Berlin-Politikerinnen erhalten rechtsextremistische Hassmails, in denen persönliche Daten der Adressaten genannt werden, die vorher von Polizeicomputern abgefragt wurden. Die Absage des Bundesinnenministers an eine Studie zu Racial Profiling, der – rechtsstaatswidrigen – Kontrolle von Personen allein aufgrund äußerer Merkmale. Bundesweit stellen sich Politiker die Frage: Wie rechts ist die Polizei? Auch in Berlin erhält jetzt die Debatte um einen externen Sonderermittler, der rechtsextreme Strukturen in der Polizei der Stadt aufklären soll, neuen Schwung. Doch es droht Streit. Vor allem die SPD ist uneins.
Am Montag zeigte sich Raed Saleh offen für die Einsetzung einer solchen unabhängigen Vertrauensperson. „Es bleibt dabei, was ich letzten Herbst gesagt habe“, teilte der SPD-Fraktionschef der Berliner Zeitung mit. Im Oktober 2019 hatte Saleh vor dem Hintergrund des Anschlags auf eine Synagoge in Halle gesagt, er glaube, „dass wir uns im Kampf gegen Rechts besser organisieren müssen“. In allen Bundesländern sollten dafür Sonderermittler eingeführt werden. Die Auseinandersetzung mit rechtsextremen und rechtsradikalen Strukturen würde damit „ein Gesicht bekommen“.
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Ein solches Gesicht wird jetzt in Berlin gesucht - zumindest, wenn es nach dem Willen der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus geht. Den Vorschlag brachte am Wochenende Co-Fraktionschefin Anne Helm auf. Ein Ermittler solle die Berliner Polizei nach möglichen rechtsextremen Tendenzen durchleuchten.
In den Tagen zuvor hatte die 34-jährige Politikerin Hassmails mit Todesdrohungen erhalten, unterzeichnet mit dem Kürzel „NSU 2.0“. Der Verweis auf die Terrororganisation tauchte zuvor auch in Drohmails an die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) und die Linken-Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag, Janine Wissler, auf. Helm vermutet, dass auch die in ihren Mails genannten sensiblen Daten zuvor von einem Polizeicomputer abgefragt wurden.
Helm sieht einen Zusammenhang mit einer seit Jahren anhaltenden rechtsextremistischen Serie von Brandanschlägen, Überfallen und Schändungen von Stolpersteinen im Bezirk Neukölln, die die Polizei bisher nicht restlos aufgeklärt hat. Die Politikerin wohnt in Neukölln und setzt sich seit Jahren mit der Anschlagserie auseinander.
Nun bahnt sich dazu in der SPD ein Konflikt an. Anders als Fraktionschef Saleh lehnt der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Frank Zimmermann, einen Sonderermittler klar ab. Die Polizei sei dabei, die Dinge aufzuarbeiten. Dazu müsse man ihr Gelegenheit geben. Helms Vorschlag gab Zimmermann im Gespräch mit der Berliner Zeitung wenig Chancen: „Man muss einen Konsens darüber in der Koalition herstellen. Und diesen Konsens sehe ich nicht.“
Wenn Zimmermann sich da nicht irrt. Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, springt jedenfalls Anne Helm zur Seite. Im Prinzip. „Wir Grüne haben schon vor einem Jahr einen Sonderermittler gefordert“, sagt Lux. Allein die Unterschrift „NSU 2.0“ unter den Mails an Helm rechtfertigten eine externe Ermittlung. Allerdings müsse zuvor ein Datenschutzproblem gelöst werden. So hatte vor drei Jahren Berlins Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk Einwände gegen die Arbeit von Bruno Jost erhoben. Der frühere Bundesanwalt war vom Senat für die Aufarbeitung der Pannen von Polizei und Verfassungsschutz im Zusammenhang mit dem Breitscheidplatz-Attentat engagiert worden. Als Jost bestimmte Akten einsehen wollte, schlug Smoltczyk Alarm. Externe hätten dazu kein Recht.
Um diese Hürde zu umgehen, setzt sich Lux für die rasche Einsetzung eines Bürger- und Polizeibeauftragten ein. In Berlin arbeitet Rot-Rot-Grün an einem entsprechenden Gesetz, in „drei bis vier Monaten“, so Lux, könne es so weit sein. Eine der ersten Aufträge für den neuen Beauftragten wäre dann wohl die Aufklärung möglicher rechtsextremer Strukturen in der Polizei.
Der Bürger- und Polizeibeauftragte würde einen Sonderermittler nach Lux' Meinung aber nicht ersetzen. Um einem solchen Ermittler auch Zugriff auf Informationen aus der Polizeiführung zu gewährleisten, schlägt der Grüne die Ernennung eines Polizisten aus einem anderen Bundesland oder aus dem Ruhestand vor. Einen Vorschlag hat er parat: Ex-Polizeipräsident Dieter Glietsch, Lieblingsgegner aller Konservativen.