Droht jetzt in Berlin der Warmwasser-Stopp?
Die Gaskrise spitzt sich zu. Der Senat will bei öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen zunächst zehn Prozent einsparen. Doch reicht das?

Die Sorgen um eine stabile Gasversorgung und steigende Energiepreise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine halten das Land in Atem. Am Dienstag bestimmten diese Themen die Sitzungen der Landesregierungen von Brandenburg und Berlin.
Für Brandenburg gab Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bereits am Morgen den Ton vor. Angesichts der steigenden Energiepreise fürchte er, dass „harte Monate“ auf die Menschen zukommen werden, sagte Woidke in einem Radiointerview. Eine „soziale Katastrophe“ müsse verhindert werden. „Wir müssen nicht nur mit den Menschen drüber reden, was passiert. Sondern wir müssen auch heute schon die Lösungen entwickeln, die ihnen helfen, über diese schwierige Zeit zu kommen.“
Wie diese Lösungen aussehen könnten, dazu sagte Woidke wenig. Und auch wenige Stunden später ein paar Kilometer entfernt, im Roten Rathaus in Berlin, wurde zwar über steigende Energiepreise gesprochen und viel über mögliche Gassperrungen gemutmaßt. Konkrete Lösungen gibt es aber bislang nicht.
Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (für SPD) hatte eine Gesprächsvorlage in den Senat eingebracht. Thema: Was passiert, wenn plötzlich das Gas wegbleiben sollte? Wenn, wie viele mutmaßen, Russland nach einer für den 11. Juli angekündigten, üblicherweise etwa zehn Tage dauernden Inspektion der Gasleitung Nord Stream 1 den Hahn nicht wieder öffnet? Und was kann eine Stadt wie Berlin dann tun?
Nach Corona und Ukraine-Flüchtlingen: Franziska Giffey sieht „dritte Krise für Berlin“
Eines ist sicher: 35 bis 40 Prozent des in Deutschland verbrauchten Gases stammen derzeit aus Russland.
Im Anschluss an die Senatssitzung sprach die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) von einer „dritten Krise“, mit der sich der Senat ab sofort permanent beschäftigen werde – zusätzlich zu Corona und der Unterbringung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge.
Zunächst gab Giffey Entwarnung. Es gebe „noch keine technische Gasmangellage“, sagte sie. Aber durch reduzierte Liefermengen spitze sich die Lage zu. So sei es bereits jetzt unwahrscheinlich, dass die Gasspeicher vor der winterlichen Heizperiode wie üblich befüllt werden könnten. Normalerweise, so Giffey, soll zum 1. Oktober jeden Jahres ein Füllstand von 80 Prozent erreicht sein, zum 1. November von 90 Prozent. „Das werden wir dieses Jahr wohl nicht erreichen können“, sagte Giffey. Also gebe es Handlungsbedarf. Insbesondere die kritische Infrastruktur – Energieversorger, Krankenhäuser, Feuerwehr, Polizei und Schulen – müsste geschützt werden.
Der Berliner Senat will zuerst im eigenen Haus sparen, bevor er eine große Kampagne startet
Bevor man nun aber die Bevölkerung massiv zum Energiesparen aufrufe, wolle der Senat zunächst im eigenen Hause schauen, wo der Gasverbrauch reduziert werden könnte, so Giffey. Das Ziel sei dabei ganz konkret: „Wir wollen in unseren eigenen Liegenschaften und Einrichtungen mindestens zehn Prozent einsparen“, so die Regierungschefin.
Tatsächlich ist das Potenzial beträchtlich, der öffentliche Dienst in der Stadt ist weit verzweigt. Allein 100.000 Menschen arbeiten in der Verwaltung, an Berliner Universitäten sind 250.000 Studierende eingeschrieben. Sollten all diese Menschen nur jeweils fünf Prozent weniger Energie verbrauchen, so eine Rechnung, wäre schon viel gewonnen.
Eine Schlüsselrolle soll dabei einer Arbeitsgruppe Energieversorgungssicherheit des Senats zukommen. Das ressortübergreifende Gremium soll in der kommenden Woche zusammenkommen und im August einen Maßnahmenplan vorlegen.
Dazu dürfte auch ein Prüfauftrag an den Kraftwerksbetreiber Vattenfall gehören, heißt es aus der Senatswirtschaftsverwaltung. Es müsse geklärt werden, ob und wie möglichst viele der elf Berliner Kraftwerke zumindest vorübergehend wieder auf Kohlebetrieb umgestellt werden können.
Sobald der Maßnahmenplan vorliege, so Giffey, könne man auch darüber beraten, wie eine groß angelegte Energiesparkampagne aussehen könnte.
Das Problem für Giffey und ihren Senat ist, dass sie nichts wirklich entscheiden können. Die Berliner sind gleich doppelt abhängig: natürlich von Russland, dessen Umgang mit dem Druckmittel Gas schwer vorhersehbar ist, aber auch von der Bundesebene. Dort entwirft insbesondere die Bundesnetzagentur Szenarien. Und die klingen alarmierend.
So appellierte Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller unlängst an die Bevölkerung, Energie zu sparen. Man müsse „ernsthafter über Einsparungen reden“, sagte er in einem Interview. Die zwölf Wochen bis zum Beginn der Heizsaison müssten genutzt werden, um Vorbereitungen zu treffen.
Im Falle eines russischen Gaslieferstopps würden Müller zufolge Privathaushalte ebenso wie Krankenhäuser oder Pflegeheime besonders geschützt. „Ich kann zusagen, dass wir alles tun, um zu vermeiden, dass Privathaushalte ohne Gas dastehen“, sagte er. „Wir haben aus der Corona-Krise gelernt, dass wir keine Versprechungen geben sollten, wenn wir nicht ganz sicher sind, dass wir sie halten können.“
Die Netzagentur sehe allerdings „kein Szenario, in dem gar kein Gas mehr nach Deutschland kommt“. Müssten Industriebetriebe von der Gasversorgung getrennt werden, „orientieren wir uns am betriebswirtschaftlichen Schaden, am volkswirtschaftlichen Schaden, an den sozialen Folgen und auch an den technischen Anforderungen des Gasnetzbetriebs“, sagte Müller.
Hamburg droht seinen Bürgern schon mit Warmwasser-Stopp
Doch was bedeutet das für Länder und Kommunen? So weit wie Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan wagt sich in Berlin jedenfalls noch kein politisch Verantwortlicher heraus. Der Grünen-Politiker schließt für den Fall eines Gasnotstandes in der Hansestadt eine Begrenzung des Warmwassers für private Haushalte nicht aus. „In einer akuten Gasmangellage könnte warmes Wasser in einem Notfall nur zu bestimmten Tageszeiten zur Verfügung gestellt werden“, sagte Kerstan in einem Interview.