Ehemalige DDR-Leichtathletin Ines Geipel: Weder Weltrekord noch Weltklasse

Eine MDR-Doku erhebt schwere Vorwürfe gegen die ehemalige DDR-Sprinterin Ines Geipel. Ihr Fall zeigt das Versagen deutscher Medien, meint unsere Kolumnistin.

Ines Geipel, die ehemalige deutsche Leichtathletin ist heute Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin. 
Ines Geipel, die ehemalige deutsche Leichtathletin ist heute Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin. Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Es gibt Geschichten, die sind so unglaublich, dass sie nicht wahr sein können. Die ehemalige DDR-Sprinterin Ines Geipel hat so eine Geschichte. Geipel ist ein Medienstar der Superlative: Als „eine der schnellsten Frauen der Welt“ und einstige Widerständlerin in der DDR ist die heutige Literaturprofessorin das mediale Gesicht der DDR-Dopingopfer. Sie ist Stammgast in Talkshows, Interviewpartnerin in Nachrichtensendungen und Aushängeschild bei Podiumsdiskussionen.

Von Sandra Maischberger bis Ulrich Wickert, von den „Tagesthemen“ bis zu den Talk-Sendungen der Dritten – Geipel war überall! Sogar das Bundesverdienstkreuz erhielt sie. Nebenbei tingelte sie mit Büchern wie „Umkämpfte Zone“ oder „Tochter des Diktators“ durch Deutschland. DDR-Diktatur zum Anfassen und Geld verdienen, könnte man meinen. Aber an der gefeierten „Weltklasse“ der einstigen „Weltmeisterin“ ändert das nichts.

Nun zeigt die MDR-Doku „Doping und Dichtung – Das schwierige Erbe des DDR-Sports“: alles gelogen! Geipel war weder „Weltmeisterin“, noch „Weltrekordlerin“ noch „Weltklasse“ – selbst im Olympia-Jahr 1984 war sie lediglich siebtbeste Sprinterin der DDR. Glaubt man der Doku, war Geipel auch nicht im Unwissen über Doping oder DDR-Widerständlerin. Sie war SED-Mitglied.

Wer erzählt DDR-Geschichte, und wessen Interessen werden bedient?

Das sind harte Vorwürfe. An ihnen entfacht sich aktuell ein Kampf um das Erbe der DDR. Die Doku sei einseitig, meinen die einen; die Vorwürfe müssten geprüft werden, mahnen andere. Die Frage ist: Wer erzählt DDR-Geschichte, und wessen Interessen werden bedient? Ines Geipels Interessen kamen bisher jedenfalls gut weg – thematisch breitgetreten und medial gefeiert. In Kürze soll sie den Leipziger Erich-Loest-Preis für engagierte Literatur erhalten.

In der Debatte, ob das gerechtfertigt ist, bleibt der unglaubliche Kern der Geschichte auf der Strecke: das jahrzehntelange Versagen deutscher Medien! Über Jahre plapperten Moderator:innen nach, was andere ihnen vorkauten – ohne Kritik oder Recherche. Warum Geipel ihr Leben als Spitzensportlerin öffentlich infrage stellte, wollten sie wissen und legten Geipel die „Weltklasse“ förmlich in den Mund. Die muss nicht lügen, nickt nur. Das ist ethisch fragwürdig, vor allem aber ist es eine Blamage der Medien. Denn ein Weltmeistertitel kommt nicht von irgendwo. Der ist erstritten und dokumentiert, also recherchierbar. In den deutschen Medien scheint er eine Glaubenssache – wenn alle es nur oft genug sagen, wird es schon stimmen.

Das ist peinlich und bedarf Erklärungen. Die bleiben bisher aus – angedichtete Weltmeistertitel scheinen schlecht erklärbar. Laut der MDR-Medienkolumne „Das Altpapier“ sei die Wurzel des Übels das „mediale Prominenz-System“. Das heißt, Medien reden mit den immer selben Prominenten und stellen sie „mit stets ähnlichen, gerne superlativischen Attributen“ vor. Am Ende bleibt dann mehr Erzählung als Realität.

DDR-Stereotype in den deutschen Medien lohnen sich

Der Fall Geipel zeigt aber auch: DDR-Stereotype in den deutschen Medien lohnen sich! Stasi-Verfolgte, Dopingopfer oder Bürgerrechtler:innen – das Casting-Profil bestimmt den Fokus; wer dieses Profil gut bedient, hat ausgesorgt. Komplexität fällt so gern durch mediale Maschen, und am Ende wird auch DDR-Geschichte mehr Erzählung als Realität – immer entsprechend heutiger Interessen, versteht sich. Das scheint unglaublich, ist aber wahr.