Frieden für die Ukraine: Mehr Lula wagen!
Brasiliens Präsident Lula da Silva will einen Friedensclub gründen. Deutsche Journalisten reagieren mit Unterstellungen darauf. Ein Gastbeitrag von Johannes Varwick.

Der frisch gewählte brasilianische Präsident Lula da Silva bietet sich als Vermittler im Ukraine-Krieg an und regt an, einen „Friedensclub“ zu gründen. Der Krieg sei an einem Punkt angekommen, an dem keiner mehr seine Maximalziele erreichen könne. Es sei notwendig, eine Gruppe von Ländern zu bilden, die stark genug sei und respektiert werde, um sich mit Russland und der Ukraine an einen Verhandlungstisch zu setzen. Neben Brasilien erwähnt er China, Indien und Indonesien – diejenigen Staaten, die zwar mehr oder weniger scharf den russischen Angriffskrieg verurteilen, sich aber weder an den westlichen Sanktionen noch an Waffenlieferungen beteiligen.
Russland habe den Fehler begangen, „in das Territorium eines anderen Landes einzudringen“, sagte Lula. „Aber ich denke immer noch: ‚Wenn einer nicht will, streiten zwei nicht.‘“ Man wisse nicht genau, warum der Krieg begonnen worden sei, aber einige sagten, „der Krieg habe begonnen, weil die Ukraine in die Nato“ wolle. Für eine Lösung des Konfliktes müsse mithin über die Ursachen und Hintergründe geredet werden. Lula ist also recht klar in der Verurteilung des russischen Angriffskrieges, aber weniger eindeutig bei der im Westen vorherrschenden Lesart, auf russische Interessen sei zu wenig Rücksicht genommen worden.
Wahrscheinlich ist in der Ukraine ein langer Abnutzungskrieg
In der deutschen Debatte wurde Lula, der eben noch als die bessere Variante zu seinem Vorgänger Bolsonaro gefeiert wurde, dafür in den Senkel gestellt. Man könne doch nicht sagen, so der SPD-Außenpolitiker Michael Roth, „irgendwie sind die Ukrainer möglicherweise auch selbst mit Schuld“. Durch Lulas „vermeintliche Neutralität“ werde es „im Ukraine-Krieg schwieriger, die Völkergemeinschaft möglichst geschlossen gegen Russlands völkerrechtswidriges Handeln zu positionieren“, kritisierte auch der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt.
Auf Twitter wird, wie üblich, grob geholzt und unterstellt, Lula bediene damit nur Kremlpropaganda. Auch die überwiegende Zahl der Berichte in den deutschen Medien sind ein Paradebeispiel für einseitigen Journalismus: Verhandlungen werden grundsätzlich diskreditiert und als Putin-Narrativ dargestellt, Kriegslogik und Waffenlieferungen meist unreflektiert begrüßt.
Es ist ein seltsames Beispiel eurozentristischen Denkens, wenn ein anerkannter Repräsentant des globalen Südens sich als Vermittler anbietet, weil auch er weiß, dass der Konflikt grauenvolle globale Folgen haben kann, dann dafür mit Häme überschüttet wird. Sinnvoller wäre es, Lula beim Wort zu nehmen und zu akzeptieren, dass die westliche Sicht auf den schrecklichen Angriffskrieg einseitig ist und immer mehr Waffenlieferungen keine Lösung bringen werden.
Wahrscheinlich ist in der Ukraine ein langer Abnutzungskrieg, bei dem keine Seite klar gewinnt, bei anhaltend hohen Opferzahlen und massiven Folgekosten für die internationale Stabilität. So verständlich die Unterstützung der Ukraine ist, so unverantwortlich wäre es, der Ukraine bedingungslos in ihrer ‚Sieges-Rhetorik‘ zu folgen und das mit zunehmenden Waffenlieferungen zu befeuern. Denn natürlich kann es auch sein, dass mit Waffenlieferungen ein womöglich aussichtsloser Kampf der Ukraine nur verlängert oder blutiger wird. Mehr Energie in diplomatische Verhandlungen und Interessensausgleich zu legen, wäre dann die bessere Strategie.
Dieser Krieg wird nur durch eine diplomatische Lösung beendet werden
Die Debatte sollte also unter strategischen Gesichtspunkten geführt werden und nüchtern Chancen und Risiken abwägen. Mit anderen Worten: Warum nicht mehr Lula wagen? Wer eine erfolgreiche Vermittlung starten will, der sollte sinnvollerweise nicht Partei sein. Vielmehr gilt es, folgende Fragen zu stellen: Was hat in der Geschichte anderer Konflikte zu halbwegs erfolgreichen Verhandlungslösungen geführt? Welche Bedingungen sollten geschaffen werden, damit Verhandlungen möglich werden? Wer kann was dazu beitragen, dass solche Verhandlungen wahrscheinlicher gelingen? Welche Themen müssten zwischen Ukraine und Russland verhandelt werden – und welche schwierigen Fragen sollten besser nicht sofort thematisiert werden?
Dieser Krieg wird nur durch eine diplomatische Lösung beendet werden. Dabei wird keine Seite Maximalforderungen durchsetzen können. Es wird aller Voraussicht nach vielmehr am Ende eine neutrale Ukraine geben, die nicht eindeutig dem westlichen oder russischen Einflussgebiet zufällt. Das ist gewiss keine Ideallösung, setzt natürlich international ein schlechtes Beispiel und verlangt insbesondere der Ukraine schmerzliche Zugeständnisse ab.
Allein: Jede andere durchsetzbare Option ist schlechter, weil sie entweder einen jahrelangen und verlustreichen Abnutzungskrieg oder aber eine militärische Eskalation mit Russland zu Folge hätte. Wenn mithin am Ende eines langen oder weiter eskalierten Krieges das gleiche Ergebnis herauskommt, das auch heute bereits möglich wäre, dann ergibt es keinen Sinn, immer weiterzukämpfen mit zehntausenden Toten und traumatisierten Menschen. Warum also nicht die Chancen ausloten, die Lulas Initiative bieten könnte?
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