Entscheidung des Berliner Justizsenators: Jüdisches Krankenhaus beschneidet wieder

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Mit einer Mischung aus Erleichterung und Skepsis haben jüdische und muslimische Verbände, aber auch Ärzte auf den Vorstoß von Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) reagiert, Beschneidungen straffrei zu stellen. Das Papier, das am Mittwoch präsentiert wurde, besagt, dass niemand strafrechtlich verfolgt werde, solange die religiöse Motivation und Notwendigkeit nachgewiesen sei und medizinische Standards eingehalten würden.

Levi Salomon, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde, nahm den Vorstoß zwiespältig auf. Es sei gut, dass Juden nicht mehr wegen Beschneidungen angezeigt werden könnten. Problematisch sei jedoch die Einschränkung, dass nur approbierte Ärzte beschneiden könnten. „Was ist mit dem Mohel, dem jüdischen Beschneider. Darf der noch beschneiden?“

Sehr befremdet gefühlt

Tatsächlich ist für die Mohalim keine kurzfristige Lösung in Sicht. Heilmann verwies auf Gespräche mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland, wonach Beschneider künftig eine medizinische Zusatzausbildung erwerben könnten – vergleichbar mit Hebammen oder Rettungssanitätern.

Positiv reagierte Süleyman Kücük auf die Initiative. Der Dialog-Beauftragte des Vereins Ditib, dem Dachverband türkischer Moschee-Gemeinden in Deutschland, sagte, er sei froh über „die neuen, klaren Rahmenbedingungen“. „Wir haben uns schon sehr befremdet gefühlt“, sagt er.

Wie hitzig die Debatte geführt wird, zeigt eine Strafanzeige gegen Yitshak Ehrenberg. Der Berliner Gemeinderabbiner hatte im Juli in der TV-Talkshow „Anne Will“ angekündigt, auch weiterhin Britot, Beschneidungen also, durchführen lassen zu wollen. Das auf die Anzeige hin eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.

Aufgeregte Familien

Für Rabbiner Ehrenberg war der Fall damit noch nicht erledigt. Der Zeitung Jüdische Allgemeine erklärte er: „Der Vorgang macht deutlich, dass wir schnell Rechtssicherheit brauchen. Ich erwarte klare Vorgaben, dass wir als Rabbiner hier weiter im Sinne unserer Halacha leben und handeln können.“ Die Halacha ist das jüdische Recht.

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Vertreter des Jüdischen Krankenhauses in Wedding reagierten erleichtert auf die Klarstellung durch die Justiz. Chefarzt Kristof Graf sagte: „Unsere Ärzte werden ab sofort wieder Beschneidungen vornehmen.“ Weil man Angst vor Strafe hatte, musste man viele aufgeregte Familien unverrichteter Dinge nach Hause schicken. Das Krankenhaus gilt als das mit den meisten Beschneidungen der Stadt. Jährlich wird dort 80 bis 150 Jungen die Vorhaut entfernt – 80 Prozent sind muslimisch, 20 Prozent jüdisch.

Im landeseigenen Klinikkonzern Vivantes hatte man die Beschneidung nie unterbrochen. „Wir respektieren Traditionen, empfehlen den Eltern aber, damit zu warten, bis die Söhne ins Jugendalter kommen und beurteilen können, was mit ihnen geschieht“, sagt Bernd Tillich, Chefarzt für Kinderchirurgie und -urologie im Klinikum Neukölln sowie Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums von Vivantes in Prenzlauer Berg. Aber auch Vorschulkinder würden beschnitten, wenn der familiäre oder religiöse Druck sehr hoch ist. Bei Säuglingen lehnt Vivantes einen Eingriff ab. Jährlich würden in Neukölln rund 20 Beschneidungen vorgenommen, im MVZ in Prenzlauer Berg gebe es etwa 80 Eingriffe. Beschneidungen sind als individuelle Gesundheitsleistungen qualifiziert, Eltern müssen rund 300 Euro bezahlen.

Anästhesie statt Rotwein oder Creme

Skeptisch bleibt Elke Jäger-Roman vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Sie begrüße zwar die Formulierung der „größtmöglichen Schmerzfreiheit“, die als eine Voraussetzung genannt wurde. Das sei besser, als den Säugling etwa mit etwas Rotwein und einer Paracetamol zu „behandeln“, wie es bei vielen jüdischen Beschneidungen üblich sei. Auch eine lindernde Crème, wie sie oft benützt werde, reiche nicht. „Wir verlangen eine Anästhesie mit Spritzen in die Leisten.“

Generell aber hält sie Beschneidungen vor dem 14. Lebensjahr für falsch. „Sexualmediziner sagen, dass die Vorhaut eine große Bedeutung für das Lustempfinden hat“, sagte Jäger-Roman. Man greife in das spätere Sexualleben der Jungen ein. Sie wolle nicht in die religiöse Debatte eintreten, mahnte aber eine Hinwendung zum Kindeswohl an.