Erdogan-Türkei: Bundestagsdelegation will keine „Touristengruppe“ sein

Berlin/Istanbul - Seit mehreren Wochen war die Reise in die Türkei akribisch vorbereitet worden, am Donnerstag wollte eine hochrangige Bundestagsdelegation starten. Ihr Ziel: Den Dialog mit der Türkei suchen. Nun haben die Bundestagsabgeordneten die Reise kurzfristig abgesagt - Ankara hatte extremen Druck auf die Politiker ausgeübt. 

Der Konflikt um die deutsch-türkischen Beziehungen hat damit eine neue Eskalationsstufe erreicht. „Unser Ziel war es, gerade in der schwierigen Zeit Brücken zu bauen und keine Mauern zu errichten“, sagte Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) am Mittwoch in Berlin.

Am Montag hieß es aus Ankara – „von allerallerhöchster türkischer Stelle“, dass es weder offizielle Gespräche, Besuche im Parlament und in staatlichen Institutionen, protokollarische Begleitung, noch eine Sicherheitsbegleitung für die Reisenden geben werde, erklärte Roth. Der türkische Vize-Außenminister hatte die Nachricht überbracht.

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Man wolle keine „Touristengruppe“ sein

„Wir wären faktisch als Touristengruppe unterwegs gewesen“, sagte Roth weiter. Diese Verantwortung als Leiterin hätte sie nicht tragen können. Schweren Herzens habe man sich deshalb entschieden, die Reise nicht anzutreten, erklärte die Bundestagsvizepräsidentin.

An der Reise nach Ankara, Diyarbakir und Istanbul sollten neben Roth auch die Grünen-Flüchtlingsexpertin Luise Amtsberg, der CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages Matthias Zimmer und der SPD-Außenexperte Niels Annen (SPD) teilnehmen.

Es sollten Gespräche mit dem Parlamentspräsidium, im Außenministerium, im EU-Ministerium, mit den Vorständen der jeweiligen Parlamentsfraktionen, Abgeordneten, EU-Vertretern sowie Menschenrechtsanwälten und –aktivisten, Flüchtlingsverantwortlichen und Zivilvertretern stattfinden.

„Absage an den politischen Dialog“

Auch ein Antrag auf einen Besuch des Journalisten Deniz Yücel, der seit 100 Tagen in Haft sitzt, hatte die Delegation gestellt.

Auch Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) kritisierte das Vorgehen der türkischen Regierung. Dies sei ein „schwerwiegender Vorgang“, sagte Gabriel während seiner China-Reise in Peking. Die weiteren Gespräche würden dadurch nicht erleichtert.

Roth zeigte sich entsetzt über das Verhalten aus Ankara und bezeichnete es als „Absage an den politischen Dialog“, als „rote Karte für den deutschen Bundestag“, als „neue Eskalationsstufe der Erdogan-Türkei“ und „politische Provokation“. Diese Reaktion sei unverantwortlich, nicht nachvollziehbar und inakzeptabel, kritisierte sie.

Roth erwarte nun eine sehr klare Reaktion der Bundesregierung und „keinen Schlingerkurs“. „Es braucht klare Zeichen, dass wir das nicht akzeptieren“, machte Roth deutlich. Der Nato-Gipfel in Brüssel biete Anlass dafür. Auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nimmt an dem Treffen teil. 

„Wir lassen uns keine Reisebedingungen diktieren“

Nils Annen betonte, dass das Programm nicht auf innenpolitische Themen fokussiert gewesen sei, sondern es auch um außenpolitische und gemeinsame Interessen wie zum Beispiel dem Kampf gegen Terrorismus gehen sollte. „Wir lassen uns keine Reisebedingungen diktieren“, erklärte auch Annen.

Er forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unter anderem auf, mit Erdogan über eine grundlegende Vereinbarung für ein dauerhaftes Besuchsrecht für deutsche Abgeordnete auf dem Militärstützpunkt im türkischen Incirlik zu reden. Ansonsten müsse man die Bundeswehr-Soldaten abziehen.

Mitte Mai wollten mehrere Bundestagsabgeordnete im türkischen Incirlik stationierte Bundesweh-Soldaten besuchen. Nato-Partner Türkei hatte den Besuch der Parlamentarier des Verteidigungsausschusses verweigert. Die Bundesregierung hatte daraufhin erwogen, die Soldaten, die sich im Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) beteiligen, von dem Stützpunkt abzuziehen.