Eurovision Song Contest in Baku: Schweden gewinnt zum fünften Mal den ESC

Baku - Auf einmal war er weg, der Gitarrist aus Roman Lobs Band: selig eingeschlafen auf einem Sofa im Foyer des Euro Clubs, während um ihn herum die Aftershowparty des ESC ihren Lauf nimmt und der Siegertitel „Euphoria“ über die Tanzfläche wummert.

Da ist es aber auch fast sechs Uhr früh in Aserbaidschans Hauptstadt, draußen wird es schon hell. Außerdem: warum soll es dem Musiker besser gehen als vielen Fernsehzuschauern während der drei Stunden und 20 Minuten langen Show?

Die 57. Ausgabe des Wettbewerbs bietet Samstagnacht die übliche Melange aus Musik- und Design-Unfällen: neben Schwanenkostümen (Aserbaidschan) und bizarr aus der Zeit gefallenen Pop-Erinnerungsstücken (Compact Disco, die ungarischen Depeche Mode) sind gleich zwei minimalistisch bekleidete Kylie Minogue-Darstellerinnen (aus  Zypern und Griechenland)  sowie eine Björk vom Balkan (Rona Nishliu, Albanien) zu besichtigen, die auch in einem „Blechtrommel“-Hörspiel den Oskar Matzerath geben könnte. Nishlius Experiment, sedierte TV-Zuschauer mit Sirenengesang wach zu schocken, muss nach Baku jedoch als total gelungen gelten, die Sängerin mit dem Dutt aus Dreadlocks wurde Fünfte. 

Totalschaden für Schnulzenkaiser Engelbert

Dagegen erleiden zwei der so genannten „Big Five“, die automatisch für das ESC-Finale qualifiziert sind, in Baku einen Totalschaden.  Englands Schnulzenkaiser Engelbert Humperdinck, der in den Nahaufnahmen aussah wie eine Wachsfigur,  beginnt den Wettbewerb mit der Startnummer 1 – und beendet ihn auf Rang 25. Nur Norwegen holt noch weniger Punkte.

Auch Frankreichs Versuch, beim orientalischsten ESC einer Zeiten auf Multikulti zu setzen, geht schief. Die in Indonesien geborene Sängerin Anggun, in ihrer Heimat ein großer Star, findet sich auf Platz 22 wieder. Selbst das offensiv in die Choreografie eingebaute Schwulen-Entertainment – drei gestählte Turner mit nacktem und perfekt epiliertem Oberkörper – hilft der Grande Nation nicht.

Roman Lob schafft es auf Platz acht

Die restlichen „Big Five“ landen im vorderen Mittelfeld auf den Plätzen 8 bis 10, in dieser Reihenfolge: Roman Lob für Deutschland, Italiens Retro-Soul-Wunder Nina Zilli und Pastora Soler für  Spanien. Mit 110 Punkten erreicht Roman etwa das Ergebnis von Lena Meyer-Landrut vor einem Jahr (107) .

Doch während damals Ell & Nikki für Aserbaidschan damals in Düsseldorf mit 221 Punkten und einem knappen Vorsprung auf Italien durchs Ziel gingen, lässt die schwedische Sängerin Loreen der Konkurrenz in Baku nicht die Spur einer Chance. Am Ende hat sie 372 Punkte gesammelt, 113 mehr als die russischen Großmütter mit ihrem Brotofen.

Zwölfmal Höchstwertung für Schweden

Der Dance-Track „Euphoria“ – visuell eine durchaus gewagte, weil zum Teil sehr düstere Waldhexen-Performance – vereint in dieser Nacht einen Kontinent. Loreen wird eben nicht nur von den skandinavischen und baltischen Nachbarländern mit der Höchstwertung bedacht, sie räumt gleich 18mal die zwölf Punkte ab, auch in Israel, Spanien, Frankreich und Großbritannien.

Um 3.20 Uhr Ortszeit steht sie endlich im Konfettiregen und hält die vom schwedischen Glaskünstler Kjell Engman gefertigte  ESC-Trophäe in Händen.  Es ist der fünfte ESC-Sieg für Schweden seit 1974, als die Weltkarriere von Abba begann.

ESC 2013 in Stockholm

Im Mai 2013 sind die Schweden nun wieder als Gastgeber gefragt, zuletzt machte der Wettbewerb dort im Jahr 2000 Station. Der Chef der Delegation gibt in der Nacht kein klares Bekenntnis zu Stockholm ab. „Wir haben geeignete Städte und geeignete Hallen“, meint er nur.

Die EBU, deren finnischer Chef Jon Ola Sand Loreen sehr herzlich gratuliert, kann mit dem Sieger Schweden wohl gut leben. Dass die vorab auch als Favoriten gehandelten Buranovskiye Babushki  nur Zweite geworden sind, beschert der Welt 2013 einen befriedeten ESC, ohne das intensive politische Beiprogramm von Baku.

Emin Algalarovs Pausen-Performance in der Crystal Hall macht noch einmal deutlich, wie absurd alle Beteuerungen waren,  Aserbaidschans TV-Sender Ictimai  habe diesen Eurovision Song Contest verantwortlich geplant. Nein, die erste Familie des Landes hielt alle Fäden in der Hand. Es ist nur schwer vorstellbar, dass der Programmdirektor dem singenden Schwiegersohn von Präsident Ilhan Aliyev sagt: "Sorry, du trittst hier NICHT auf!"