Eine Berlinerin, die nicht wählen darf: Lasst uns auch mitbestimmen!

Die Autorin ist Berlinerin, aber nicht Deutsch. Sie arbeitet hier, darf jedoch nicht mitbestimmen, was mit ihren Steuergeldern passiert. Sie hat eine Bitte an die wahlberechtigten Berliner.

Berliner Vielfalt? Nur, wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ist für die Wahl zum Abgeordnetenhaus am Sonntag wahlberechtigt.
Berliner Vielfalt? Nur, wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ist für die Wahl zum Abgeordnetenhaus am Sonntag wahlberechtigt.Jochen Eckel/imago

Berlin wählt mal wieder – und wir sind, mal wieder, nicht dabei. Wir, das sind die nicht wahlberechtigten Berliner, die seit Jahren, Jahrzehnten hier leben, arbeiten, Steuern zahlen, studieren, Wohnungen mieten, Familien gründen … Man nennt uns auch: Ausländer.

Ich gehöre zur Gruppe der Menschen, die in Berlin kein Wahlrecht haben. Fast 800.000 Berlinerinnen und Berliner gibt es, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben und damit am Sonntag keine Stimme für das Berliner Abgeordnetenhaus abgeben können.

EU-Bürger haben in Deutschland das Recht, bei Europa- und bei Kommunalwahlen ihre Stimme abzugeben. Unionsbürger mit Wohnsitz in Berlin können sich an den Europa-Wahlen und den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen der Berliner Bezirke beteiligen, sofern sie seit mindestens drei Monaten am Wahlort ihren Hauptwohnsitz haben. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus, bei Volksentscheiden und Volksbegehren sowie bei der Bundestagswahl bleiben Nichtdeutsche außen vor. Aus­län­de­rin­nen aus Nicht-EU-Staaten, die in Berlin leben, sind dagegen von sämtlichen Wahlen ausgeschlossen.

Wahlrecht für Ausländer nicht vereinbar mit dem Grundgesetz

Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2021 waren laut RBB 34,5 Prozent der nichtdeutschen Berliner von den Wahlen ausgeschlossen. Das bedeutet de facto, dass die Kandidaten der Berliner Parteien ihren Wahlkampf in manchen Stadtteilen bestreiten mussten, in denen fast jeder dritte Erwachsene nicht wahlberechtigt ist.

Dass viele potenzielle Wählerstimmen dadurch verloren gehen, scheint den Berliner Politikern, zumindest theoretisch, bewusst zu sein. Die Absicht, etwas an dieser Schieflage zu ändern, ist offenbar vorhanden, im Berliner Koalitionsvertrag steht nämlich: „Die Koalition setzt sich im Bund dafür ein, die bundesrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, um ein aktives Wahlrecht auf Landes- und Bezirksebene auch für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die seit mindestens fünf Jahren in der Stadt leben, zu ermöglichen. Auch landesrechtliche Möglichkeiten werden geprüft.“

Doch Anfang des Jahres erklärte der Wissenschaftliche Dienst des Abgeordnetenhauses die Einführung eines uneingeschränkten Wahlrechts für EU-Ausländer auf Landesebene sowie für Nicht-EU-Ausländer auf Bezirks- und Landesebene für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Das Gutachten hatte die AfD-Abgeordnete Kristin Brinker in Auftrag gegeben, die Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Berliner Wiederholungswahl.

„In welcher Stadt wollen wir leben?“, fragte die Berliner Zeitung im Januar im Bürgertalk mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey.

Ich möchte in einer Stadt leben, in der ich mich nicht immer wieder als Bürgerin zweiter Klasse fühlen muss, wenn es um politische Teilhabe geht. Es geht dabei nicht um symbolische Anerkennung, sondern zum Beispiel ganz konkret darum, dass ich gerne mitbestimmen möchte, was mit meinen Steuergeldern passiert.

Wenn ich mitentscheiden möchte, von wem meine Stadt regiert wird, kann ich aktuell nichts anderes tun, als die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen, die ich sonst für gar nichts anderes brauche. Warum auch? Anfang der Nullerjahre, als ich nach Berlin kam, war der Begriff der „europäischen Integration“ noch in aller Munde.

„Wenn es dir hier nicht gefällt …“

Das mag sich vielleicht wie ein Luxusproblem anhören. Mir ist mein Privileg als weiße Mittelschichts-Expat aus einem EU-Land hier in Berlin durchaus bewusst – sowie der Umstand, dass strukturelle Diskriminierung, etwa auf dem Arbeitsmarkt und bei der Wohnungssuche oder der ganz gewöhnliche Alltagsrassismus mich weniger betreffen als diejenigen, die als „echte Migranten“ markiert sind – weil sie anders aussehen, die deutsche Sprache nicht kennen oder auf Hilfe vom Staat angewiesen sind.

Aber auch ich muss gelegentlich den Satz hören, der damit anfängt: „Wenn es dir hier nicht gefällt …“.  Eine Variante davon, wenn es um Wahlrecht für Ausländer geht, lautet: „In deinem Land dürfte ich aber auch nicht wählen“, als würde es sich dabei um einen Wettbewerb handeln, welches Land mit „seinen Ausländern“ großzügiger ist.

Bürgerrechte wie das Wahlrecht sind aber keine Konzession eines „großzügigen“ Staates an eine Minderheit – sie betreffen, wie das Wort schon sagt, alle Bürgerinnen und Bürger, sollten also universell gelten.

Berlin ist zu Recht stolz auf seine Offenheit und Vielfalt, die zum Markenzeichen der Stadt geworden sind. Aber woraus besteht diese teilweise chaotische Vielfalt, wenn nicht aus den vielen Lebensgeschichten und –entwürfen, die aus allen möglichen Teilen der Welt in Berlin sich zusammengefunden haben? Ohne sie gäbe es jene Diversität, die Berlin ausmacht und die sich ständig selbst feiert, gar nicht. Ohne sie, ohne uns, wäre Berlin eine stinknormale deutsche Stadt.

Diesen Menschen Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen zu ermöglichen, würde dem Selbstverständnis dieser Stadt Rechnung tragen.

Uns Nichtwählern gegen den eigenen Willen bleibt zu hoffen, dass die wahlberechtigten Berliner und Freundinnen und Freunde am Sonntag die richtige Wahl treffen. Für uns und für Berlin. Wir zählen auf Euch!

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