Diesel-Debatte: Lungenärzte geben Entwarnung: „Tote durch Feinstaub sieht man nie“
Berlin - Feinstaub und Stickstoffverbindungen in deutschen Städten sind gesundheitsgefährdend – oder etwa doch nicht? Mehr als 100 renommierte Wissenschaftler, darunter vor allem Lungenfachärzte, äußern nun erste Zweifel an der These.
In einem Schreiben, das der „Welt“ vorliegt, heißt es laut einem entsprechenden Bericht, die Unterzeichner sähen „derzeit keine wissenschaftliche Begründung für die aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffverbindungen (NOx)“.
Die Wissenschaftler fordern in dem Schreiben außerdem eine Neubewertung der wissenschaftlichen Studien durch unabhängige Forscher. Bisher waren sich Politiker und Wissenschaftler stets einig, was die gesundheitlichen Folgen der Luftverschmutzung angeht.
Unter anderem weisen Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) darauf hin, dass es durch Stickstoffverbindungen jährlich bis zu 13.000 und durch Feinstaub bis zu 80.000 Todesfälle mehr gäbe.
Alkohol und Zigaretten schaden den Menschen mehr
Das Papier von Lungenmediziner Dieter Köhler, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, und drei Ko-Autoren, baut auf den Zahlen der WHO auf.
Allerdings verweisen die Experten darin auf die etwa gleiche Zahl an Menschen, die jährlich an den Folgen von Zigarettenkonsum oder durch eine chronische Lungenerkrankung sterbe. Man sehe entsprechende Fälle täglich, jedoch „Tote durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie“.
Basierend auf diesen Fakten seien die Grenzwerte, die per EU-Verordnung erlassen wurden und entsprechende Fahrverbote „völlig unsinnig“. Denn: „Wenn man die Belastung, der ein Zigarettenraucher ausgesetzt ist, mit der angeblichen Belastung durch Feinstaub vergleicht, müsste eigentlich jeder Raucher binnen weniger Wochen tot umfallen“, sagt Köhler der „Welt“.
Und er geht noch einen Schritt weiter: „Unter den Menschen, die in Gegenden mit besonders hoher Feinstaubbelastung wohnen, gibt es mehr Raucher, es wird mehr Alkohol konsumiert und weniger Sport getrieben. Das alles hat mehr Auswirkungen auf die Gesundheit als etwas Feinstaub.“
Politische Folgen oder weiter wie immer?
Noch am Mittwoch soll das Schreiben laut Bericht der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), der Deutschen Lungenstiftung und des Verbandes Pneumologischer Kliniken (VPK) im Internet veröffentlicht werden.
Ob es letztlich politische Folgen haben wird, ist unklar. Denn grundsätzlich steht die EU-Verordnung über nationalem Recht. Und solange es nicht offiziell anerkannt wird, dass Feinstaub kein gesundheitliches Risiko darstellt, ist es eher unwahrscheinlich, dass sich etwas an den Grenzwerten ändert. (RND)