Die Berliner Zeitung und die Vergangenheit

Im Jahr 1996 hat sich die Berliner Zeitung zusammen mit anderen ostdeutschen Regionalzeitungen dem Problem der Stasi-Aufarbeitung in den Zeitungen gestellt. Der Prozess war schmerzhaft und sollte einen Neuanfang ermöglichen.

Berlin-Als ich im Jahr 1996 als Chefredakteur zur Berliner Zeitung kam, hatten sich mehrere ostdeutsche Zeitungen zu einem wissenschaftlichen Projekt zusammengeschlossen, um die Stasi-Vergangenheit von Mitgliedern in der Redaktion zu durchleuchten. Es ging in Zusammenarbeit mit dem Dresdner Historiker Ulrich Kluge darum, die Verbindungen zwischen Redaktion und Staatssicherheit (MfS) zu durchleuchten.

Das Gebäude des Berliner Verlags in der Karl-Liebknecht-Straße. 
Das Gebäude des Berliner Verlags in der Karl-Liebknecht-Straße. Imago/STPP

Zu diesem Zweck nahmen die Forscher Einsicht in die entsprechenden Akten der Gauck-Behörde. Die Ergebnisse der Studie wurden in einem wissenschaftlichen Band unter dem Titel „Willfährige Propagandisten“ dokumentiert.

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Wir haben die Auffassung vertreten, dass Redaktionsmitglieder mit einer Stasi-Akte nicht in einer freiheitlich-liberalen Zeitung als schreibende Redakteure tätig sein können. An dem Projekt nahmen damals neben der Berliner Zeitung auch die Märkische Oderzeitung und die Sächsische Zeitung teil. Andere Zeitungen, wie die Märkische Allgemeine, hatten sich gegen eine Durchforstung der Archive in der Gauck-Behörde entschieden.

Die Trennung von den Mitarbeitern erfolgte in allen Fällen einvernehmlich: Wir erklärten den Redakteuren, dass die Arbeit als Redakteur in einer den freiheitlichen Werten der Presse verpflichteten Zeitung mit der Tätigkeit als Informeller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit nicht vereinbar sei.

Auf die detaillierte Würdigung der konkreten Schuld der Betroffenen haben wir verzichtet und uns ausschließlich auf das formale Kriterium der Existenz einer Akte beschränkt. Wir haben uns nicht als juristische oder moralische Instanz gesehen, sondern haben den Standpunkt vertreten, dass bestimmte Aktivitäten wie Bespitzelung oder Denunziation nicht mit dem Berufsbild eines Journalisten in einer Demokratie vereinbar sind.

Nach Abschluss des Projekts sind im Lauf der Jahre noch vereinzelt Fälle hochgekommen, in denen Journalisten wegen ihrer Tätigkeit für Nachrichten-, Geheim- oder Polizeidienste der DDR diskreditiert wurden. Sie wurden unterschiedlich behandelt, auch wegen des langen Zeitablaufs der Ereignisse. In einem Fall habe ich später im Spiegel Partei für einen leitenden Redakteur ergriffen, der sich mir als einziger im Jahr 1996 freiwillig offenbart hatte. Seine Akte wurde später gefunden. Er konnte in der Zeitung verbleiben, wenngleich nicht mehr in leitender Stellung. Ein Ehrenrat befasste sich mit jedem einzelnen bekanntgewordenen Fall.

Wir waren im Jahr 1996 bestrebt, der Zeitung einen wirklichen Neuanfang zu ermöglichen. Der Bruch mit bestimmten DDR-Milieus hat uns zwar Leser gekostet, aber auch neue gebracht – und zwar auch im Osten. Wir haben unter anderem Bürgerrechtler wie Renate Oschlies eingestellt oder den Pressesprecher der Gauck-Behörde, Thomas Rogalla.

Die Thematisierung der Akte des Verlegers Holger Friedrich durch die Zeitung „Die Welt“ zeigt, dass der Neuanfang immer noch nicht abgeschlossen ist. Für die Berliner Zeitung ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass die Integrität der Berichterstattung das höchste Gut ist. Dazu gehört ein Höchstmaß an Distanz zu nicht journalistischen Interessen in der Berichterstattung und ein hohes Maß an Transparenz.

Die Veröffentlichung der verstörenden Geschichte des Holger Friedrich ist aus unserer Sicht ein Beitrag zu dieser Transparenz.

Dr. Michael Maier

Herausgeber Berliner Zeitung

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