Politikern schon gar nicht.

Das Beispiel Lauterbachs zeigt aber auch, dass nicht jeder politische Fehler die gleiche Aufmerksamkeit erhält und mit einem Karriere-Aus einhergeht. „Nicht jeder kleine Versprecher hat das Zeug, skandalisiert zu werden“, sagte etwa FAZ-Journalistin Helene Bubrowski in einem Gespräch mit Politikberater Martin Fuchs und FDP-Politikerin Gyde Jensen.

Das Bundeskanzleramt: Die politische Todeszone

Bei der digitalen Konferenz, die von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung ausgerichtet wird, soll der Frage nachgegangen werden, wie sich eine positive Fehlerkultur in der Politik etablieren lässt. Bubrowski, Korrespondentin der Parlamentsredaktion der FAZ, verweist jedoch darauf, dass die Definition eines Fehlers juristisch nicht eindeutig festgelegt sei. Die Feststellung und Identifikation eines Fehlers müsse immer im jeweiligen Kontext betrachtet werden.

Dabei sind drei Elemente besonders wichtig: der Ort, die Person und der Zeitpunkt. Das Eingestehen eines Fehlers ist für Bubrowski ein Zeichen von Stärke. Angela Merkel habe beispielsweise keine „Schuldabschiebereien“ betrieben und dadurch politische Größe bewiesen. Im Gegensatz dazu „wirkt Olaf Scholz klein“, fügt die Journalistin hinzu. Das Bundeskanzleramt bezeichnet sie als „Todeszone“ und bezieht sich damit auf eine Äußerung Joschka Fischers, denn jede Geste und jede Äußerung könne das Ende bedeuten.

Die ehemalige Bundeskanzlerin sei sich dessen bewusst gewesen, hat „keine Jasager um sich geschart“ und das „Worst-Case-Szenario“ mit ihren Mitarbeitern stets durchgespielt. So war Merkel immer auf den Ernstfall vorbereitet und konnte auf unterschiedliche Handlungsoptionen zurückgreifen. Konkrete Fehler, die Merkel im Laufe ihrer Amtszeit unterlaufen sind, werden von Bubrowski aber nicht genannt.

Gyde Jensen, stellvertretende Landesvorsitzende der FDP in Schleswig-Holstein, sagt von sich selbst, dass sie nur „wenige Fehler“ mache. Ein Grund dafür sei die enge Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitern. Pressesprecher sollten deutlich mehr in den Prozess der Fehlerbehebung einbezogen werden, meint Jensen.

FDP-Politikerin Gyde Jensen bei einer Debatte im Bundestag
FDP-Politikerin Gyde Jensen bei einer Debatte im BundestagBernd von Jutrczenka/dpa

Verhindern die Medien eine positive Fehlerkultur?

Als Beispiel führt sie die Pressekonferenz von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im Kanzleramt an. Der hatte Israel im Beisein des Kanzlers vor der versammelten Presse vielfachen „Holocaust“ an den Palästinensern vorgeworfen. Scholz verfolgte die Äußerungen mit versteinerter Miene, äußerte sich aber erst im Nachgang. Geht es nach Jensen, dann hätte Scholz noch während der Pressekonferenz intervenieren müssen. Ein Fehler kann somit auch darin bestehen, nichts zu sagen. Schweigen ist eben nicht immer Gold.

Dennoch nehmen die beiden Frauen deutlich wahr, dass Politiker an der Kommunikation und Richtigstellung von Fehlern arbeiten. Demgegenüber hänge mediale Berichterstattung da oft noch einen Schritt hinterher. „Der nötige Reflexionsprozess findet häufig nicht statt“, so Bubrowski. Eine Fehlerkultur sei jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und schließe somit auch die Medien mit ein. „Wenn wir alle herumlaufen und mit erhobenem Messer alle die, die einen Fehler machen, gegen die Wand stellen, dann kommen wir als Gesellschaft nicht weiter.“

Energiewende wird nicht fehlerfrei ablaufen

Ihre Kritik richtet sich dabei vor allem an den Boulevardjournalismus, dem es „immer nur um Klicks und Aufmerksamkeit“ gehe. Eine Fehlerkultur in den Medien sei „nicht existent“ und nur selten würden Journalisten ihre Fehleinschätzungen im Nachhinein richtigstellen. Dabei hat die „Vierte Gewalt“ laut Bubrowski eine Wächterfunktion und könnte die Fehlerkultur positiv beeinflussen.

Die Medien können aber auch nur dann positiv über eine politische Fehlerkultur berichten, wenn die Politik einen anderen Umgang mit ihren Fehlern findet. Bisher fehlt es an der Bereitschaft, Fehler offen anzusprechen. Geht es nach der regierenden Ampelkoalition, dann wird Deutschland in den nächsten Jahren einen gewaltigen Transformationsprozess durchlaufen.

Die geplante Energiewende wird notwendige Reformen mit sich bringen. Gänzlich frei von Fehlern wird der Prozess wohl nicht verlaufen. In den nächsten Jahren wird die Bundesregierung unter Beweis stellen müssen, ob sie ihrem Anspruch, anders mit Fehlern umzugehen, auch gerecht werden kann. Dann wird sich zeigen, ob Vizekanzler Robert Habeck recht behalten wird, wenn er sagt: „ein lernendes Deutschland, eine lernende Politik“.

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