ZDF-Team wurde in Putins Armee „embedded“: Mit den Russen in Mariupol

Das ZDF lässt sich als einziger westlicher Fernsehsender von Russlands Truppen den Donbass zeigen. Der Redakteur nennt das den „besten Weg“.

„ZDF heute Live“: „Unterwegs mit der Russischen Armee“ mit Reporter Winand Wernicke.
„ZDF heute Live“: „Unterwegs mit der Russischen Armee“ mit Reporter Winand Wernicke.Screesnshot/ZDF

Das ZDF ist mit der russischen Armee durch den Donbass gereist. Vier Tage lang dauerte die gemeinsame Tour in die Städte Sjewerodonezk, Lyssytschansk, Mariupol und Donezk. Die Ergebnisse wurden über mehrere Tage in verschiedenen ZDF-Formaten gezeigt, zuerst am 17. Juli im „heute journal“, am 18. Juli auch in der Sendung „ZDF heute live“. Kein anderer westlicher Fernsehsender hat sich auf eine solche Kooperation bisher eingelassen.

Diese Form der Berichterstattung nennt sich Embedded Journalism, zu Deutsch: eingebetteter Journalismus. Dabei begleiten Reporter Militäreinheiten auf Schritt und Tritt: Sie reisen, essen und schlafen gemeinsam. Durch die unmittelbare Nähe zu den Truppen gewinnen Journalisten Einblicke, die ihnen normalerweise vorenthalten bleiben. Gleichzeitig können Sympathien mit den Soldaten entstehen, bei denen man embedded ist.

Russisches Verteidigungsministerium organisierte die Reise

In diesem Fall wurde die Reiseplanung vom russischen Verteidigungsministerium übernommen. Das heißt: Moskau hatte die Kontrolle. Was die Reporter sahen, mit wem sie sprechen konnten. Embedded Journalism ist immer eine Gratwanderung. Diesmal zwischen russischer Propaganda auf der einen und unabhängigem Journalismus auf der anderen Seite.

„Ja, das ist nicht Alltag und normalerweise auch nicht der Anspruch, den man hat“, sagt der Reporter Winand Wernicke über seine Reise durch den Donbass. Der langjährige Moskau-Korrespondent erklärte sich in einer ZDF-Sendung mit dem Moderator Carsten Rüger. Dem ZDF war anscheinend bewusst, dass die Kooperation mit der Armee eines Landes, das einen Angriffskrieg führt, Fragen aufwerfen könnte.

Besonders heikel sind bei dieser Reportage die juristischen Dimensionen. Bei Reisen in ukrainische Gebiete unter russischer Besatzung wird „eine Zustimmung des Ministeriums für Informationspolitik der Ukraine“ verlangt. So nachzulesen auf der Webseite der Staatlichen Ukrainischen Migrationsbehörde. Wobei Einreisen in die besetzten ukrainischen Gebiete über russisches Staatsgebiet grundsätzlich untersagt sind. Nur über ukrainische Grenzübergänge gestattet die Ukraine sie.

Wusste die Ukraine von dem ZDF-Dreh?

Wernicke reiste nach eigenen Angaben, genau wie der Rest einer Reporter-Reisegruppe, über Moskau in den Donbass. Man sei mit „30 bis 35 weiteren – meistens kremlnahen – Journalisten“ unterwegs gewesen, erzählt er. Die Reise sei „trotzdem angebracht gewesen“, so Winand Wernicke. Ob die Reise mit ukrainischen Behörden abgestimmt war, beantwortet das ZDF auf Anfrage der Berliner Zeitung nicht. Die ukrainische Botschaft ließ wiederholt Anfragen unbeantwortet.

Das Team um Wernicke war bisher das einzige westliche Fernsehteam in den russisch besetzten Regionen Luhansk und Donezk. Die Idee für die Reise kam von den Russen, sie waren mit dem Angebot auf den öffentlich-rechtlichen Sender zugekommen.

Für nicht-ukrainische Bürger zieht eine Reise über Moskau auf die Krim oder in den Donbass in der Regel eine Einreisesperre nach sich. Gegen die deutsche Musik-Band Scooter wurde zum Beispiel ermittelt, da sie 2017 trotz Warnungen ukrainischer Behörden auf einem Festival auf der Krim auftraten. Schon damals war es der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, der den Auftritt heftig kritisierte.

Donbass-Reise war „Kompromiss“

So überrascht es nicht, dass die russischen Soldaten in der ZDF-Reportage fortwährend in harmlosen Situationen gezeigt werden – andere waren einfach nicht zu filmen. Soldaten bringen Zivilisten Nahrung und Wasser, stellen russische Pässe im Schnellverfahren aus, zahlen Renten, kümmern sich um die Ernte. Es wirkt alles sehr menschlich. Wernicke gibt zu, dass die russische Seite damit auch dem deutschen Fernsehen „eine Form von Normalität zeigen will“. Ungeachtet dessen hält er fest, dass die Verteilung von Lebensmitteln in russisch besetzten Gebieten „notwendig“ sei.

In der Stadtverwaltung von Melitopol werden russische Pässe im Schnellverfahren vergeben. Im Hintergrund eine russisch Flagge und das Porträt Wladimir Putins.
In der Stadtverwaltung von Melitopol werden russische Pässe im Schnellverfahren vergeben. Im Hintergrund eine russisch Flagge und das Porträt Wladimir Putins.Scrrenshot/ZDF

Besonders „die Möglichkeit, einen Einblick zu bekommen“ überzeugte das ZDF offenbar, ihre Reporter in den Donbass zu schicken. Dabei konstatiert Wernicke, dass die Einwohner auf das Treffen mit den Journalisten vorbereitet worden waren. Auf Kontakt mit russischen Soldaten oder Offizieren habe es hingegen „keine Chancen“ gegeben. Offen und ehrlich konnte man nicht sprechen. Permanent wurde das Reporterteam von Mitarbeitern des russischen Verteidigungsministeriums begleitet, bei Interviews hörten sie aufmerksam zu – was auch den Interviewten bewusst gewesen sein dürfte.

Wernicke bezeichnet die Reise in seinem Gespräch mit Rüger als „Kompromiss“. Es sei eine „Mischung aus präpariert, aber auch authentisch“ gewesen, da es ja Situationen gegeben habe, in denen das Kamerateam ungestellte Momente habe beobachten können. Als Beispiel nennt er die Bilder von einer Trink- und Lebensmittelstation in Lyssytschansk. Er sagt, die Menschen dort seien „keine ausgewählten Statisten oder ähnliches“ gewesen.

Während Wernicke eine Person interviewt, hört im Hintergrund mutmaßlich ein russischer Behördenmitarbeiter zu – mit „Z“-Mütze.
Während Wernicke eine Person interviewt, hört im Hintergrund mutmaßlich ein russischer Behördenmitarbeiter zu – mit „Z“-Mütze.Screenshot/ZDF

Doch der ZDF-Journalist beobachtete nicht nur, er ordnet auch ein. Wernicke erklärt, dass die Menschen im Donbass den Wunsch nach Ruhe hegen und ihnen „schon fast egal ist unter welcher politischen Situation man sich dann befinde“. Der Krieg solle dringlichst aufhören. Die Gräueltaten, die russische Soldaten in besetzten Gebieten verübt haben – Verschleppung, Folter und Vergewaltigungen – besprechen ZDF-Moderator Rüger und Wernicke hingegen nicht. Auch wie eine mögliche Rückeroberung von Gebieten durch das ukrainische Militär gesehen wird, ist in der Reportage kein Thema.

Doch während das ZDF derartige Formate für vertretbar hält, sieht die ARD das ganz anders. „Die ARD hat weder auf der russischen noch auf der ukrainischen Seite embedded berichtet. In Abwägung zwischen dem Berichterstattungsinteresse und der journalistischen Unabhängigkeit haben wir uns bewusst dagegen entschieden“, sagte die Kommunikationsabteilung des WDR, die für die Ukraine-Berichterstattung des Ersten zuständig ist, der Berliner Zeitung.

Doch Embedded Journalism ist für das ZDF auch nicht immer die erste Wahl. Auf die Frage, inwieweit das ZDF seit Beginn der russischen Invasion im Februar mit der ukrainischen Armee unterwegs gewesen sei, hieß es am vergangenen Dienstag: „An vergleichbaren embedded Journalistenreisen mit der ukrainischen Armee hat das ZDF nicht teilgenommen.“

Reporter übernimmt Begriffe der russischen Führung: Sonderoperation

Nach der Ausstrahlung zeigten sich ukrainische Zuschauer irritiert über die ZDF-Reportage. Eine Frau kritisierte Wernickes sprachliche Aneignung russischer Begrifflichkeiten während eines Interviews zur Reise. So hatte er vom „schweren Konflikt“ und einer „militärischen Sonderoperation“ gesprochen.

Wernicke zieht am Ende seiner Reportage trotz allem ein positives Fazit. Er habe auf die Schicksale der Menschen im Donbass aufmerksam gemacht. Dafür habe es sich gelohnt. „Für uns als Journalisten ist es komisch, aber es ist trotzdem der beste Weg hin und wieder mal hinzuschauen.“