Rache der Uncoolen: Warum die Wähler in Berlin die CDU statt Grüne und SPD gewählt haben

Schlaue Berliner wählten CDU. Galten sie vorher als Abgehängte aus den Außenbezirken, hat jetzt im Herzen der Stadt eine politische Gentrifizierung eingesetzt. Bravo! Ein Kommentar.

Kai (r.) und Casper: Der Politprofi Kai Wegner (CDU) hat viele Wähler überzeugt. Wohl weniger durch Sachpolitik als mehr durch seinen Labrador Retriever-Rüden.
Kai (r.) und Casper: Der Politprofi Kai Wegner (CDU) hat viele Wähler überzeugt. Wohl weniger durch Sachpolitik als mehr durch seinen Labrador Retriever-Rüden.Kai Wegner/CDU

Wie schön, dass Berlin sich nach der Wahl am Sonntag jetzt zum Besseren verändert. Und wie schön, dass die Gentrifizierung in der Hauptstadt unaufhörlich voranschreitet. Nein, ich meine natürlich nicht die Verdrängung von Rentnern und sozial schlechter gestellten Menschen aus ihren Kiezen, sondern an eine politische Gentrifizierung der Vernunft, die Inkompetenz und Träumerei aus den Amtsstuben fegt.

Das gute Berlin, das ist für viele Journalisten ja das linke Berlin. Das Berlin, das gendert, das Berlin der Lastenfahrräder (und nicht der stinkenden Verbrenner) und auch das Berlin, in dem eine harte Hand gegen arabische Clans nicht gute Politik, sondern racial profiling ist. Für die Zeit-Journalistin Mariam Lau jedenfalls galten CDU-Wähler bis vor ein paar Tagen noch als „Schrebergärtner, Autofahrerinnen, Liebhaber der Currywurst und des robusten Polizeieinsatzes“ jenseits des „S-Bahn-Rings“.

Auch wenn nicht falsch, schwingt bei dieser Umschreibung natürlich ein bisschen die intellektuelle Arroganz des urbanen Großstädters mit, der alle Menschen, die den deutschen Spießertraum (der schön sein kann!) aktiv und gerne leben und auch mal mit dem Verbrenner samstags einen Großeinkauf beim Kaufland in Spandau machen, als rückwärtsgewandt, abgehängt und gar uncool abstempelt. Man kann das schon verstehen, wer will nicht gerne der Enge von Blaubeuren entfliehen. Nur zu welchem Preis?

CDU im grünen Berlin-Mitte am Sonntag stärkste Kraft

Wie kolossal man sich als Journalist bei solchen Erklärungen jedoch irren kann, zeigen die jüngsten Wahlergebnisse im Zentrum der Hauptstadt. Schaut man sich die Zweitstimmen in den Wahlkreisen und auf der interaktiven Karte an, dann hat sich seit der (ungültigen) Abgeordnetenhauswahl 2021 einiges fundamental verändert. Wählte man 2021 vor allem in den entfernten westlichen Bezirken Schwarz und im Zentrum und im Osten Rot-Rot-Grün, wird Schwarz inzwischen nicht nur von den Mindercoolen außerhalb des S-Bahn-Rings gewählt, sondern auch im Herzen der Stadt.

Im Bezirk Berlin-Mitte wählten zwar immer noch die meisten Wähler die Grünen, aber im urbanen Wahlkreis Mitte 2 wurde die CDU an diesem Sonntag mit 24,2 Prozent der Stimmen vor den Grünen (19,5 Prozent) unangefochtener Wahlsieger. 2021 wurde man mit 14,6 Prozent hier hinter Linke, SPD und Grünen nur viertstärkste Kraft. Man kann sagen, an der grünen Ostfront bröckelt es.

Ein Erfolg allerdings, der nicht auf das Konto der CDU und ihres Spitzenkandidaten Kai Wegner selbst geht. Klar, der süße Labrador Retriever Casper des CDU-Manns hat sicher ein paar Stimmen eingebracht. Und auch mit seiner schlitzohrigen Aussage gegenüber der Journalistin Lau, er habe „inzwischen einen guten Draht zur queeren Community“, hat er vielleicht einige Tausend Zeit-Leser umgedreht, aber eigentlich hat sein Wahlsieg ganz andere Gründe.

Protestwähler: Der Kollege wählt CDU statt Die Linke

Hört man sich mal im Büro um, dann bekennen sich an diesem Montagmorgen erstaunlich viele Kollegen zu ihrer CDU-Stimme. Darunter sind ehemalige Grünen-Wähler aus Kreuzberg. Und auch ein Kollege aus Köpenick. Sein ganzes Leben habe er die Linke gewählt und sich jetzt eben für die CDU entschieden: „Aus Protest, ich bin ein Protestwähler.“ Ein Sozialist, der jetzt einen bürgerlichen Spießer aus Spandau wählt. Jene Partei des Westens, die seit jeher Synonym für Korruption und Filz in dieser Stadt steht. Wunderbar.

Die Gründe dafür sind dieselben, die auch den Autor aus dem Wahlkreis Mitte 2 dazu veranlasst haben, das Gleiche zu tun. Immer mehr Wählern in der Hauptstadt reicht es eben nicht mehr, den nur auf dem Papier progressiven und (manchmal coolen) Parteien des linken Spektrums ihre Stimme zu geben. Sie wollen nicht mehr in Sippenhaft genommen werden von einer Politik des Nichtstuns und der Verschlimmbesserung.

Zwar wird die CDU natürlich auch nicht viel verbessern in dieser Stadt, aber wenn man als Regierungspartei in dieser Stadt angesichts der schweren Krawalle in Neukölln an Silvester nicht viel mehr als betretenes Gestammel absondern kann, um dann zur Lösung den Einsatz von irgendwelchen Sozialarbeitern vorschlägt, ja, der fällt eben durch die politische Falltür.

Silvester in Neukölln: Friedrich Merz und die „kleinen Paschas“

Man muss sich ja gar nicht auf die Linie von Friedrich Merz („kleine Paschas“) einlassen, um festzustellen, dass die Ursachen dieser Silvesternacht in Berlin hausgemacht sind. Um die Bildung in dieser Stadt ist es seit Jahrzehnten wahrscheinlich schlechter gestellt als in Bangladesch. Wenn man in Berlin nicht in der Lage ist, Generationen von jungen Menschen richtig auszubilden, damit sie, statt mit Gasknarren und Raketen rumzurennen, vielleicht mal Immobilienmakler werden oder im mittleren Management arbeiten, dann braucht man sich nicht wundern.

Schon okay, nur wenn man sich für den Weg der maroden Schulen (Argument: kein Geld!) entscheidet, dann sollte man vielleicht im Gegenzug dafür sorgen, dass Richter eben genauso hart urteilen wie in Bayern. Das Gute an angemessen harten Strafen ist doch, dass die Bestraften es sich beim nächsten Mal eben zweimal überlegen, ob sie eine Tankstelle ausrauben, Koks tickern oder wie wir normale Kartoffeln eine Lehre als Dachdecker in Britz beginnen.

Und dann noch das Thema mit den Autos. Glauben die Grünen wirklich, dass unsere Hauptstadt funktioniert, wenn man überall Parkplätze abbaut und Fahrradstraßen hinbaut? Glauben Bettina Jarasch und die Verkehrsstadträtin von Berlin-Mitte wirklich, dass wir alle wie in der Nachkriegszeit mit unseren Fahrrädern zum Hamstern auf die Bauernhöfe Brandenburgs fahren und nicht mehr im Supermarkt einkaufen?

Ob ich gendere oder Auto fahre ist meine Sache

Viele Familien wollen auf ihr mühsam angespartes Auto eben nicht verzichten. Ich kann schon verstehen, dass man da wegen des Klimawandels ein bisschen abbauen sollte. Alles kein Thema. Aber ich zahle als Bürger eben auch Kfz-Steuer und da ist eben eingerechnet, wie dreckig die Kiste ist. Ein Dodge-Ram-Pick-up ist viel teurer als ein VW Polo.

Da könnte man politisch ja was machen, aber ich habe keine Lust, mich von meinen grünen Mitbürgern vollpöbeln zu lassen, nur weil ich einen Geländewagen fahre. Zumal die ja auch gar nicht wissen, ob ich nicht einen Forstbetrieb habe, mit dem ich klimaschonendes Treibhausgas einspare. Und so geht es eben vielen erfolgreichen und mitdenkenden Wählern, wenn sie sehen, wie die Infrastruktur in dieser Stadt verrottet und, statt instand gesetzt zu werden, irgendwelche Parklets, Pop-up-Radwege und gendergerechten Toiletten in Parks geplant werden.

Ihr könnt alle gendern und euren eigenen Kindern Indianerkostüme verbieten, aber lasst mich damit bitte in Ruhe. Mir ist das völlig egal. Ich gendere, wann und wo ich will. Und sollten die CDU und die SPD in der Regierung nichts auf die Reihe bekommen, dann wähle ich eben aus Protest nächstes Mal die Grünen. Oder gar nicht mehr.

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