Die Macht der Schöffen: Unterwandern AfD-Anhänger massenhaft deutsche Gerichte?
Bis Ende März können sich Bürger als Schöffen bewerben. Jetzt ruft die AfD ihre Mitglieder zur Bewerbung auf.

Schuldig oder nicht schuldig? Im Normalfall treffen Richter diese Entscheidung, verurteilen einen Angeklagten oder sprechen ihn frei. Aber auch Bürger können in die Rolle eines Richters schlüpfen, ohne jemals Jura studiert zu haben. In Deutschland ist das durch die ehrenamtliche Ausübung des Schöffenamtes möglich. Die „Laienrichter“ benötigen keine besonderen Gesetzeskenntnisse oder eine juristische Ausbildung.
Sinn und Zweck des Einsatzes von Schöffen ist es unter anderem, dass gesetzliche Entscheidungen in Anwesenheit und im Namen des Volkes getroffen werden. Doch was ist, wenn die Laienrichter das Amt des Schöffen für politische Ziele missbrauchen und strategische Urteile fällen, die ihren politischen Präferenzen entsprechen?
In Berlin und Brandenburg werden 8000 Schöffen vereidigt
Alle fünf Jahre werden in Deutschland 60.000 Laienrichter ernannt. Noch bis Ende dieses Monats können sich deutsche Staatsangehörige im Alter zwischen 25 und 69 Jahren als Schöffe bewerben. Insgesamt werden in Berlin und Brandenburg etwa 8000 Schöffenämter vergeben.
Die Bewerbung erfolgt online, auf den Internetseiten der Bezirksämter. In einigen Berliner Bezirken sind die Chancen auf ein Schöffenamt zum jetzigen Zeitpunkt jedoch sehr gering. Auf Nachfrage der Berliner Zeitung gaben die Bezirksämter Mitte, Pankow und Charlottenburg-Wilmersdorf an, dass sie bereits mehr Bewerbungen erhalten haben, als Ämter zu vergeben sind.
Nachdem die Bewerbung bei den Bezirksämtern eingegangen ist, erfolgt die Wahl des Schöffen in zwei Schritten. Im ersten Schritt reichen die Gemeinden und Stadträte sogenannte Vorschlagslisten bei den zuständigen Gerichten ein. Auf diesen Listen sind alle Personen angegeben, die sich für das Ehrenamt beworben haben. Im zweiten Schritt entscheiden die Richterwahlausschüsse an den Gerichten über die endgültige Auswahl der Schöffen. Die Ernennung eines Schöffen erfolgt auf Basis einer Zweidrittelmehrheit der Richter innerhalb eines Wahlausschusses.
Schöffen und Richter haben die gleiche Entscheidungsgewalt
Haben die Richter ihre Wahl getroffen, erhält der Schöffe eine amtliche Bekanntmachung und wird noch vor seinem ersten Einsatz in einer öffentlichen Sitzung durch ein Gericht vereidigt. Schöffen kommen in erster Linie bei Strafverfahren in Amts- und Landesgerichten zum Einsatz. Die Besetzung des Schöffengerichts in Amtsgerichten besteht dabei immer aus zwei Schöffen und einem Berufsrichter. In Landesgerichten werden vor allem schwere Straftaten verhandelt, weshalb die Entscheidungsgewalt dort auf zwei Schöffen und drei Richter verteilt wird.
In beiden Fällen wiegt die Entscheidung des oder der Schöffen genau so schwer, wie die Entscheidung der Berufsrichter. Im Zweifelsfall kann das dazu führen, dass die Laienrichter den Berufsrichter überstimmen. In einem Auszug für Schöffen heißt es: „Schöffen üben das Richteramt während der Hauptverhandlung in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die an der Verhandlung teilnehmenden Berufsrichter aus und tragen dieselbe Verantwortung für das Urteil wie diese. Sie entscheiden die Schuld- und Straffrage gemeinschaftlich mit den Berufsrichtern.“
„Justiz nicht linken Hobby-Richtern überlassen“
Anfang Februar riefen die „Freien Sachsen“, eine in Zwickau gegründete Partei, in einer Telegram-Gruppe zur Bewerbung für das Schöffenamt auf. Die Partei wird seit mehr als einem Jahr vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet. In der Gruppe heißt es: „Jetzt als Schöffe bewerben, um die Justiz nicht den linken Hobby-Richtern zu überlassen. Es ist eine Möglichkeit, die Justiz zu korrigieren: mitzuentscheiden, dass ein kriminalisierter Spaziergänger beispielsweise keine drakonische Strafe kriegt.“ Auch AfD-Politiker fordern Gleichgesinnte auf Facebook und in Chat-Gruppen auf, als Schöffen zu kandidieren.
Nachdem die Chatauszüge der Freien Sachsen medial bekannt geworden waren, wurden Forderungen nach Regulierungsmöglichkeiten innerhalb des Bewerbungsprozesses laut. Doch vor allem in Großstädten sei es nicht möglich, die Bewerber so umfangreich zu prüfen, dass eine Zugehörigkeit zu „politisch problematischen Spektren“ ausgeschlossen werden kann, sagt der Journalist und Anwalt Joachim Wagner.
Wagner bezeichnet die Schöffenwahl in einem Interview mit der FAZ als „Blindfang.“ Bei der Bewerbung müssen zukünftige Schöffen zwar persönliche Daten angeben, eine Parteizugehörigkeit gehört aber nicht dazu. Dennoch kann laut Wagner bisher nicht die Rede von einer Unterwanderung des Rechtssystems durch AfD-nahe Schöffen sein.
Bewerber werden vom Verfassungsschutz geprüft
Eine mögliche Form der Regulierung wäre, jede Schöffenbewerbung in Zukunft vom Verfassungsschutz prüfen zu lassen. Personen, denen eine Zugehörigkeit zu rechtsextremen Gruppen nachgewiesen werden kann, könnten dadurch ausgeschlossen werden. Denn nachdem ein Schöffe sein Amt angetreten hat und vereidigt wurde, kann ihm dieses nur durch ein Amtsenthebungsverfahren entzogen werden. Niedersachsen möchte sich eine vorherige Überprüfung durch den Verfassungsschutz in Zukunft offenhalten. Bewerber sollen schon zu Beginn des Bewerbungsprozesses diesbezüglich eine Einwilligung abgeben. Eine bundesweite Regelung gibt es bisher nicht.
In Bayern hat man sich beispielsweise gegen eine verfassungsschutzrechtliche Prüfung der Schöffen entschieden. Dafür hat das Bewerbungsformular seit diesem Jahr eine Rückseite. Auf dieser müssen folgende Punkte angekreuzt werden: „Ich bin oder war kein Mitglied einer oder mehrerer extremistischer oder extremistisch beeinflusster Organisationen.“ Und: „Eine Entscheidung darüber, welche Strafe ein Angeklagter erhält, treffen Schöffen aber nicht allein, sondern immer in Absprache mit dem zuständigen Richter.“ Ob dieser Zusatz Personen mit einer rechtsextremen Gesinnung tatsächlich davon abhält, das Amt des Schöffen anzutreten, bleibt fraglich.
„Unparteilichkeit ist die oberste Pflicht der Schöffen“
Das Merkblatt, das allen Schöffen vor Antritt ihres Ehrenamtes ausgehändigt wird, enthält folgende Angaben zur Bedeutung der Unparteilichkeit: „Unparteilichkeit ist die oberste Pflicht der Schöffen wie der Berufsrichter. Schöffen dürfen sich bei der Ausübung ihres Amtes nicht von Regungen der Zuneigung oder der Abneigung gegenüber den Angeklagten beeinflussen lassen. Sie haben ihre Stimme ohne Ansehen der Person nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben.“
Das Rechtssystem verlangt von Schöffen, dass sie ihr Amt gewissenhaft ausüben und mit ihrem Urteil keine separaten Ziele verfolgen. Wie viele Personen dem Aufruf der AfD oder den Freien Sachsen folgen werden, lässt sich nicht nachprüfen. Sofern eine Person das Amt des Schöffen aber offensichtlich missbraucht, steht dem Gericht immer eine Option offen: Der Laienrichter wird selbst zum Angeklagten und seines Amtes enthoben.