Wir brauchen ein Demografie-Ministerium für Ostdeutschland
Statt über die Nachfolge von Christian Hirte zu reden, bräuchte es einen kompletten Neustart. Eine Demografie-Ministerin sollte sich um Unterschiede zwischen Stadt und Land kümmern.
Berlin-Der ganze politische Schlamassel, den wir in den vergangenen Tagen erlebt haben, bietet endlich die Chance, das Verhältnis der Bundesregierung zu Ostdeutschland neu zu gestalten. Bisher gab es den Ostbeauftragten, ein als Amt getarntes Desinteresse, was man schon daran sah, dass der jeweilige Inhaber, angesiedelt beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, kein eigenes Budget und keinen Zugang zu Ministertreffen hatte.

Viele Ostbeauftragte kamen und gingen, ohne dass man sie groß bemerkte. Erinnert sich noch jemand an Rolf Schwanitz? Christoph Bergner? Der Letzte, Christian Hirte, flog am Wochenende heraus. Der Ostbeauftragte war zuletzt in der Debatte vor allem damit aufgefallen, dass er vehement gegen eine Ostquote kämpfte.
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Vergangene Woche gratulierte er dem FDP-Politiker Thomas Kemmerich zur Wahl als Ministerpräsident. Kanzlerin Angela Merkel warf ihn daraufhin raus. Dabei darf man daran erinnern, dass Merkel nicht ganz unschuldig an dem Drama ist. Sie war es im Verein mit CDU-Generalsekretär Ziemak gewesen, die dem Erfurter Fraktionschef Mike Mohring im Herbst nach der Wahl verboten, eine Koalition mit den Linken einzugehen.
Eine Ministerin für Demografie
Jetzt ist die Position des Ostbeauftragten vakant, doch bevor irgendjemand aus der dritten Reihe gesucht wird, wäre es Zeit für einen Neustart. Manche wünschen sich ein Ost-Ministerium, eine Idee, die der Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch bei der Bundestagswahl 2017 ins Gespräch gebracht hatte. Er argumentierte mit den großen Unterschieden, die es zwischen Ost und West in der Wirtschaft, bei Löhne, Rente und Infrastruktur gebe. In einem solchen Ost-Ministerium sollte alles zusammengeführt werden.
Das ist keine schlechte Idee, blendet aber aus, dass sich der Osten sehr unterschiedlich entwickelt hat. Besser wäre ein Demografie-Ministerium, ein gesamtdeutsches, mit Schwerpunkt auf Ostdeutschland. Eine Ministerin für Demografie – und natürlich sollte es eine Frau sein – müsste sich um die Unterschiede zwischen Stadt und Land kümmern, um Bahnstreckenausbau, Gesundheitsversorgung, aber auch am Tisch im Kabinett sitzen, wenn neue Rentensteigerungen diskutiert werden.
Wenn die Rentner in 30 Jahren so vergleichsweise komfortabel wie heute leben wollen, dann muss man nur auf die Geburtenraten gucken, um zu erkennen, dass das Land wesentlich mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland als heute braucht, die die Renten erarbeiten. Es gibt kein Einwanderungskonzept, dafür aber einen Afrika-Beauftragten der Bundesregierung, der orakelt, dass 100 Millionen Afrikaner auf gepackten Koffern sitzen.
Die demografische Lage, das ist in der Diskussion noch gar nicht angekommen, wirkt im Osten unerbittlich. Das Zusammenspiel zwischen Frauenmangel, Abwanderung und Überalterung ist weltweit einzigartig, sagt zum Beispiel die aus Sachsen stammende Soziologin Katja Salomo. Sie hat eine Studie mit Schwerpunkt auf Thüringen verfasst, in dem sie nachweist, dass demografische Faktoren zu rassistischen Einstellungen führen können.
Demografie-Ministerium sollte einen Plan entwickeln
Wenn zum Beispiel die Kaufkraft zurückgeht, weil nur noch Rentner an einem Ort wohnen, gibt es weniger Freizeit- und Einkaufsangebote. Frauen sind eher diejenigen, die sich um Nachbarn und Netzwerke kümmern, fehlen sie, fehlt auch viel soziales Leben ein. Wenn Häuser leer stehen, wenn immer wenige Jugendliche auf der Straße zu sehen sind, dann stellt sich ein Gefühl der Tristesse, des Vergessenseins ein.
Die Lebensqualität sinkt. All das gibt es auch im Westen, im Osten ist es nur extremer. Ein Demografie-Ministerium sollte diese Krise endlich adressieren und einen Plan für die Regionen entwickeln, denn das fällt in den bisherigen Ressorts oft herunter.
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Dazu würde zum Beispiel gehören, dafür zu sorgen, dass mehr Busse auf dem Land fahren, dass es mehr attraktive Rückkehrangebote gibt und koordinierte Frauenförderung, um die Frauen, die da sind, zum Bleiben zu bewegen. Vor allem dürfte ein solches Ministerium nicht die Fehler der 90er-Jahre wiederholen und Außenstehende einfliegen, die den Menschen vor Ort die Welt erklären.