Es begann 2014: Wie die Nato den Krieg Russlands in der Ukraine sieht
Die Nato ist um eine Einordnung des Krieges aus ihrer Sicht bemüht. Nun liefert Jens Stoltenberg überraschend neue Erkenntnisse über den Kriegsbeginn.

Bei einer Pressekonferenz am Vorabend des Nato-Ministerrats in Brüssel hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Montag eine interessante historische Einordnung des Kriegs in der Ukraine gegeben. Der Reporter Lorne Cook von der Associated Press fragte Stoltenberg: „Der Krieg nähert sich praktisch seiner Einjahresmarke, und ich frage mich, ob Sie irgendwelche Gedanken darüber haben, wie das die Nato und insbesondere Ihre Arbeit verändert hat, und ob Sie diese Arbeit fortsetzen wollen, wenn wir zum nächsten Gipfel nach Vilnius kommen.“
Darauf antwortete Stoltenberg laut Nato-Transkript: „In gewisser Weise hat es die Nato nicht verändert. Es hat gerade die Bedeutung der Nato gezeigt und wie wichtig sie war. Tatsächlich hat die Nato seit 2014 die größte Verstärkung der kollektiven Verteidigung seit einer Generation durchgeführt, weil der Krieg nicht im Februar letzten Jahres begonnen hat. Er begann im Jahr 2014 (im Original auf Englisch: … because the war didn’t start in February last year. It started in 2014). Und das löste eine große Anpassung unseres Bündnisses mit einer höheren Bereitschaft der Streitkräfte aus, mit mehr Präsenz im östlichen Teil des Bündnisses, mit mehr Übungen.“ Stoltenberg weiter: „Und zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren begannen alle Alliierten, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Im Grunde hat es die Nato also nicht verändert. Es hat nur gezeigt, wie wichtig es ist, dass die Verbündeten zusammenstehen, sowohl bei der Unterstützung der Ukraine als auch beim gegenseitigen Schutz, um sicherzustellen, dass der Krieg nicht über die Ukraine hinaus eskaliert. Und als wir am Morgen der Invasion beschlossen, unsere Präsenz zu verstärken, konnten wir auf der verstärkten Präsenz aufbauen, die wir bereits in den letzten Jahren umgesetzt haben.“
Stoltenberg: „Wir haben uns 2016 für die Kampfgruppen entschieden. Und wir haben unsere Präsenz sogar in den Monaten vor der Invasion verstärkt, weil die Invasion keine Überraschung war. Das war eine Invasion, von der wir wussten, dass sie kommen würde, und deshalb waren wir darauf vorbereitet, als sie passierte.“ Über seine persönliche Zukunft als Nato-Generalsekretär hielt sich Stoltenberg bedeckt. Er sagte: „Für mich ist es äußerst wichtig, mich in anspruchsvollen und herausfordernden Zeiten für das Bündnis auf meine Aufgabe als Generalsekretär zu konzentrieren, und das sage ich dazu.“
Etwas später in der Pressekonferenz präzisierte Stoltenberg seine Einordnung dahingehend, dass die Nato die russische Invasion in der Ukraine im Februar 2022 als direkte Fortsetzung des Kriegs sieht, der laut Stoltenberg bereits 2014 begonnen hat. Er sagte: „Was wir nach 2014 gesehen haben, ist, dass die Ukraine nicht in der Lage war, einen zweiten Angriff abzuwehren. Russland marschierte ein und annektierte die Krim rechtswidrig und einige Wochen oder Monate, nachdem sie in den östlichen Donbass eingedrungen waren. Und dann ging der Krieg viele Jahre lang auf und ab, bis es zur vollwertigen Invasion kam.“ Stoltenberg vertritt in diesem Punkt die Position, dass die Nato nicht Kriegspartei ist, sondern die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung unterstützt. Das erste Ziel sei, dass „die Ukraine diesen Krieg gewinnt“. Stoltenberg weiter: „Das zweite Hauptaugenmerk sollte darauf liegen, dass wir, wenn dieser Krieg auf die eine oder andere Weise endet, sicherstellen sollten, dass die Ukraine in der Lage ist, sich selbst abzuschrecken und zu verteidigen.“
Hinweise auf ein rasches Ende des Kriegs hat Stoltenberg nicht und forderte mehr westliche Militärhilfe: „Wir sehen keine Anzeichen dafür, dass Präsident Putin sich auf den Frieden vorbereitet“, sagte der Norweger am Dienstag in Brüssel. „Er bereitet sich auf mehr Krieg vor, auf neue Offensiven und neue Angriffe.“