AKW-Experte: Wie Robert Habeck Deutschland ein Abo auf Energiekrisen sichert

Die grüne Energiepolitik beruht vor allem auf Hoffnungen und Wünschen. Sie erinnert an eine Geisterfahrt, meint ein Ex-Mitglied der Reaktorsicherheitskommission.

Robert Habeck besucht zum Abschluss einer Norwegen-Reise im dichten Schneetreiben das Unternehmen Norcem und informiert sich über CO2-Speicherung.
Robert Habeck besucht zum Abschluss einer Norwegen-Reise im dichten Schneetreiben das Unternehmen Norcem und informiert sich über CO2-Speicherung.dpa/Kay Nietfeld

Falls Robert Habeck Anfang Oktober 2022 im Dom seiner Geburtsstadt Lübeck ein paar Kerzen angezündet hatte, haben sie geholfen: Es scheint ein überdurchschnittlich warmer Winter zu werden. Eine Gasmangellage ist laut Bundesnetzagentur in diesem Winter nicht mehr zu erwarten.

Aber der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, warnte am 8. Januar in einem Interview vor weiterhin bestehenden Risiken: Der nächste Winter könne kälter werden. Chinas derzeit niedrigerer Gasverbrauch könne wieder steigen. Und für die Gasnetze bestehe ein Sicherheitsrisiko, wie der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines im September gezeigt habe.

Ob die Parteispitze der Grünen dieses Interview gelesen hat? Von ihr wird nämlich seit der Atomgesetzänderung am 25. November zum befristeten Weiterbetrieb von drei AKWs mantraartig verkündet, am 15. April sei damit endgültig Schluss.

Konkret genannt werden für diese Behauptung:
  • Es gebe dann genügend Erdgas auch für die Stromerzeugung.
  • Außerdem würden in der Stromerzeugung (nur) vorübergehend mehr Kohlekraftwerke eingesetzt.
  • Die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien „soll sich perspektivisch zusätzlich entlastend auf die Gassituation auswirken“, bis 2030 werde ein Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch von mindestens 80 Prozent angestrebt.
An diesen Begründungen fällt auf:
  • Die Argumentation hat sich in einem wesentlichen Punkt in den letzten Monaten erheblich geändert. In dem Prüfvermerk von Wirtschafts- und Umweltministerium zur Ablehnung des Weiterbetriebs der AKWs vom 7. März 2022 wurde noch behauptet, Kernkraft könne Erdgas gar nicht in der Stromerzeugung ersetzen, da dieses dafür kaum noch genutzt werde. Nachdem die Realität diese Behauptung widerlegt hat – 2022 kamen insgesamt knapp 15 Prozent des Stroms aus Gaskraftwerken – wird nun behauptet, man würde 2023 und danach genügend Erdgas auch für Stromerzeugung bekommen. Probleme und Risiken bei dieser Strategie? Kein Wort dazu.
  • Was der vermehrte Einsatz von Kohlekraftwerken für die Klimaproblematik bedeutet, wird kaum thematisiert. Es wird zwar erwähnt, dass die Klimaschutzziele nicht aufgegeben würden. Aber wie das technisch-wirtschaftlich überhaupt noch realisiert werden könnte – keine nachvollziehbare Information.
  • Wie soll eine Lösung für das Problem der großtechnischen Speicherung elektrischer Energie aussehen? Denn ohne die sind 80 Prozent erneuerbarer Energien bis 2030 technisch nicht praktikabel (siehe Erläuterung unten). Dazu gibt es ebenfalls keine Informationen.

Die zuständigen, von Grünen geleiteten Ministerien verdrängen die Probleme und Risiken ihrer Strategie, zumindest wollen sie diese nicht diskutieren. Stattdessen versuchen sie, sich mit wechselnden Argumentationen durchzulavieren.

Aber: Kann eine Energiewende so funktionieren?

Das Atomkraftwerk Isar 2 im bayerischen Essenbach.
Das Atomkraftwerk Isar 2 im bayerischen Essenbach.Armin Weigel/dpa

Das Problem ist die fehlende Speicherung elektrischer Energie

Ohne die wichtigsten, bisher mehr oder weniger verdrängten Probleme und Risiken zur Kenntnis zu nehmen und verstehen zu wollen, werden wir immer wieder in Energiekrisen hineinstolpern, mit erheblichen Folgen für Energiekosten und damit für den Industriestandort Deutschland.

Um das zentrale Problem für den Ausbau der Stromerzeugung aus Wind und Sonne (W+S) zu verstehen, die fehlende großtechnische Speicherung elektrischer Energie, kann man je eine typische Verbrauchswoche im Sommer und Winter vergleichen:

  • In einer vor allem für die Sonne günstigen Woche im Sommer können schon jetzt erneuerbare Energien an manchen Tagen mittags praktisch den Bedarf decken. Nachts allerdings kommt der überwiegende Teil des Stroms noch aus konventioneller Erzeugung.
  • Im Winter sind dagegen Wochen nicht ungewöhnlich, in denen Wind und Sonne nur im Bereich bis zu zehn Prozent des benötigten Stroms liefern. Hinweis: Vom 10. bis 12. Dezember 2022 lieferten alle Wind- und Sonnen-Kraftwerke zusammen sogar nur so viel Strom wie die drei verbliebenen AKWs.

Was passiert in dieser Situation, wenn – wie von den zuständigen Ministerien immer wieder verkündet – Wind- und Sonnen-Anlagen beschleunigt auf das Mehrfache der heutigen Kapazität ausgebaut werden?

Um den Mittag im Sommer müssen mit wachsendem Ausbau immer mehr Wind- und Sonnen-Anlagen abgeschaltet werden, da die Erzeugung den Bedarf übersteigt. Gleiches gilt für Wind-Anlagen bei windigen Wetterlagen. Das heißt: Gerade dann, wenn Stromerzeugung aus Wind und Sonne besonders günstig wäre, müsste abgeschaltet werden. In den vergangenen Jahren wurden im Schnitt bereits entsprechend 6000 Gigawattstunden abgeregelt – und dies wird ohne ausreichende Speicherung weiterhin zunehmen. Das beeinträchtigt die Wirtschaftlichkeit dieser Anlagen natürlich erheblich. Und in ungünstigen Zeiten, bei „Dunkelflauten“, hilft eine Verdopplung oder Verdreifachung auch nicht viel, da zwei- oder dreimal „wenig“ immer noch nicht viel ist.

Schön wäre es, wenn nicht abgeschaltet werden müsste, sondern der über den Verbrauch hinaus erzeugte Strom gespeichert werden könnte, um ihn zum Beispiel im Sommer nachts oder während Dunkelflauten im Winter ins Netz einzuspeisen, sodass dann weniger konventionelle Kraftwerke benötigt würden. Dies ist aber gegenwärtig und für die nächsten Jahre nicht möglich.

Die gegenwärtig in Deutschland vorhandene Speicherkapazität für elektrische Energie umfasst nämlich nur etwa 40 Gigawattstunden, hauptsächlich in Pumpspeicherwerken, in Batterien weniger als eine Gigawattstunde. Benötigt würden gegenwärtig etwa 400 Gigawattstunden, um wenigstens im Sommer eine Nacht zu überbrücken, und bis zu 10.000 Gigawattstunden, um zehn Tage Dunkelflaute im Winter auszugleichen. Dabei wird der Speicherbedarf noch deutlich wachsen, da wegen der stark geförderten Einführung zum Beispiel von E-Autos, Wärmepumpen oder zusätzlichen elektrischen Verfahren in der Industrie der Strombedarf erheblich ansteigen wird.

Trotz dieses offensichtlichen Problems ist ein nennenswertes Zubau-Programm für Speicherkapazität in den nächsten Jahren im Energiekonzept der Bundesregierung erstaunlicherweise nicht vorgesehen. Es wird zwar über Wasserstofferzeugung zur Energiespeicherung gesprochen, aber informierte Fachleute erwarten zumindest in diesem Jahrzehnt davon keinen entscheidenden Beitrag. Die von Grünen gern zitierte Claudia Kemfert, die sich gut damit auskennt, was die Grünen-Spitze gerne hört, hat zwar unlängst verkündet, es gebe „Speichermöglichkeiten noch und nöcher“, allerdings haben die eigentlichen Fachleute von ihr nicht erfahren können, wo und wann diese Möglichkeiten Realität werden könnten.

Damit ist absehbar, dass noch für etliche Jahre der beschleunigte Zubau von Stromerzeugung aus Wind und Sonne immer weniger zusätzlichen Nutzen für die Energieversorgung bringen wird, da zunehmend Abschaltungen notwendig werden. Und damit ist auch absehbar, dass noch für etliche Jahre in Zeiträumen mit Minderleistung aus der Stromerzeugung von Wind und Sonne andere Kraftwerke einspringen müssen, nach den gegebenen Randbedingungen (Verfügbarkeit, Kosten) ganz überwiegend Kohlekraftwerke, zum Teil reaktivierte ältere Kraftwerke. Und damit ist wiederum absehbar, dass die CO2-Emissionen in Deutschland hochgehalten werden und erst mal noch ansteigen, sodass die Emissionen je erzeugter Kilowattstunde zu den höchsten in Europa zählen werden.

Grüne wollen das „Pferd von hinten aufzäumen“

Um Proteste abzuwehren, hat Habeck zwar vereinbart, dass einige Kohlekraftwerke früher als bisher geplant 2030 endgültig abgeschaltet werden sollen. Wird man aber 2030 – nach den Vorstellungen der Grünen dann ohne Chance auf Nutzung vorhandener AKWs – um eine Verlängerung der Laufzeit von Kohlekraftwerken herumkommen, wenn die Stromerzeugung aus Gas weiterhin so teuer bleibt oder bei Dunkelflauten die Kapazität der Gaskraftwerke nicht reicht? Ist es für Grüne in Deutschland kein Thema, dass in einem solchen Szenario mit jedem weiterbetriebenen AKW rund elf Millionen Tonnen CO2 jährlich eingespart werden könnten, also mit sechs AKWs, bei denen das möglich wäre, jährlich 60 bis 70 Millionen Tonnen? (Zum Vergleich: Die Einsparung wäre rund das Dreifache der Emissionen aller in Deutschland jährlich startenden Passagierflugzeuge.)

Man könnte auch daran denken, dass drei der AKWs mehr Strom produzieren als die sieben Blöcke des Braunkohlekraftwerks Neurath, das seinen Brennstoff aus dem Tagebau Garzweiler bezieht. Für dessen Erweiterung soll jetzt das Dorf Lützerath abgebaggert werden.

Stromerzeugung aus Wind und Sonne massiv auszubauen, ohne rechtzeitig für ausreichende Speicherkapazität zu sorgen, ist, wie ein „Pferd von hinten aufzuzäumen“. Es ist unverständlich, warum nicht mehr vom Beispiel Sonderborg, Dänemark, gelernt wird. Dort hat ein Team von „Energiewendeanhängern“ vor rund 15 Jahren begonnen, die Stadt systematisch in Richtung Klimaneutralität zu entwickeln. Es erwartet nach heutigem Stand, 2029 so weit zu sein. (Zwar nur bezogen auf die Stadt, ohne Reisen der Einwohner in die Welt, aber immerhin.) Die dort erfolgreiche Reihenfolge und Abstimmung von Maßnahmen werden aber in Deutschland nicht praktiziert, sondern man versucht es genau andersherum. Ideologische Beschränkung?

Bagger reißen die letzten Häuser des Dorfes Lützerath ab. 
Bagger reißen die letzten Häuser des Dorfes Lützerath ab. Federico Gambarini/dpa

Es gibt weitere verdrängte Probleme und Risiken

Neben dem zentralen ungelösten Problem der Energiewende, einer ausreichenden und wirtschaftlich vertretbaren großtechnischen Speicherung elektrischer Energie, drängen sich noch weitere Fragen zur Sicherheit der Energieversorgung in den nächsten Jahren auf, zum Beispiel:

Gasversorgung: Wie ist sie gesichert? Wie ist die Preisentwicklung einzuschätzen?

  • In den vergangenen drei Monaten kamen rund 40 Prozent des Erdgasimports aus Norwegen. Wie zuverlässig lassen sich die Pipelines in der Nordsee schützen? Wie lange wird Norwegen die erhöhte Förderrate durchhalten?
  • Das Wirtschaftsministerium bemüht sich, die Versorgung durch Verträge für verflüssigtes Erdgas (LNG) zu unterstützen. Wie belastbar sind die Verträge zum Beispiel mit dem Emirat von Katar? Was bedeutet es für Entwicklungsländer wie Pakistan, Sri Lanka und Bangladesch, wenn Europa, vor allem Deutschland, durch die Nachfrage die Preise auf dem Weltmarkt für LNG in die Höhe treibt, das für die Entwicklungsländer ein wichtiger Teil der Energieversorgung ist? (Pakistan wurden Langzeitverträge fristlos gekündigt, weil die Lieferanten in Europa höhere Preise erzielen konnten.)
  • Wenn der Gaspreis auf dem Weltmarkt nach den Spitzen im letzten Sommer sich vielleicht bei 100 Euro pro Megawattstunde einpendeln sollte und nach Habecks Plänen weiterhin relativ viel Erdgas zur Stromerzeugung genutzt wird – was bedeutet es für die Strompreise in Deutschland? Das wären allein an Brennstoffkosten etwa 25 Cent pro Kilowattstunde. Bei diesen Preisen ist die Stromerzeugung aus Gas rund zehnmal so teuer wie die aus Braunkohle oder Kernenergie. Was bedeutet das für den Industriestandort Deutschland? Wie lange wird die Bundesregierung die hohen Energiepreise durch Schuldenaufnahme ausgleichen?

Beschleunigter Ausbau von Wind- und Sonnen-Anlagen

  • Nachdem vor allem die Grünen sich viele Jahre für den Ausbau von Einspruchsmöglichkeiten bei Energie- und Verkehrsprojekten eingesetzt haben, mit der Folge sehr langer Genehmigungsverfahren, versuchen sie jetzt massiv, die Einspruchsmöglichkeiten für Wind- und Sonnen-Anlagen sowie LNG-Terminals und Leitungstrassen wieder zu verringern. Wie werden die betroffenen Bürger vor Ort reagieren? Sind da nicht zunehmende Proteste zu erwarten?
  • Der deutsche Markt ist für den Ausbau von Stromerzeugung aus Wind und Sonne bei Fertigung sowie Lieferung bestimmter Rohstoffe gegenwärtig stark angewiesen auf das Ausland, insbesondere China. Was bedeutet das für die Ausbaurate und politisch problematische Abhängigkeiten?
  • Was wenig in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen wird: Bei kleineren Anteilen von Wind und Sonne an der Stromerzeugung konnte der erzeugte Strom in dem vorhandenen Transport- und Verteilungsnetz relativ problemlos aufgenommen werden. Bei wachsenden Anteilen besonders von Wind-Strom wurde dann schon klarer, dass es zusätzliche Hochspannungstrassen brauchen würde, um den Wind-Strom von Norden nach Süden zu transportieren. (Wind-Anlagen haben an der Küste rund die doppelte Verfügbarkeit und damit Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu Anlagen im Süden.) Bei Wind- und Sonnen-Anteilen in Richtung 80 Prozent sind aber auch die Verteilungsnetze (Mittel- und Niederspannung) erheblich umzubauen. Die Netzbetreiber sind hier in erheblicher Sorge, wie lange dieser Umbau dauern wird.
  • Nach gut 20 Jahren politischer Bevorzugung und finanzieller Förderung (insgesamt rund 400 Milliarden Euro) haben die Stromerzeugung aus Wind und Sonne einen Beitrag in der Stromerzeugung erreicht, der kaum über dem der Kernenergie im Jahr 2001 liegt (181 gegenüber 171 Milliarden Kilowattstunden). Wie soll das jetzt in nur acht Jahren etwa verdreifacht werden, obwohl es Schwierigkeiten in den Kapazitäten einschließlich Kostensteigerungen für die Fertigung von Wind- und Sonnen-Anlagen sowie für die Speicherung elektrischer Energie gibt?

Lastmanagement – digitale Energiewende

Um den Bedarf für Energiespeicherung zu senken, will das Wirtschaftsministerium ein umfassendes System zum Lastmanagement entwickeln und einführen. Damit sollen über zentrale Ansteuerung Verbraucher abgeschaltet und wieder zugeschaltet werden, um den Verbrauch an die Stromerzeugung von Wind und Sonne anzupassen. Mit einem im November 2022 eingebrachten Entwurf für ein Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW) sollen die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden, um Verbraucher oberhalb einer bestimmten Anschlussleistung großflächig an Datenaustausch- und Ansteuerungsnetze anzuschließen sowie ein unterstützendes Tarifsystem einzuführen.

Das wird wohl ein sehr interessantes Thema für die IT-Sicherheit. Aber ist angesichts des Umfangs, der Komplexität und der Neuartigkeit der im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen sowie der problematischen Erfolgsbilanz staatlicher IT-Projekte eine schrittweise Einführung beginnend 2025 überhaupt vorstellbar? Ist es beruhigend, wenn zur Beschleunigung der Einführung mit dem vorgesehenen Gesetz ein Paragraf 78 ins Messstellenbetriebsgesetz eingefügt wird, der dem Wirtschaftsministerium die Rechts- und Fachaufsicht über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik überträgt? Soll Schnelligkeit vor Sicherheit gehen?

Wirtschaftsweisen und Ifo sind für AKW-Weiterbetrieb

Mit Blick auf die Dimension der – hier nur unvollständig beschriebenen – Probleme, Risiken und Unsicherheiten wird von vielen dringend empfohlen, verfügbare Energiequellen nicht aufgrund mehr oder weniger vager Hoffnungen auf „schönere Lösungen“ jetzt abzuschalten, sondern erst, wenn das neue Energiesystem in der Praxis ausreichend funktioniert.

Nicht nur eine deutliche Mehrheit bei Umfragen spricht sich in der jetzigen Situation für einen Weiterbetrieb der noch nutzbaren AKWs in Deutschland aus, sondern auch Sachverständige wie etwa die „Wirtschaftsweisen“, das Ifo-Institut und das Kieler Institut für Weltwirtschaft sowie Unternehmer, die auf dem Weltmarkt konkurrieren müssen und von den hohen Strompreisen in Deutschland betroffen sind. Und selbst Greta Thunberg empfiehlt für Deutschland einen begrenzten Weiterbetrieb, um vermehrte Kohlenutzung zu vermeiden.

Ebenso haben weltweit alle Länder, die Kernkraftwerke betreiben und sich in der Vergangenheit entschieden hatten, aus der Kernenergie auszusteigen, inzwischen beschlossen, den Ausstieg mindestens zehn Jahre zu verschieben – nur Deutschland nicht. Einige der ehemaligen Aussteiger, wie zu Beispiel Schweden, Finnland, Niederlande, Japan, verfolgen sogar Pläne, neue Kernkraftwerke zu bauen. Ebenso einzelne Länder wie Polen, die bisher keine AKWs hatten.

Die Begründungen überall: Die Kernenergie sollte genutzt werden, um die Klimaneutralität schnell genug zu erreichen, die Strompreise zu stabilisieren, die Energieversorgung zu diversifizieren und damit sicherer zu machen, die Zeit zu überbrücken, bis in einigen Jahrzehnten das Energiesystem so umgebaut sein könnte, dass die Versorgung – hoffentlich – weitgehend regenerativ erfolgen kann.

Allein die Grünen in Deutschland (lediglich unterstützt von Österreich und Luxemburg) sehen das ganz anders: Alle anderen, also auch Grüne zum Beispiel in Finnland, seien auf einem ganz falschen Weg. Allerdings untermauern die deutschen Grünen ihren Kurs nicht etwa durch Vorlage konkret nachvollziehbarer und hinreichend schnell umsetzbarer Planungen für eine klimaneutrale Energieversorgung. Stattdessen weichen sie aus auf Bilder schöner Lösungen in einer noch Jahrzehnte entfernten Zukunft (zum Beispiel grüner Wasserstoff aus Namibia) sowie auf Narrative, was alles bei der Kernenergie schlecht sei.

Ihre Haltung erinnert da deutlich an den alten Witz. Meldung im Verkehrsfunk: „Auf der A3 kommt Ihnen auf Höhe von … ein Geisterfahrer entgegen. Bitte fahren Sie ganz rechts, überholen Sie nicht, …“ Reaktion eines Autofahrers auf der A3: „Die haben ja keine Ahnung im Rundfunk! Mir kommen ganz viele entgegen!“

AKW: Eine „ideologiefreie Prüfung“ blieb aus

Wie wenig öffentliche Bekundungen manchmal mit einer an der Realität orientierten Energiepolitik zu tun haben, veranschaulichen aktuell die Äußerungen von Wirtschaftsminister Robert Habeck vom 5. Januar 2023 zur Energie-Partnerschaft mit Norwegen: „Wir wollen Gaskraftwerke bauen, die mit Wasserstoff betrieben werden. Dieser Wasserstoff kann und sollte aus Norwegen bereitgestellt werden.“ Dabei soll der Wasserstoff anfangs aus Erdgas gewonnen werden („Blauer Wasserstoff“), möglichst bald jedoch aus Wasserkraftstrom mit Elektrolyse („Grüner Wasserstoff“). Man versteht ja, dass Habeck gerne grünen Wasserstoff haben möchte. Aber man fragt sich, wer Minister Habeck so ein Konzept aufgeschrieben hat.

Es kann Sinn ergeben, per Elektrolyse – also relativ teuer – erzeugten Wasserstoff dort einzusetzen, wo man Moleküle als Reaktionsmittel oder Rohstoff benötigt, also bei chemischen Prozessen. Aber mit Wasserkraftstrom in Norwegen per Elektrolyse Wasserstoff zu produzieren (Wirkungsgrad 60–70 Prozent), diesen dann per neu zu bauender, teurer Pipeline unter weiteren Energieverlusten nach Deutschland zu transportieren und dort zur Stromerzeugung in Gaskraftwerken zu verbrennen (Wirkungsgrad circa 40 Prozent), also Gesamtwirkungsgrad bei 25 Prozent, das heißt drei Viertel der Leistung gehen verloren, ist schon ein seltsames und sicher nicht preisgünstiges Energieversorgungskonzept.

Es ist schon sehr frustrierend zu erleben, wie nach dem 24. Februar zwar versprochen wurde, eine „ideologiefreie Prüfung“ einer Laufzeitverlängerung der letzten Kernkraftwerke durchzuführen, genau dies aber dann systematisch verhindert wurde. Das zeigt die Entstehungsgeschichte des Prüfvermerks. Während sonst von Grünen die Klimakrise als wichtigstes Problem angesprochen wird, kommt die Reduzierung der CO2-Emissionen als Thema im Prüfvermerk nicht vor.

Wir brauchen eine ergebnisoffene, fachlich fundierte Diskussion

Unterm Strich bedeutet das:

  • Die öffentlichen Aussagen von Bundeswirtschafts- und Bundesumweltministerium zur Sicherung einer wirtschaftlichen Energieversorgung beruhen in zu vielen wichtigen Punkten auf Hoffnungen und Wünschen. Risiken und Probleme bleiben ausgeblendet.
  • Es gab keine kritische Bestandsaufnahme, sondern vielfach Traditionspflege von grünen Narrativen sowie Verweigerung ergebnisoffener Diskussionen.
  • Es ist abzusehen, dass mit der „Vogel-Strauß-Energiepolitik“ Energie unnötig teuer werden wird, die Klimaziele verfehlt werden und die nächsten Versorgungskrisen programmiert sind. Bezüglich der Ablehnung eines Weiterbetriebs von AKWs erinnern deutsche Grüne an Geisterfahrer.
  • Die Grünen-Spitze argumentiert gerne, die deutsche Energiewende solle andere Länder ermutigen, möglichst rasch Klimaneutralität anzustreben. Viele im Ausland nehmen aber wahr, dass die Energiepolitik der Grünen gegenwärtig widersprüchlich und teilweise heuchlerisch ist, den Dialog über optimierte Lösungen national und international verweigert, trotz massiver Subventionen zu besonders hohen Energiepreisen führt, damit den Industriestandort gefährdet und die Klimaziele erheblich verfehlt. Dieses Beispiel wird klar als abschreckend gesehen.
  • Die Ausweitung des Braunkohletagebaus Garzweiler um den Bereich Lützerath dient der längeren Versorgung des Kraftwerks Neurath. Drei der diskutierten AKWs würden praktisch CO2-frei jährlich etwas mehr Strom produzieren als die sieben Kohleblöcke von Neurath. Dass stattdessen ältere Grüne die CO2-Emissionen und die Proteste um Lützerath lieber in Kauf nehmen, ist schon bemerkenswert.

Nötig ist für die Energiepolitik eine endlich ergebnisoffene, fachlich fundierte Diskussion, ab wann Stromerzeugung mit regenerativen Energien in ausreichendem Umfang und gesichert zu erwarten ist, um fossile Energien und Kernenergie in der Stromerzeugung ersetzen zu können, und unter welchen Voraussetzungen bis dahin der Weiterbetrieb der noch laufenden AKWs sowie die Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit der drei Ende 2021 abgeschalteten AKWs für die Verringerung der CO2-Emissionen und die Stabilisierung der Strompreise sinnvoll sind. Die betreffenden AKWs haben immerhin in über 30 Jahren mit einer Verfügbarkeit von über 90 Prozent Strom produziert und könnten dies bei vergleichsweise geringem „Pflegeaufwand“ noch viele Jahre technisch zuverlässig leisten.

Zum Autor: Nach dem Physik-Diplom 1975 ging Ulrich Waas zur KKW-Sparte der Kraftwerk Union AG (KWU), damals gemeinsames Tochterunternehmen von Siemens und AEG. Nach Tätigkeiten in verschiedenen Fachabteilungen war er von 1992 bis zur Pensionierung 2012 Leiter der Abteilung, die beim KKW-Erbauer unter anderem für einen wesentlichen Teil der gegenwärtig diskutierten Periodischen Sicherheitsüberprüfung zuständig war. Anfang 2005 wurde Waas zum Einbringen seiner Fachkenntnisse in Sicherheitsfragen bei KKW vom Bundesumweltministerium in einen Ausschuss der Reaktor-Sicherheitskommission berufen, von Anfang 2010 bis Ende 2021 in die RSK selbst.


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