Diskussionen zwischen Parlamentariern finden im Verborgenen statt

Die interessanten Diskussionen finden im Bundestag nicht im Plenum statt, sondern in den Ausschüssen. Diese tagen leider ohne Öffentlichkeit.

Berlin-Es ist wieder nach Mitternacht geworden: Am vergangenen Donnerstag beendete Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann die Plenumssitzung mit den freundlichen Worten: „Kommen Sie gut nach Hause!“ Das Protokoll vermerkt als Uhrzeit für den Schluss der Sitzung 0.40 Uhr. Die letzten fünf Redner hatten ihre Beiträge zu Protokoll gegeben, andernfalls wäre die Sitzung bis weit nach ein Uhr gegangen. Vielleicht auch noch länger, denn auch zuvor hatten Redner und Rednerinnen an diesem Tag ihre Manuskripte den Protokollanten gegeben, ohne sie am Pult vorzutragen. Sie können bereits seit Anfang der Woche auf der Webseite des Bundestages nachgelesen werden.

Während der Plenarsitzung im Bundestag sind nicht immer alle Abgeordneten anwesend.
Während der Plenarsitzung im Bundestag sind nicht immer alle Abgeordneten anwesend.

Seit Jahresbeginn hat es kaum eine Donnerstagssitzung gegeben, die vor Mitternacht zuende ging. Da morgens um 9 Uhr begonnen wird, dauern sie durchschnittlich 15 Stunden. Und am Freitag um 9 Uhr geht es schon weiter. „Niemand kann davon ausgehen, dass während der Plenarsitzung immer alle Abgeordneten anwesend sind“, sagt eine Bundestagsabgeordnete. Sie selbst habe das Gefühl, ihre andere Arbeit zu vernachlässigen, wenn sie zu lange im Plenum verweile.

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Hauptarbeit findet in Ausschüssen statt

Diese Aussage wirkt nur auf den ersten Blick widersprüchlich. Denn der Deutsche Bundestag ist ein sogenanntes Arbeitsparlament. Das ist in der Politikwissenschaft eine feste Definition, die bedeutet, dass die Hauptarbeit eben nicht im Plenum, sondern in den Ausschüssen stattfindet. Das heißt vor allem, dass Gesetzesvorlagen zuvor in den dafür zuständigen Ausschüssen vorbereitet werden. Im Gegensatz dazu gibt es das sogenannte Redeparlament. Hier werden die Gesetzesvorlagen tatsächlich überwiegend im Plenum bearbeitet. Das bekannteste Beispiel eines Redeparlamentes ist das britische Unterhaus, das seine spezielle Arbeitsweise jüngst in den berüchtigten Debatten und Abstimmungsmarathons zum Brexit veranschaulicht hat.

So viel Stimmung gibt es im Deutschen Bundestag selten, auch wenn die Zahl der Zwischenrufe, das Gelächter und damit auch die Ordnungsrufe im Plenum deutlich zugenommen haben, seitdem dort sechs Fraktionen sitzen. Vor allem die AfD sorgt regelmäßig für Auseinandersetzungen. Sie ist es auch, die mit Anträgen auf namentliche Abstimmungen immer wieder darauf hinweist, dass die Abgeordneten ihrer Meinung nach zu wenig Präsenz im Hohen Haus zeigen. So sorgte die AfD Anfang November dafür, dass zu nächtlicher Stunde eine Bundestagssitzung wegen Beschlussunfähigkeit abgebrochen wurde. Damit wollen sie zu verstehen geben, dass die etablierten Parteien das Volk missachten, weil sie deren Vertretung schwänzen.

Purer Populismus der AfD, sagen die Politiker der anderen Parteien, denn die eigentliche Arbeit findet woanders statt. 29 ständige Ausschüsse hat der Bundestag, vom Ausschuss für Arbeit und Soziales bis zum Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In ihren Sitzung werden die meisten der fast 15 000 Drucksachen behandelt, die das Parlament in der ersten Hälfte der 19. Wahlperiode bereits hervorgebracht hat.

Hier werden Berichte und Beschlussempfehlungen zu den Gesetzesinitiativen der Fraktionen und der Bundesregierung erarbeitet. Und daher finden auch hier die entscheidenden Diskussionen zwischen den Abgeordneten statt. Das sieht auch der heutige Bundestagsvizepräsident Oppermann so. Die wirklich guten Diskussionen zwischen den Parlamentariern fänden im Verborgenen statt, schrieb er schon vor sieben Jahren und warb dafür, mehr Ausschusssitzungen öffentlich zu machen. Bis jetzt leider vergeblich.


Drucksachen nach Urheber - Dokumente der aktuellen Wahlperiode, Stand: 18. November 2019
  • 1235 Aus den Bundestagsausschüssen: An die Bundestagsausschüsse werden nicht nur Themen aus dem Plenum überwiesen, sie regen ihrerseits selbst Themen an. Der Ausschuss, als Urheber die meisten Drucksachen ins Plenum gab, ist der Petitionsausschuss. An ihn können sich Bürger mit ihren Beschwerden direkt wenden. Bei den Drucksachen handelt es sich meist um Sammelübersichten. In den jüngsten Fällen ging es um Petitionen zu gesetzlichen Krankenversicherung und zur Sommerzeit.
  • 33 aus den Bundestagsdelegationen
  • 7567 aus den Fraktionen: Die Hälfte aller Drucksachen, die der Bundestag bisher behandelte, stammen aus den Fraktionen. Es handelt sich dabei um Kleine Anfragen, Anträge, Änderungsanträge bis hin zu kompletten Gesetzesinitiativen, die im Falle der Oppositionsparteien keine Chance auf Mehrheit haben. Jüngstes Beispiel: Die Grünen fordern, das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes zu einem Transparenzgesetz weiterzuentwickeln, das Daten der Behörden leichter zugänglich macht.
  • 23 aus Bundesbehörden
  • 34 aus dem Bundesrat
  • 5743 Bundesregierung Ressorts: Die meisten Gesetzesinitiativen gehen von der Bundesregierung aus, denn sie hat die Mehrheit im Parlament, um sie auch durchzusetzen. Jüngstes Beispiel ist das „Gesetz zur Einführung und Verwendung eines Tierwohlkennzeichens“ bzw. die „Gegenäußerung des Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates“. Der Bundesrat hat im übrigen ebenfalls das Recht, Gesetzesinitiativen bei Bundestag einzureichen. Sie sind aber selten erfolgreich.
  • 123 aus dem Bundestag
  • 153 Sonstige: Unter der Rubrik Sonstige finden sich Stellungnahmen von Expertenkommissionen, Instituten oder anderen wie z. B. der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter.

Drucksachen insgesamt:
  • 498 Unterrichtungen der  Bundesregierung und des
    Bundestages:
    Vorhaben der Regierung, Überweisung von Unterlagen an Ausschüsse, Vorstellung von Gutachten
  • 11 Verordnungen: Informationen
    seitens der Regierung oder einzelner Ministerien ans Parlament
  • 1505 Anträge der Fraktionen
  • 5202 Antworten der Bundesregierung auf Anfragen der Fraktionen: Das Informationsrecht der Opposition, die die Regierung kontrollieren soll korrespondiert mit der Informationspflicht seitens der Bundesregierung. Derzeit sind noch rund 700 Anfragen unbeantwortet.
  • 1230 Berichte und Beschlussempfehlungen aus den Ausschüssen:
    Hier finden sich die Ergebnisse der Beratungen vieler politischer Themen in den einzelnen Ausschüssen. Am Ende der Diskussion gibt der jeweilige Ausschuss sein Votum, wie mit dem jeweiligen Antrag oder Gesetz zu verfahren ist. Auch hier dominiert die Regierungsmehrheit.
  • 5970 Anfragen von Fraktionen an die Bundesregierung: Dies könnte man als einen Kernpunkt der Arbeit der Opposition bezeichnen. So kommen die fast 6 000 Anfragen in dieser Legislaturperiode bisher auch ausschließlich aus den Fraktionen von Bündnis 90/Grüne, Linke, AfD und FDP. Die Themen sind dabei so vielfältig wie die inhaltlichen Ansätze der Parteien, von Verfassungsschutz bis Familiennachzug.
  • 373 Gesetze bzw. Gesetzentwürfe, die im Plenum beschlossen werden müssen. Jüngstes Beispiel ist das Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, das dem Bundestag auf Initiative des Landes Rheinland-Pfalz zugeleitet, bis jetzt aber noch nicht beraten wurde.
  • 122 Sonstige: Meist Wahlvorschläge für Gremien (Verwaltungsräte, Sondergremien, besondere Ausschüsse) aus den Fraktionen