Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht: In Gysis großen Schuhen
Die deutsche Politik hat schon viele Paare kommen und gehen sehen. Und all die Doppelspitzen von links bis rechts betraten die Szene meist nur, weil sich das Unvereinbare, das sich in Parteien sammelt, nicht in einer Person vereinen lässt. Vor allem linke Parteien bevorzugen das Modell mit zwei Chefs. So lässt sich demonstrativ behaupten, dass ihnen Streitkultur wichtiger sei als Unterordnung und Effizienz. Die Geschlechterquotierung tut ein Übriges. Dass der Erzfeind eines einstigen Parteivorsitzenden mit dessen Ehefrau ein Duett gibt, ist allerdings neu.
Der Zynismus der Macht
Die Linke hat es nicht gehindert, genau diesen Erzfeind namens Dietmar Bartsch mit der Ehefrau namens Sahra Wagenknecht an die Spitze zu wählen. Mehr als der Zynismus der Macht hat die beiden nicht zusammengebracht. Immerhin: Ihre Wahlergebnisse überzeugen - wobei das von Bartsch herausragt.
Zahlreiche Führungsduos sind gescheitert. Legendär sind die Kämpfe zwischen Oskar Lafontaine und dem 1998 zum Kanzler aufgestiegenen Gerhard Schröder, damals noch „Lafodödel“ aus Kalkül. In der Regel handelt es sich um Zweckbündnisse auf Zeit, Reibungsverluste inklusive. Die doppelte grüne Doppelspitze aus Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter auf der einen Seite sowie Simone Peter und Cem Özdemir auf der anderen hat Monate gebraucht, um sich so abzustimmen, dass die Risse nicht mehr sichtbar wurden. Katja Kipping und Bernd Riexinger an der Spitze der Linken sind eine seltene Ausnahme. Ob beide mit der neuen Fraktionsführung gut kooperieren können, ist fraglich.
Bartsch, ein Linker aus vollem Herzen
Bei Bartsch und Wagenknecht kommt hinzu, dass sie persönlich und politisch Welten trennen. Bartsch gilt als Machttaktiker, der abwartet, ohne sich in der Sache festzulegen. Und: Er will regieren. Zwar muss man Bartsch zugutehalten, dass er der Linken treu blieb. Wäre er ausschließlich der Karrierist, für den ihn Gegner halten, hätte er die Partei vermutlich schon verlassen, als sie noch PDS hieß. Dass Bartsch ein Linker aus vollem Herzen mit echtem Gestaltungsanspruch sei, spürt man gleichwohl selten.
Er wird sich neu erfinden müssen, um zu bestehen – inhaltlich wie rhetorisch. Denn Bartsch wird der charismatischeren Wagenknecht kaum die Bühne überlassen wollen. Wagenknecht ihrerseits scheut keine Festlegung, im Gegenteil. Sie stürmt voran in der Erwartung, dass andere ihr folgen. Auch wenn die Ostfrau mit dem Westticket aufgrund ihres finanzpolitischen Sachverstands selbst bürgerlichen Vertretern der Zunft immer wieder Respekt abnötigt, scheint die einstige Repräsentantin der Kommunistischen Plattform doch überwiegend aus Ideologie zu bestehen. Dabei scheut sie etwa in der Europapolitik keine nationalen Untertöne. Manche sagen, Wagenknecht habe Angst vor der Regierungsverantwortung. Sie wird sich wandeln müssen, weil Ideologie Gift ist für jede Form pragmatischer Politik. Dass beide in 90 Prozent ihrer Positionen übereinstimmen, ist nicht wahr. Und dass Bartsch und Wagenknecht ein funktionales Gespann abgeben, mutet daher an wie ein schlechter Scherz. Denn vorerst besteht ihr Fundament bloß in jenem Bündnis aus linkem Flügel und Reformern, das die Zentristen um Kipping beiseite drängt.
Wenn sie als Duo nicht funktionieren, verlieren beide
Statt einander gegenseitig zu blockieren, machen Linke und Reformer fortan gemeinsame Sache. Bartsch hat dabei die schlechteren Karten. Wagenknecht wird aller Voraussicht nach versuchen, ihn durch strategische Vorstöße vor vollendete Tatsachen zu stellen - gestützt auf eine größere Medienpräsenz. Erster Testlauf war kürzlich einmal mehr die Eurofrage. Entweder Bartsch positioniert sich deutlicher und lässt das Taktieren, oder er gerät ins Hintertreffen. Andererseits darf Wagenknecht nicht überziehen.
Denn wenn sie als Duo nicht funktionieren, verlieren beide. Mehr als ein Burgfrieden scheint im Lichte bisheriger Erfahrungen kaum möglich. Ein späteres rot-rot-grünes Bündnis ist überdies nahezu ausgeschlossen – schon weil es entsprechender vertrauensbildender Maßnahmen im Vorfeld bedürfte. Allzu weit reichende Vorhersagen verbieten sich allein deshalb, weil die Flüchtlingskrise das Parteiensystem bis 2017 kräftig durchrütteln könnte. Zieht die rechtslastige AfD dann ins Parlament ein, werden die Karten neu gemischt.
Dass das bis dato unmögliche Duett aus Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht erfolgreich arbeiten kann, müssen sie jedenfalls nicht zuletzt bei den eigenen Leuten noch unter Beweis stellen. Schließlich hinterlässt Gregor Gysi trotz seines bescheidenen Körpermaßes ziemlich große Schuhe. Wenn sie ihnen irgendwann passen sollen, können beide nicht bleiben, wie sie sind.