FDP sprach sich für Steuererhöhungen aus, dann verschwand das Positionspapier
Die FDP-Fraktion spricht sich für Senkung der Einkommen- und Anhebung der Mehrwertsteuer aus. Dann verschwindet die Forderung. Warum?

Am Donnerstag veröffentlichte die Bundestagsfraktion der FDP ein scheinbar harmloses Positionspapier: „Wirtschaftliche Freiheit anstatt Subventionen – unsere Antwort auf den Inflation Reduction Act (IRA)“. Es ging um eine Reaktion auf die teils protektionistischen Maßnahmen der US-Regierung. Die Freien Demokraten erhoffen sich mit ihren Vorschlägen offenbar ein erhöhtes Wirtschaftswachstum. So weit, so FDP. Doch nach kurzer Zeit verschwand das Papier wieder von der Website. Denn darin forderte die FDP plötzlich auch Steuererhöhungen.
Auf Anfrage bei der Pressestelle der FDP-Bundestagsfraktion heißt es: „Das war ein Entwurf, der fälschlicherweise von dem Büro auf die Seite genommen worden ist.“ Er sei von der Seite entfernt worden, weil er noch nicht für die Öffentlichkeit gedacht war. Es sei keine endgültige Fassung, sondern lediglich ein Entwurf gewesen. Interessant ist, dass in dem neunseitigen Positionspapier aber kein einziges Mal die Rede von einem „Entwurf“ ist.
Welches Büro das Papier veröffentlicht hat, kann oder möchte die Pressestelle nicht sagen. „Auf die Website haben mehrere Zugriff, daher weiß ich nicht, wer es konkret war.“ Nächste Woche werde das Papier erstmals intern, das heißt in der gesamten Fraktion, besprochen. Seltsam, dass sich Christoph Meyer, FDP-Finanzpolitiker und stellvertretender Fraktionschef, jedoch bereits am Donnerstag zu den Inhalten des Papiers im Handelsblatt äußerte: „Auch ohne IRA wäre klar, dass wir an einer Unternehmenssteuerreform nicht mehr vorbeikommen.“ Die Gesamtbelastung der Unternehmen müsse dringend reduziert werden. Meyer schoss auch scharf gegen die Koalitionspartner in der Ampel. „Unsere Koalitionspartner müssen ihre wachstumsfeindliche Verhinderungspolitik und Staatsromantik endlich einstellen.“

Erst ein technischer Fehler, dann ein nicht abgesprochener Entwurf?
Die Angaben der Pressesprecherin stimmen auch nicht ganz mit den Recherchen von Lukas Scholle, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Linke-Bundestagsabgeordneten Christian Görke, überein. Am Wochenende rief er bei der Leiterin der Pressestelle der FDP-Bundestagsfraktion an und fragte, weshalb das Papier nicht mehr aufzufinden sei. Nach eigenen Angaben bekam er die Antwort, dass das Papier weiterhin aktuell sei, vom Fraktionsvorstand beschlossen wurde und nur aufgrund eines technischen Fehlers nicht mehr auf der Website zu sehen sei. Ein IT-Experte sei zu diesem Zeitpunkt nicht verfügbar gewesen.
Einen technischen Fehler stritt die Sprecherin im Gespräch mit der Berliner Zeitung ab. „Das war kein technischer Fehler, das Papier hätte gar nicht erst veröffentlicht werden dürfen.“ Auch eine Nachfrage bei FDP-Vizefraktionschef Meyer war nicht aufschlussreicher. Sein Büro antwortete, dass Meyer heute bedauerlicherweise keine Zeit für ein Telefonat oder ein Statement habe.
Update: Das Papier wurde wieder kassiert. 😂😂https://t.co/quOJDo5zkh
— Lukas Scholle (@lukas_scholle) February 20, 2023
Das Positionspapier liegt der Berliner Zeitung vor. Darin legt die FDP-Fraktion dar, wie die Bundesregierung auf das milliardenschwere US-Subventionsprogramm IRA für grüne Technologien reagieren sollte. Durch den zugespitzten Standortwettbewerb sei „über eine aufkommensneutrale Anpassung der Steuerstruktur nachzudenken“, heißt es in dem Papier. Unter Punkt sieben nennt die Fraktion Maßnahmen, um „die wachstumsfeindlichen hohen Grenzsteuersätze der Einkommensteuer weiter zu senken“. Auch von einer Senkung der Körperschafts- und Gewerbesteuer ist darin die Rede.
Eine Senkung der Einkommensteuer würde Einnahmeausfälle im zweistelligen Milliardenbereich bedeuten. Als Gegenfinanzierung schlägt die FDP-Fraktion daher „höhere indirekte Steuern, weniger Ausnahmen vom normalen Mehrwertsteuersatz und einen Abbau fragwürdiger Steuerermäßigungen“ vor.

Geringere Steuern für die Reichen, höhere für Geringverdiener, damit die Wirtschaft wächst
Von einer Senkung der Einkommensteuer profitieren traditionell in erster Linie Bezieher mittlerer und höherer Einkommen, während eine Anhebung indirekter Steuern größtenteils Bezieher niedriger Einkommen belastet. Neben Arbeitnehmern zahlen auch Personengesellschaften und Familienunternehmen die Einkommensteuer. Was die indirekten Steuern betrifft, so zählen die Mehrwert- und Verbrauchssteuern dazu. Ihre Erhöhung würde nicht nur Lebensmittel, sondern auch Alkohol, Tabak oder Energie verteuern.
„Es ist das Eine, Steuersenkungen für Reiche zu fordern. Aber gleichzeitig Steuererhöhungen für Arme zu fordern, ist neoliberale Politik durch und durch“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter Scholle. Es sei sogar darüber diskutiert worden, den ermäßigten Satz der Mehrwertsteuer insgesamt abzuschaffen. „Das wäre ein Sozialskandal“, sagt er.