Für systematischen Kindesraub in der DDR gibt es keine Anhaltspunkte

Medizinhistoriker Florian Steger untersuchte etwa 200 Fälle von Müttern, die davon ausgehen, dass ihre Kinder nicht, wie offiziell mitgeteilt, gestorben, sondern systematisch geraubt wurden.

Berlin-Den Vorwurf des systematischen Kindesraubs in der DDR sieht der Medizinhistoriker Florian Steger als unbegründet. Das berichtete die Deutschen Presse-Agentur am Freitag. Für eine neue Studie hatte der Medizinhistoriker etwa 200 Fälle von Müttern untersucht, die davon ausgehen, dass ihre Kinder nicht, wie offiziell mitgeteilt, vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben waren.

Etliche Mütter gehen davon aus, dass ihre Kinder systematisch geraubt wurden (Symbolbild).
Etliche Mütter gehen davon aus, dass ihre Kinder systematisch geraubt wurden (Symbolbild).dpa/zb/Matthias Hiekel

Für die Annahme der Mütter, dass ihre Kinder systematisch geraubt wurden, gebe es jedoch, beispielsweise in Archiven, keine belastbaren Aussagen, sagte Studienautor Steger laut dpa am Freitag in Halle. 

„Viele Betroffene werden sehr unzufrieden sein“

Ein Buch zur Studie beschäftigt sich mit Müttern, die ihre Kinder in den 70er und 80er Jahren auf den heutigen Gebieten von Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Brandenburg ihre Kinder entbunden hatten. Die Betroffenen vermuteten etwa, dass ihre Töchter und Söhne zu linientreuen Parteimitgliedern gekommen, in den Westen verkauft oder in die Sowjetunion gebracht worden seien.

„Das Kernstück dieses Buches sind die Erzählungen der Frauen“, erläuterte Steger der dpa. Die Aussagen habe er dann etwa anhand von Geburtsurkunden, Stasi-Unterlagen, Obduktionsberichten oder anderen Dokumenten überprüft. Dort sei jedoch nichts zu finden gewesen, „was diese Vorwürfe argumentativ unterfüttern würde“. „Viele Betroffene werden mit den Ergebnissen des Buchs sehr unzufrieden sein.“

Forscher sieht fehlende Trauerbewältigung als Ursache für Zweifel der Mütter

Als Grund für die bis heute andauernden Zweifel sieht der Forscher fehlende „Trauerbewältigung“. „Mit diesen Schicksalserlebnissen sind viele Frauen alleine gelassen worden.“ So hätten sich Mediziner damals etwa dazu entschieden, den Müttern den Anblick ihrer toten Kinder zu ersparen. Zudem seien Kinder, die damals mit weniger als 1000 Gramm Gewicht zur Welt kamen, nicht bestattet worden. Dies aber wäre für eine Trauerbewältigung wichtig gewesen und habe auch zu einem bis heute andauernden Misstrauen gegenüber dem Staat geführt.

„Die Mehrzahl der Betroffenen glaubt nicht an unseren Rechtsstaat“, stellte Steger fest. Er plädierte dafür, den Betroffenen zu helfen. Es brauche keine weiteren Studien, die belegten, dass es keinen systematischen Kindesraub in der DDR gab, sondern die Betroffenen müssten aufgefangen werden. „Offensichtlich haben wir sie alleine gelassen.“